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05/15/2025 11:58

Vesuvius Challenge: Mit KI zum Erfolg

Gunnar Bartsch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Marcel Roth und Micha Nowak sind die Ersten, denen die Entschlüsselung von Titel und Autor einer verschlossenen und verkohlten Papyrusrolle aus Herculaneum gelungen ist – die beiden Studenten der Uni Würzburg haben damit den mit 60.000 US-Dollar dotierten „First Title Prize“ gewonnen.

    „Über die Laster“ lautet sowohl der Titel eines Werkes des griechischen Philosophen Philodemus als auch der Titel einer mehr als 2000 Jahre alten verkohlten Schriftrolle aus Herculaneum. Diesen bedeutenden Fund konnten Marcel Roth und Micha Nowak jetzt nachweisen. Die beiden Studenten der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) haben als Erste überhaupt den „First Title“-Preis der Vesuvius Challenge gewonnen.

    „Wir sind stolz darauf, eine Schlüsselrolle bei der Enthüllung des ersten Titels aus den gescannten Schriftrollen von Herculaneum gespielt zu haben“, sagen die beiden im Interview. Micha Nowak hat an der Universität Würzburg Informatik auf Bachelor studiert und anschließend den Master „Artificial Intelligence & XR“ absolviert. Seit seinem Abschluss Ende 2024 arbeitet er nun für Gray Swan AI, ein Unternehmen für KI-Sicherheit in den USA. Marcel Roth wird in wenigen Wochen seinen Master in Informatik mit dem Schwerpunkt Maschinelles Lernen abschließen.

    Eine Rundmail gab den Anstoß

    Was treibt zwei Informatikstudenten an, sich mit verkohlten antiken Schriftrollen zu beschäftigen? „Eine Rundmail von Dr. Kilian Fleischer über den Wettbewerb 2023 war der Auslöser", erklärt Marcel Roth. „Wir waren nach nur einer Woche völlig fasziniert und haben die nächsten zwei Monate pausenlos daran gearbeitet", ergänzt Micha Nowak.

    Kilian Fleischer ist Klassischer Philologe/Papyrologe und arbeitet mittlerweile an der Universität Tübingen. Zuvor hatte er an der JMU das DFG-Forschungsprojekt „Philodems Geschichte der Akademie“ geleitet, in dessen Mittelpunkt die Schriftrollen aus Herculaneum standen. „Ich habe die beiden Studenten gelegentlich papyrologisch beraten und motiviert“, erinnert er sich. „Das komplexe mathematische IT-Problem haben sie im Rahmen der Vesuvius Challenge aber selbständig gelöst“, so Fleischer, der in Tübingen auch ein Projekt zur Bildgebung der Rollen und zum Virtual Unrolling leitet.

    Schrittweise zum Durchbruch

    Ursprünglich hatten Micha Nowak und Marcel Roth den mit 850.000 Dollar dotierten „Grand Prize 2023" im Visier, bei dem es galt, vier Passagen in den Schriftrollen zu entziffern. Knapp eine Woche vor der Deadline sicherten sie sich für ihren vielversprechenden Ansatz einen der fünf „Progress Prizes". Als dann später Preise für die ersten Titel ausgeschrieben wurden, nutzten die beiden ihre gewonnene Expertise: „Wir hatten inzwischen reichlich Erfahrung darin, die Tinte in den Scans der Schriftrollen zu identifizieren“, erklärt Marcel Roth.

    „Graues Flimmern vor schwarzem Hintergrund“: So würde ein Laie vermutlich den Scan einer Schriftrolle aus dem Computer-Tomographen beschreiben. Den beiden Forschern gelingt mit geschultem Blick, was Laien verborgen bleibt: die Unterscheidung zwischen Papyrus und Tinte im verkohlten Material – trotz erheblicher Unsicherheiten. Auf dieser Grundlage trainierten Roth und Nowak ein eigenes KI-Modell, das in ähnlicher Form bei der Interpretation medizinischer Röntgenbilder eingesetzt wird.

    Intensive Trainingsrunden für die KI

    Nach akribischer Annotation der Tintenspuren von Hand konnte ihr Modell nach mehreren Trainingszyklen Tinte selbst dort identifizieren, wo das menschliche Auge scheitert. Der Fortschritt der von ihnen entwickelten Methodik in Kombination mit zunehmend besseren Scans verbesserte die Tintenerkennung erheblich.

    Blieb nur noch die Frage: Wo genau versteckt sich der Titel? Bei dieser Suche profitierten Nowak und Roth von ihrer Vorarbeit. „Wir hatten in einem früheren Scan bereits Indizien für den Titel entdeckt", erklärt Roth. Die Vermutung: Der Titel könnte in der letzten Kolumne am Ende der Rolle stehen. Doch die Unsicherheit blieb – was sie als potenzielle Buchstaben identifizierten, hätte auch technisches Rauschen sein können. Zusätzlich erschwerte ein Loch im ursprünglichen Scan genau an dieser entscheidenden Stelle ihre Arbeit.

    Die ersten Leser nach gut 2.000 Jahren

    Mit einer neuen Segmentierung, die das problematische Loch beseitigte, gelang den beiden Forschern der Durchbruch. Das Ergebnis: griechische Buchstaben, die auch den Experten Fleischer überzeugten: „Hier handelt es sich eindeutig um den Titel und den Namen des Autors. Vermutlich war ich einer der Ersten, die den Titel seit der Antike wieder gelesen haben – nicht nur gesehen.“ Ein schönes Gefühl sei das gewesen.

    Für den Philologen interessant daran ist, dass Philodem dieses Werk „Über die Laster und entsprechenden Tugenden“ Vergil und seinen Freunden gewidmet hat. „Ich vermute, dass er in diesem ersten Buch auch näher auf sein Verhältnis zu Vergil eingeht – was auch für Latinisten hochspannend wäre“, sagt Fleischer. Zwar ist bislang fast nur der Titel der verkohlten Schriftrolle entziffert, aber weitere Abschnitte sind bereits eingescannt. „Ich hoffe, dass Würzburg und Tübingen bei der weiteren Erschließung der Rolle technisch und philologisch eine wichtige Rolle spielen werden“, so der Wissenschaftler.

    An Nowak und Roth soll es jedenfalls nicht scheitern: „Wir machen weiter. Es macht Spaß", sagen sie übereinstimmend. Ihre Motivation verbindet Freude mit Fachinteresse, denn die Arbeit mit KI und Methoden des Machine Learnings ergänzt ihr Studium beziehungsweise ihren Beruf ideal. Die Vesuvius Challenge bietet mittlerweile monatliche Preise für Fortschritte bei der Entschlüsselung der rund 1.000 Schriftrollen, die in der nur teilweise ausgegrabenen Villa gefunden wurden. Archäologen vermuten deshalb, dass im Untergrund noch viele weitere Schriftrollen verborgen liegen könnten.

    Die Schriftrollen aus Herculaneum

    Als im Jahr 79 nach Chr. der Vesuv ausbrach, wurde nicht nur Pompeji verschüttet. Auch das benachbarte Herculaneum wurde von den Ausläufern mehrerer pyroklastischer Ströme getroffen. Glühend heiße Lawinen aus Asche, Gas und Gestein rasten mit tödlicher Wucht über die Stadt hinweg und begruben sie und ihre Bewohner meterhoch. Erst im frühen 18. Jahrhundert sollte die Stadt wiederentdeckt werden.

    Bei den Ausgrabungen stießen die Archäologen auch auf eine Villa, die einen seltenen Schatz enthielt: eine umfangreiche Bibliothek mit etwa 1.000 Buchrollen in griechischer Sprache – die Bibliothek des griechischen Philosophen Philodem. Als Schriftrollen sind diese allerdings nur noch schwer zu identifizieren. Nach dem Kontakt mit heißen Asche- und Gasströmen und 1.700 Jahren unter Gesteinsmassen gleichen sie eher verbrannten Kohlebriketts oder Holzstücken. Versuche, sie physisch zu öffnen, scheiterten und zerstörten bereits mehr als 600 Schriftrollen.

    Die Vesuvius Challenge

    Seitdem arbeiten Wissenschaftsteams aus aller Welt intensiv und mit modernster Technik daran, die gut 2.000 Jahre alten Schriftrollen virtuell aufzurollen, zu entziffern und zu lesen. Als die Tech-Unternehmer Nat Friedman und Daniel Gross von diesen Bemühungen hörten, starteten sie Anfang 2023 einen Wettbewerb, die „Vesuvius Challenge“. Ziel ist es, Forschungsteams weltweit bei der Entschlüsselung der Textfragmente zu unterstützen.


    Contact for scientific information:

    Marcel Roth, marcel.roth@stud-mail.uni-wuerzburg.de


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    Marcel Roth
    Marcel Roth
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    Micha Nowak
    Micha Nowak
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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    History / archaeology, Information technology, Language / literature
    transregional, national
    Contests / awards
    German


     

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