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05/21/2025 17:00

Erstmals Struktur von flüssigem Kohlenstoff gemessen: Forschungsteam gelingt bahnbrechendes Experiment am European XFEL

Simon Schmitt Kommunikation und Medien
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf

    Speziell für Messungen von Materie unter extremem Druck hat eine internationale Forschungskollaboration unter Leitung der Universität Rostock und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) im Jahr 2023 erstmals den Hochleistungslaser DIPOLE 100-X am European XFEL eingesetzt. Spektakulär: Bereits in diesem ersten Experiment gelang die Untersuchung von flüssigem Kohlenstoff – ein bislang einzigartiger Vorgang, wie die Forscher*innen jetzt in der Fachzeitschrift Nature (DOI: 10.1038/s41586-025-09035-6) berichten.

    Flüssiger Kohlenstoff kommt zum Beispiel im Inneren von Planeten vor und spielt eine wichtige Rolle für Zukunftstechnologien wie die Kernfusion. Bisher war allerdings nur sehr wenig über Kohlenstoff in flüssiger Form bekannt, denn im Labor war dieser Zustand praktisch nicht fassbar: Bei Normaldruck schmilzt Kohlenstoff nicht, sondern geht direkt in einen gasförmigen Zustand über. Erst unter extremem Druck und bei Temperaturen von etwa 4.500 Grad Celsius – dem höchsten Schmelzpunkt eines Materials überhaupt – wird Kohlenstoff flüssig. Kein Behälter würde dem standhalten.

    Laserkompression hingegen kann festen Kohlenstoff für Bruchteile von Sekunden verflüssigen. Diese Sekundenbruchteile gilt es für Messungen zu nutzen. Am European XFEL in Schenefeld bei Hamburg, dem weltgrößten Röntgenlaser mit seinen ultrakurzen Pulsen, ist dies heute in bisher unvorstellbarer Weise möglich.

    Einzigartige Messtechnik in dieser Kombination
    Entscheidend für den Messerfolg war die einzigartige Kombination des European XFEL mit dem Hochleistungslaser DIPOLE100-X, der vom britischen Science and Technology Facilities Council entwickelt wurde und durch das HIBEF-Nutzerkonsortium (Helmholtz International Beamline for Extreme Fields) Wissenschaftler*innen aus aller Welt zur Verfügung gestellt wird. Eine Gemeinschaft international führender Forschungseinrichtungen hat an der Experimentierstation HED-HIBEF (High Energy Density) des European XFEL nun erstmals die leistungsstarke Laserkompression mit der ultraschnellen Röntgenanalytik und großflächigen Röntgendetektoren zusammengebracht.

    Im Experiment treiben die hochenergetischen Pulse des DIPOLE100-X-Lasers Kompressionswellen durch eine feste Kohlenstoffprobe und verflüssigen das Material für Nanosekunden, also für den milliardstel Teil einer Sekunde. Innerhalb dieser Nanosekunde wird die Probe mit einem ultrakurzen Röntgenlaserblitz des European XFEL beschossen. Die Atome im Kohlenstoff lenken das Röntgenlicht ab – ähnlich wie Licht an Gitter gebeugt wird. Das Beugungsmuster erlaubt Rückschlüsse auf die momentane Anordnung der Atome im flüssigen Kohlenstoff.

    Ein Experiment dauert zwar nur ein paar Sekunden, wird aber vielfach wiederholt: Jedes Mal mit einem leicht zeitversetzten Röntgenpuls oder unter leicht veränderten Druck- und Temperaturbedingungen. Aus vielen Schnappschüssen entsteht schließlich ein Film. So konnten die Forscher*innen den Übergang zwischen fester und flüssiger Phase Schritt für Schritt nachvollziehen.

    Wasserähnliche Struktur und genauer Schmelzpunkt bestimmt
    Die Messungen ergaben: Mit je vier nächsten Nachbarn folgt flüssiger Kohlenstoff einer ähnlichen Systematik wie fester Diamant. „Das ist das erste Mal überhaupt, dass wir die Struktur von flüssigem Kohlenstoff experimentell beobachten konnten. Unser Experiment bestätigt Vorhersagen aus aufwändigen Simulationen von flüssigem Kohlenstoff. Es handelt sich eher um eine komplexe Form einer Flüssigkeit, ähnlich wie Wasser, das auch ganz besondere strukturelle Eigenschaften besitzt“, erklärt der Leiter der „Carbon Working Group“ innerhalb der Forschungskollaboration, Prof. Dominik Kraus von der Universität Rostock und dem HZDR.

    Auch den Schmelzpunkt konnten die Forscher*innen genau eingrenzen. Bislang wichen die theoretischen Vorhersagen für Struktur und Schmelzpunkt stark voneinander ab. Ihre genaue Kenntnis ist aber entscheidend für Planetenmodelle und bestimmte Konzepte zur Energiegewinnung durch Kernfusion.

    Mit dem ersten DIPOLE-Experiment am European XFEL hat gleichzeitig eine neue Ära für die Messung von Materialien unter Hochdruck begonnen, wie Dr. Ulf Zastrau, HED-Gruppenleiter, betont: „Wir haben jetzt die Toolbox, um Materie unter sehr exotischen Bedingungen in unfassbarem Detail zu charakterisieren.“ Und das Potential des Experiments ist noch lange nicht ausgeschöpft. Künftig könnten die Ergebnisse, die aktuell mehrere Stunden Experimentierzeit benötigen, in wenigen Sekunden vorliegen – sobald die komplexe automatische Steuerung und Datenverarbeitung schnell genug arbeiten.

    Publikation:
    D. Kraus, et al.: The structure of liquid carbon elucidated by in situ X-ray diffraction, in Nature, 2025 (DOI: 10.1038/s41586-025-09035-6)

    Weitere Informationen:
    Prof. Dominik Kraus
    Institut für Physik an der Universität Rostock
    Institut für Strahlenphysik am HZDR
    Tel.: +49 381 498 6930 | E-Mail: d.kraus@hzdr.de

    Dr. Ulf Zastrau
    High Energy Density am European XFEL
    Tel.: +49 40 8998 6969 / +49 40 8994 1905 | E-Mail: ulf.zastrau@xfel.eu

    Medienkontakte:
    Dr. Kristin Nölting | Stellv. Pressesprecherin
    Stabstelle für Presse und Kommunikation an der Universität Rostock
    Tel.: +49 381 498 1021 | E-Mail: kristin.noelting@uni-rostock.de

    Dr. Bernd Ebeling | Gruppenleiter und Pressesprecher
    Abteilung Kommunikation am European XFEL
    Tel.: +49 40 8998 6921 | E-Mail: bernd.ebeling@xfel.eu

    Simon Schmitt | Leitung und Pressesprecher
    Abteilung Kommunikation und Medien am HZDR
    Tel.: +49 351 260 3400 | Mobil: +49 175 874 2865 | E-Mail: s.schmitt@hzdr.de

    Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
    • Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
    • Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
    • Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
    Das HZDR entwickelt und betreibt große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
    Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat sechs Standorte (Dresden, Freiberg, Görlitz, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt rund 1.500 Mitarbeiter*innen – davon etwa 680 Wissenschaftler*innen inklusive 200 Doktorand*innen.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dominik Kraus
    Institut für Physik an der Universität Rostock
    Institut für Strahlenphysik am HZDR
    Tel.: +49 381 498 6930 | E-Mail: d.kraus@hzdr.de

    Dr. Ulf Zastrau
    High Energy Density am European XFEL
    Tel.: +49 40 8998 6969 / +49 40 8994 1905 | E-Mail: ulf.zastrau@xfel.eu


    Original publication:

    D. Kraus, et al.: The structure of liquid carbon elucidated by in situ X-ray diffraction, in Nature, 2025 (DOI: 10.1038/s41586-025-09035-6)


    More information:

    http://Weiteres Material finden Sie unter https://cloud.hzdr.de/s/tS2JonYwSPA3H6z (Passwort: pLLKFnYb)


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    Forscher*innen konnten erstmals flüssigen Kohlenstoff experimentell messen. Dafür kombinierten sie einen Hochleistungslaser mit dem ultrakurzen Röntgenlaserblitz des European XFEL.
    Forscher*innen konnten erstmals flüssigen Kohlenstoff experimentell messen. Dafür kombinierten sie e ...

    HZDR / M. Künsting


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Energy, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results
    German


     

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