idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
05/29/2025 11:00

Neues Modell ermöglicht detaillierte Einblicke in die Informationsverarbeitung im Gehirn

Lena Bösch Stabsstelle Unternehmenskommunikation
Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität

    Forschende der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) in Japan haben gemeinsam ein Computermodellierungssystem entwickelt, das den gesamten Zyklus – von der Bildung bis zum Recycling – sogenannter Vesikel darstellt. Vesikel sind kleine Bläschen, die Botenstoffe transportieren, die für die Kommunikation zwischen den Nervenzellen essentiell sind. Fehlfunktionen in diesem Zyklus können zur Entstehung neurologischer Erkrankungen führen. Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

    +++ Gemeinsame Presseinformation mit dem Institute of Science and Technology in Japan +++

    Denken, fühlen, erinnern oder bewegen – diese Prozesse beinhalten die Übertragung von Botenstoffen zwischen den Nervenzellen im Gehirn. Daran beteiligt sind kleine Bläschen, sogenannte Vesikel, die die Botenstoffe durch die Nervenzelle transportieren. An den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen, setzen die Vesikel die Botenstoffe frei, damit diese mit der gegenüberliegenden Nervenzelle interagieren können, um so die Informationsweiterleitung sicherzustellen. Die Vesikel hingegen werden entweder abgebaut oder für kommende Transporte wiederverwendet. Fehlfunktionen in diesem Prozess können die Entstehung neurologischer Erkrankungen begünstigen. Der Vesikel-Zyklus – von der Bildung bis zum Abbau oder Recycling – ist bisher nicht vollständig geklärt.

    Einem internationalen Team von Forschenden um Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli, Direktor des Instituts für Neuro- und Sinnesphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Sprecher des Center for Biostructural Imaging of Neurodegeneration (BIN) sowie Mitglied des Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC), und Prof. Dr. Erik De Schutter, Leiter der Computational Neuroscience Unit im Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) in Japan, ist es gelungen, den vollständigen Vesikel-Zyklus in einem noch nie dagewesenen Detaillierungsgrad am Computer abzubilden. Das neue Modellierungssystem berücksichtigt das komplizierte Zusammenspiel der Vesikel, ihrer zellulären Umgebung, Aktivitäten und Interaktionen, und zeichnet so ein realistisches Bild, wie Vesikel die synaptische Übertragung von Botenstoffen unterstützen. Da das Modell das Verhalten von Vesikeln vorhersagen kann, konnten die Wissenschaftler*innen erstmals überprüfen, wie sich die Vesikel unter hochfrequenten Stimulationsbedingungen verhalten. Eine Situation, weitab der natürlichen Bedingungen, die im Gehirn ablaufen. Das neue Modellierungssystem erweitert somit das Wissen über die Funktionalität von Synapsen und der Funktionsweise des Gehirns. Diese Erkenntnisse könnten als neue Ansatzpunkte für die Behandlung verschiedener neurologischer Erkrankungen dienen.

    Die Ergebnisse sind in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

    Originalpublikation:
    Andrew R. Gallimore, Iain Hepburn, Silvio Rizzoli and Erik De Schutter. Dynamic Regulation of Vesicle Pools in a Detailed Spatial Model of the Complete Synaptic Vesicle Cycle. Science Advances (2025). DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adq6477

    „Wir arbeiten seit über 20 Jahren an Synapsen, doch einige Funktionsschritte sind noch immer unklar und experimentell kaum zu testen. Nach mehrjähriger Feinabstimmung experimenteller und rechnerischer Arbeit mit unseren Kolleg*innen aus Japan verfügen wir nun über ein Modell, das viele neue Details erklärt und als Werkzeug für die Überprüfung neuer Hypothesen, insbesondere im Krankheitskontext, dienen soll“, sagt Prof. Rizzoli, Mitautor der Studie.

    „Das Vesikel-Recycling spielt bei verschiedenen Krankheiten eine Rolle, so ist beispielsweise die Freisetzung von Neurotransmittern bei einigen myasthenischen Syndromen gestört, wodurch es zu einer Muskelschwäche kommt. Auch die Behandlung von Depressionen und anderen schweren neurologischen Erkrankungen konzentriert sich häufig auf die synaptische Übertragung“, ergänzt Prof. De Schutter, ebenfalls Mitautor der Studie. „Wenn wir unsere Modelle erweitern, ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, sowohl für die Entwicklung neuer Therapeutika als auch für die Vertiefung unseres grundlegenden Verständnisses wie das Gehirn funktioniert.“

    Was ist der synaptische Vesikel-Zyklus?

    Der Vesikel-Zyklus beschreibt die Schritte für den Transport der Botenstoffe, auch Neurotransmitter genannt, durch die Nervenzelle bis zur Synapse, der Kontaktstelle zwischen den Nervenzellen. Die Vesikel docken an der synaptischen Membran an, verschmelzen mit dieser und setzen die Neurotransmitter in den synaptischen Spalt frei. Die Vesikel werden anschließend abgebaut oder recycelt. Dieser Prozess wird durch elektrische Stimulationen im Gehirn ausgelöst und durch eine komplexe Informationsweitergabe gesteuert.

    Je nach Situation müssen unterschiedliche Mengen an Neurotransmittern über unterschiedliche Zeiträume hinweg freigesetzt werden. Um eine kontrollierte und anhaltende synaptische Übertragung zu ermöglichen, stehen nur zehn bis 20 Prozent der Vesikel jederzeit zum Andocken bereit und werden als Recycling-Pool bezeichnet. Die Mehrheit der Vesikel befindet sich hingegen in einem Reservepool.

    Viele Details dieses Prozesses, einschließlich der Art und Weise, wie sich Vesikel zwischen dem Reserve- und dem Recycling-Pool bewegen, waren bisher nur unzureichend bekannt.

    Die Mechanismen des Vesikel-Recyclings bei hoher Stimulationsfrequenz

    Im Fokus der Studie steht der Vesikel-Recyclingprozess in den Synapsen des Hippocampus, dem Teil des Gehirns, der an der Gedächtnisbildung beteiligt ist. Ziel war es, mit dem Modell sowohl das Verhalten von Vesikeln bei experimentell erzeugten elektrischen Impulsen, die der Informationsweiterleitung dienen, zu untersuchen, als auch bei höheren Frequenzen. Die Forschenden entdeckten, dass der Vesikel-Zyklus bei hohen Stimulationsfrequenzen funktioniert, die weit über das hinausgehen, was normalerweise in der Natur vorkommt. Zudem konnten die Wissenschaftler*innen Schlüsselproteine identifizieren, die die Vesikel-Freisetzung aus dem Reservepool regulieren.

    Die Ergebnisse zeigen, dass die Effizienz des Vesikel-Zyklus von der molekularen Bindung abhängt. Durch die physische Verbindung einiger Vesikel mit der Membran mit Hilfe von „Bindegliedern“ könnte ein Vorrat an Vesikeln für das schnelle Andocken und die Freisetzung von Neurotransmittern bereitgestellt werden.


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Silvio Rizzoli, Institut für Neuro- und Sinnesphysiologie, Telefon 0551 / 39-65911, silvio.rizzoli@med.uni-goettingen.de


    Original publication:

    Andrew R. Gallimore, Iain Hepburn, Silvio Rizzoli and Erik De Schutter. Dynamic Regulation of Vesicle Pools in a Detailed Spatial Model of the Complete Synaptic Vesicle Cycle. Science Advances (2025). DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.adq6477


    Images

    Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli, Direktor des Instituts für Neuro- und Sinnesphysiologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG).
    Prof. Dr. Silvio O. Rizzoli, Direktor des Instituts für Neuro- und Sinnesphysiologie der Universität ...

    umg/swen pförtner

    Darstellung einer Synapse zwischen zwei Gehirnzellen mit Neurotransmittern (gelb).
    Darstellung einer Synapse zwischen zwei Gehirnzellen mit Neurotransmittern (gelb).

    Kaori Serakaki, 2025


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Cooperation agreements, Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).