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Wissenschaft
Wie gut funktioniert Bürger- und Öffentlichkeitsbeteiligung in der Energiewende? Diese Frage wurde in zahlreichen Einzelfall-Studien untersucht – mit unterschiedlichen Ergebnissen. Aber welches Gesamtbild ergibt sich, wenn man alle Studienergebnisse zusammenführt? Um das zu erfahren, führte Jörg Radtke vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit eine umfangreiche Auswertung durch, die in der Zeitschrift „Renewable and Sustainable Energy Reviews“ erschienen ist.
Radtke analysierte 129 Studien mit Fokus auf Beteiligungsverfahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Hierbei wertete er vier Typen von Beteiligungsformen aus. Demnach sind Informationsvermittlung, zum Beispiel über die Medien und auf Veranstaltungen, und Konsultationen, häufig praktiziert in Form von Dialogveranstaltungen mit verschiedenen Akteuren, die häufigsten Arten der Beteiligung. Der Beteiligungstypus Inklusion, also intensiver Austausch etwa durch Bürgerforen oder Verhandlungen mit verschiedenen Interessengruppen, stand bei der Häufigkeit an dritter Stelle. Die Aktionsform Empowerment, zum Beispiel durch Verfahren der direkten Demokratie wie Bürgerbegehren, Befragungen oder Abstimmungen, findet sich eher selten.
Als wichtigstes Ergebnis der Literaturauswertung fand Radtke heraus, dass es große Überschneidungen der Studienergebnisse hinsichtlich der Defizite gibt. Dies betrifft insbesondere den Beteiligungsprozess - die so genannte Verfahrensgerechtigkeit. „Mit diesem Begriff beschreibt man die Art und Weise, wie Einzelpersonen und Gruppen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden und wie sie diese Prozesse beeinflussen können. Hierbei kommt es im Kern um die Qualität der Beteiligung an: Ist das Verfahren transparent, offen und inklusiv?“, erläutert der Wissenschaftler.
Viele Befragungen zeigten, dass ein hohes Maß an Verfahrensgerechtigkeit dazu führt, dass Menschen mit den Ergebnissen zufriedener sind – selbst dann, wenn sie mit der Maßnahme selbst, also etwa dem Bau eines Windparks, nicht einverstanden sind. „Wichtig ist, dass sie Gehör gefunden und das Gefühl erhalten haben, dass ihre Meinung tatsächlich berücksichtigt und nicht einfach abgetan wurde.“ Die überwältigende Mehrheit der untersuchten Studien zur Praxis der Beteiligung offenbarte aber, dass dies gerade nicht erreicht wird: Die Prozesse werden sehr oft als unfair empfunden.
Als Schlussfolgerung seiner Analyse der Studien gibt Radtke Handlungsempfehlungen für bessere Beteiligungsverfahren:
1. Frühzeitige Einbindung von Interessengruppen, um Vertrauen aufzubauen und Beiträge, Vorschläge und Feedback zu integrieren, etwa durch die gezielte Ansprache von Betroffenen in der Nähe von geplanten Energie-Infrastrukturen.
2. Kollaborative Formate wie Workshops und Bürgerjurys, um unterschiedliche Perspektiven zu sammeln. Dazu gehören die Bewertung von Standorten und die Sammlung von Ideen zur optimalen Umsetzung, der Aufwertung des Umfelds und der Gewährung von Kompensation.
3. Inklusion besonders benachteiligter Gruppen, um Machtungleichgewichte zu mindern, zum Beispiel von schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen in Wohngebieten, die zusätzlich durch Energieanlagen beeinträchtigt werden.
4. Transparente Kommunikation und Bereitstellung zugänglicher Informationen, um Transparenz zu schaffen und Verständnis zu fördern, etwa mit Online-Plattformen, Apps und Virtuellen Assistenten, die Planungen in 3D zeigen und Fragen beantworten können.
5. Multiple Beteiligungsformate wie eine Kombination von Top-down- und Bottom-up-Methoden, um lokales Wissen stärker zu integrieren. So kann nach einer Informationsveranstaltung die Erkundung von Standorten angeboten werden, bei der Bürgerinnen und Bürger selbst wichtige Erkenntnisse in der Umgebung der geplanten Anlagen sammeln.
6. Anpassung von Strategien an die spezifischen Bedürfnisse und Dynamiken in betroffenen Kommunen, zum Beispiel durch eine Fokussierung auf Rückmeldungen aus der Bevölkerung oder die Einholung und Vermittlung von näheren Informationen zu spezifischen Themen.
7. Öffentliche (Online-)Plattformen und Kanäle für Feedback, um Kreativität zu ermöglichen und Anpassungen in der Planung und Umsetzung zu fördern, etwa durch die visuelle Darstellung von Vorschlägen im virtuellen 3D-Modell, die bewertet, kommentiert und diskutiert werden können.
„Die potenziellen Vorteile der Beteiligung, wie die Steigerung der Akzeptanz und die Verringerung des Widerstands, werden bei den derzeitigen Praktiken nicht ausgeschöpft. Wenn wir an die Zukunft der Energiewende denken, insbesondere den weiteren Ausbau der Windkraft, Stromtrassen und neue Wärmenetze, dann wird schnell klar, wie wichtig Beteiligung ist. Denn etwa die Windkraft wird in den kommenden Jahren immer stärker an Wohngebiete heranrücken und es werden Naturräume und Gemeinden wie Kur- und Tourismusorte, die von ihrer Umgebung leben, von dem Ausbau betroffen sein“, sagt Radtke. Da als Konsequenz mit erhöhtem Widerstand gegen den Ausbau zu rechnen ist, müsse zukünftige Beteiligung erheblich verbessert werden.
Dr. Jörg Radtke
joerg.radtke@rifs-potsdam.de
Jörg Radtke, Barriers and benefits of public participation in energy transitions: A meta-analysis of empirical evidence from Central Europe, Renewable and Sustainable Energy Reviews, Volume 221, 2025, 115693, ISSN 1364-0321, https://doi.org/10.1016/j.rser.2025.115693.
Criteria of this press release:
Journalists
Energy, Environment / ecology, Politics
transregional, national
Research results
German
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