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Wissenschaft
Wie man eine ungerade Anzahl von Chromosomen gerecht zwischen Nachkommen aufteilt
Die Hundsrose (Rosa canina) ist die mit Abstand häufigste Wildrose in Mitteleuropa. Ihre als Hagebutten bezeichneten Früchte werden vielfältig verwendet – von der Früchteteemischung bis zur „Juckpulver“-Herstellung. Mit Hunden hat die Hundsrose übrigens nichts zu tun. Diese Bezeichnung leitet sich von ihrem lateinischen Namen ab: „canina“ bedeutet hier „hundsgemein“ im Sinne von weit verbreitet oder gewöhnlich. Alles andere als gewöhnlich ist ihre Genetik: Während die meisten Pflanzen und Tiere zwei Chromosomensätze besitzen, haben Hundsrosen gleich fünf. Das macht ihre Fortpflanzung komplizierter, weil sich die Chromosomen während der der Bildung von Ei- und Samenzellen – der sogenannten Meiose – nicht gleichmäßig paaren und verteilen lassen. Einem tschechisch-deutschen Forschungsteam, darunter Prof. Dr. Volker Wissemann von der AG Spezielle Botanik an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), ist nun ein bedeutender Durchbruch in der Erforschung der Fortpflanzung von Hundsrosen gelungen. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
„Unsere Studie zeigt, dass Unterschiede in der Größe der Zentromere – der zentralen Andockstellen für Chromosomen – eine entscheidende Rolle bei der außergewöhnlichen Chromosomenvererbung dieser Pflanzen spielen“, so Prof. Wissemann. „Diese Ergebnisse könnten langfristig neue Wege für die Entwicklung von Nutzpflanzen eröffnen.“
Hundsrosen haben im Laufe ihrer Evolution eine raffinierte Lösung entwickelt, um ihre ungerade Anzahl an Chromosomen gerecht auf die Nachkommen zu verteilen. Das funktioniert so: Bei der sogenannten Canina-Meiose paaren sich nur zwei der fünf Chromosomensätze der Pflanze regulär und werden über Eizellen und Pollen weitergegeben. Die übrigen drei Sätze bleiben unpaarig, sogenannte Univalente, und werden ausschließlich über die Eizelle weitervererbt – ohne dass sie verändert werden. „Auf diese Weise kombiniert die Pflanze sexuelle mit klonaler Vermehrung“, erläutert Dr. André Marques vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln, einer der Leiter der Studie. Wie das genau funktioniert, war bislang unklar. Daher wollten die Forschenden unter anderem herausfinden, wie die Hundsrosen ihre unpaarigen Chromosomen gezielt in die Eizelle transportieren.
Sie untersuchten dafür die Genome von drei Hundsrosen-Arten mit fünf Chromosomensätzen bis auf die Ebene der einzelnen Chromosomensätze und ihrer Herkunft. Dabei zeigte sich, dass die univalenten Chromosomen über auffällig große Zentromere mit vielfachen Wiederholungen einer rosen-spezifischen DNA-Sequenz verfügen. Zentromere sind zentrale Chromosomenbereiche, die für die Verteilung des genetischen Materials während der Zellteilung wichtig sind – und somit für die Weitergabe an die nächste Generation. Die Zentromergröße ist offenbar der entscheidende Faktor, um bei asymmetrischen Zellteilungen sicherzustellen, dass bestimmte Chromosomen erhalten bleiben.
„Die gleichzeitige Koexistenz sexueller und klonaler Vermehrung im selben Genom – gesteuert durch Unterschiede in der Zentromerstruktur – ist ein faszinierender biologischer Mechanismus“, sagt Prof. Dr. Christiane Ritz vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz, die die Studie mit geleitet hat. Die Entdeckung liefert aber nicht nur neue Einblicke in die faszinierende Welt der Pflanzengenetik, sondern hat auch praktische Bedeutung für die Züchtung: „Viele Kulturpflanzen besitzen mehr als zwei Chromosomensätze. Das macht ihre Fortpflanzung anfällig für Fehler, kann aber auch Vorteile wie höhere Widerstandsfähigkeit mit sich bringen. Ein besseres Verständnis der Hundsrosen-Fortpflanzung könne helfen, diese Vorteile gezielt zu nutzen und die Fruchtbarkeit polyploider Pflanzenarten zu stabilisieren“, so Prof. Ritz. Denn eine ungerade Anzahl an Chromosomensätzen führt bei vielen Pflanzen oft zu Unfruchtbarkeit.
Die Publikation basiert in Teilen auf der Rosensammlung von Prof. Wissemann im Botanischen Garten der JLU. „Vor 36 Jahren habe ich die Rosen gekreuzt, die die Grundlage für alle weiteren Arbeiten waren“, so Prof. Wissemann. „Dass das Thema jetzt mit dieser Publikation vorläufig abgerundet werden kann, zeigt, dass Wissenschaft manchmal einen langen Atem braucht und Institutionen wie die JLU, die eine Rosensammlung als Forschungsinfrastruktur unterhalten.“
Geleitet wurde die Studie von Dr. André Marques vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln, Prof. Dr. Christiane Ritz vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz und Dr. Aleš Kovařík vom Institut für Biophysik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften.
Prof. Dr. Volker Wissemann
AG Spezielle Botanik
Wissenschaftlicher Leiter des Botanischen Gartens der Justus-Liebig-Universität Gießen
Telefon: 0641 99-35170
E-Mail: volker.wissemann@bot1.bio.uni-giessen.de
Herklotz, V., Zhang, M., Nascimento, T., Kalfusová, R., Lunerová, J., Fuchs, J., Harpke, D., Huettel, B., Pfordt, U., Wissemann, V., Kovařík, A., Marques, A.; Ritz, C.M.: Bimodal centromeres in pentaploid dogroses shed light on their unique meiosis. Nature (2025)
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09171-z
Die Hundsrose (Rosa canina) hat ein ungewöhnliches Fortpflanzungssystem.
Source: Volker Wissemann
Hagebutten, die Früchte der Hundsrose.
Source: Volker Wissemann
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students
Biology, Environment / ecology
transregional, national
Research results
German
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