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07/09/2025 13:27

Die Evolution von Krebszellen entschlüsselt

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Krebs entsteht nicht von heute auf morgen. Jahrzehnte kann es dauern, bis auf der Basis krebsfördernder Veränderungen im Erbgut schließlich ein maligner Tumor entsteht. Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) haben nun eine Methode entwickelt, die es erstmals ermöglicht, die zeitliche Entwicklung – die Evolution – von Körperzellen, von denen eine Krebsgefahr ausgeht, aus einer einzelnen Gewebeprobe zu rekonstruieren. Diese spezielle Art der Evolutionsforschung steht noch am Anfang. Die Vision der Forschenden ist es, mit dem neuen Verfahren frühzeitig zu erkennen, wenn Krebs entsteht, um diesen Prozess möglicherweise einmal sogar aufzuhalten zu können.

    Die gesamte lebendige Natur unterliegt der Evolution. Lebewesen sind einem Selektionsdruck ausgesetzt, der dazu führt, dass diejenigen überleben, die sich am besten behaupten können. Und auch innerhalb des menschlichen Körpers findet dieses natürliche Auswahlverfahren statt. Zellen, die fitter, also widerstandsfähiger oder teilungsaktiver sind, werden sich ausbreiten. Andere werden verdrängt. Diese sogenannte somatische Evolution kann zu positiven Effekten für den Organismus führen. Besonders durchsetzungsstark sind jedoch Krebszellen, die sich ungehemmt vermehren und dabei gesundes Gewebe verdrängen.

    Aggressiv wachsende Klone frühzeitig erkennen

    DKFZ-Forscher Thomas Höfer und sein Team haben es sich zum Ziel gesetzt, die Evolution von Krebszellen nachzuvollziehen. „Unsere Vision ist eine neue Art der Krebsfrüherkennung. Jahrzehnte können nach dem initialen Ereignis – einer Mutation im Erbgut – vergehen, bis ein sichtbarer Tumor entsteht. Das heißt, es verstreicht viel Zeit, in der man vielleicht die Möglichkeit hätte, zu intervenieren und die Entwicklung hin zur manifesten Krebserkrankung zu stoppen.“ Das ist im Moment noch Zukunftsmusik, aber die DKFZ-Forschenden haben mit SCIFER – so heißt das von ihnen entwickelte Verfahren – einen ersten Schritt in diese Richtung gemacht.

    Es ist ihnen gelungen, die Evolution von Zellklonen, also den von einer Zelle abstammenden Zellverbänden, im menschlichen Organismus zu rekonstruieren. SCIFER kann aggressiv wachsende Klone frühzeitig erkennen. Grundlage ihres neu entwickelten Verfahrens sind Mutationen – Veränderungen im Erbgut, die sich ständig spontan ereignen. Im Laufe der Zeit sammeln sich hunderte Mutationen in einzelnen Zellen an, und die so entstehenden Mutationsmuster dienen dem Team als Wegweiser bei der Entschlüsselung der Zellevolution. „Die überwiegende Zahl dieser Mutationen ist selektiv neutral, bringt der Zelle also weder Vorteil noch Nachteil. Wenn sich jedoch eine krebsfördernde Mutation ereignet, die eine Zelle fitter macht, verändert das mit der Zeit das Muster der vielen neutralen Mutationen,“ sagt Thomas Höfer. „Aus dieser Veränderung, die sich sehr gut messen lässt, können wir zurückverfolgen, wann die krebsfördernde Mutation entstanden ist, und wie schnell der entsprechende prämaligne Zellklon wächst. Wir können aus einer einzigen Blut- oder Gewebeprobe den zeitlichen Verlauf zurückrechnen.“

    SCIFER ist in Kooperation mit dem Hämatologen Paresh Vyas und seiner Arbeitsgruppe an der Universität Oxford entstanden, die wertvolle Knochenmarksproben gesunder Probanden beigesteuert haben, um die Methode umfassend zu testen und auf reale Daten zuzuschneiden.

    Ein Onkogen macht noch keinen Krebs

    Die meisten Mutationen sind weder gut noch schlecht. Manchmal jedoch entstehen genetische Veränderungen, die mit einem Vorteil verbunden sind und die sich deshalb in der Zellpopulation rasch ausbreiten. Letzteres ist etwa der Fall, wenn in einer Zelle infolge Mutation ein sogenanntes Onkogen angeschaltet wird. Das sind Gene, die das Potenzial haben, Krebs zu fördern. Normalerweise sind Onkogene abgeschaltet bzw. werden allenfalls ab und zu kurzfristig aktiviert. Infolge Mutation kann es jedoch passieren, dass Onkogene dauerhaft angeschaltet bleiben, was das Risiko der Krebsentstehung erhöht.

    Die zelluläre Evolutionsforschung steht noch am Anfang. Was sich aber bereits jetzt abzeichnet, auch durch die Ergebnisse der aktuellen Arbeit: Mutationen in Onkogenen ereignen sich sehr viel häufiger, als man bisher vermutet hat. Allerdings führt die dauerhafte Aktivierung eines Onkogens längst nicht immer zu Krebs. „Wir haben zum Beispiel im Gehirn Zellen mit mutierten Onkogenen gefunden, die sich vermehrt haben, ohne dass ein maligner Tumor entstanden ist“, berichtet Erstautorin Verena Körber. Offenbar verfügt der Körper über wirksame Schutzmechanismen, die Zellen mit potenziell gefährlichen Veränderungen in Schach halten können.

    Auch ein einzelnes, aktiviertes Onkogen macht in der Regel noch keinen Krebs. Meist müssen mehrere krebsfördernde Mutationen zusammenkommen, wobei auch nichtgenetische Faktoren eine Rolle spielen können. Zum Beispiel ist bekannt, dass Entzündungen im Umfeld von Zellen – im Mikroenvironment – das Entartungsrisiko erhöhen können.

    Im nächsten Schritt wollen die Forscher herausfinden, welche Selektionsfaktoren Zellen mit aktivierten Onkogenen weiter in Richtung maligne Entartung treiben, und welche Faktoren in der Lage sind, diesen Prozess aufzuhalten. Die Vision des Teams ist, an dieser Stellschraube anzusetzen, um neuartige Strategien zu entwickeln, diesen Prozess zu unterbrechen.

    Paresh Vyas nennt als Beispiel das myelodysplastische Syndrom (MDS), eine Störung blutbildender Stammzellen des Knochenmarks, die in eine sehr schwer behandelbare akute myeloische Leukämie übergehen kann. Aber längst nicht alle MDS-Patienten entwickeln eine Leukämie, weshalb viel gewonnen wäre, wenn man Risikopersonen treffsicher identifizieren könnte, um dann gezielt zu intervenieren. Thomas Höfer hält es für realistisch, dass die SCIFER-gestützte Erforschung der Zellevolution mit Blick auf diese und auch andere Blutkrebserkrankungen in absehbarer Zeit zu medizinisch verwertbaren Ergebnissen führen könnte.

    Körber V et al: Detecting and quantifying clonal selection in somatic stem cells. Nature Genetics 2025.
    DOI: https://www.nature.com/articles/s41588-025-02217-y


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology
    transregional, national
    Research results
    German


     

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