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Wissenschaft
Seit 2022 verhandelt die Weltgemeinschaft über ein globales Plastikabkommen – bislang ohne Abschluss. Vom 5. bis 14. August wird nun in Genf ein erneuter Anlauf genommen, um so die weltweite Plastikverschmutzung zu beenden. Diese schadet nicht nur der Umwelt und der Gesundheit des Menschen, sondern auch dem Klima. Die Umweltchemikerin Prof. Annika Jahnke und die Ökotoxikologin Dr. Dana Kühnel vom UFZ setzen sich für eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit ein, um möglichst schnell weitreichende Verbesserungen zu erreichen. Im Rahmen der INC 5.2-Verhandlungen werden sie die „Scientists' Coalition for an Effective Plastics Treaty“ und die deutsche Delegation unterstützen.
Worum geht es bei den Verhandlungen für ein globales UN-Plastikabkommen?
Dana Kühnel: Mit dem Plastikabkommen will die UN einen international gültigen und verbindlichen Rahmen schaffen, damit möglichst viele Länder der Weltgemeinschaft beim Umgang mit Plastik einheitlich handeln. Dazu zählen zum Beispiel die verringerte Nutzung und Freisetzung von Plastik, weniger schädliche Chemikalien in Plastik und effektivere Recyclingmethoden, um eine Kreislaufwirtschaft für Plastik zu ermöglichen. Das Abkommen soll sich einreihen u.a. in das Pariser Klimaabkommen und das UN-Übereinkommen zur biologischen Vielfalt.
Warum braucht es ein solches Abkommen?
Annika Jahnke: Die Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Plastik sind global vernetzt. Das kommt aus Ländern wie Indien und Saudi-Arabien; produziert werden die Plastikprodukte vor allem im globalen Norden, bevor sie dann weltweit genutzt werden. Existieren keine effektiven Müllsammelsysteme, gelangt Plastik in die Umwelt und wird in alle Himmelsrichtungen verteilt. Plastik hält sich also wie viele andere Umweltschadstoffe nicht an nationale Grenzen und bereitet folglich grenzüberschreitend Probleme: Plastikmüll gelangt in den unterschiedlichsten Formen und Größen nicht nur beispielsweise auf alpine Gletscher, in die Weltmeere und in die Tiefsee, sondern wird auch in entfernten Inselstaaten angeschwemmt. Es erreicht quasi jeden Winkel der Erde. Folglich muss das Handeln zwischen den Ländern abgestimmt werden. Hinzu kommt, dass Plastik langlebig ist. Sinkt es beispielsweise auf den Meeresboden ab, zersetzt es sich dort nur sehr langsam, weil in diese Tiefen keine Sonne dringt und die Temperaturen nahezu konstant niedrig bleiben.
Kühnel: Aus Prognosen wissen wir zudem, dass sich die Kunststoffproduktion bis zum Jahr 2050 verdoppeln soll. Daraus ergibt sich die dringende Notwendigkeit, weltweit die Herstellung von Kunststoff, den Umgang mit Plastik und Plastikabfall besser zu managen.
Was macht Plastik so gefährlich?
Kühnel: Zum einen ist die Materialvielfalt groß, weil die Industrie Plastik aus verschiedenen Ausgangsstoffen wie etwa Polymere als Grundmaterial und funktionale Additive wie beispielsweise Weichmacher und UV-Stabilisatoren herstellt. Gelangt das Plastik später in die Umwelt, verwittert und fragmentiert es dort, sodass Mikro- und Nanoplastikpartikel entstehen. Der Plastikmüll schadet Meerestieren, die sich in größeren Teilen wie Netzen verfangen. Zudem nehmen sie größere Plastikteile sowie winzige Partikel im Mikro- und Nanobereich als vermeintliche Nahrung auf, die über die Darmwand in den Blutkreislauf gelangen können. Sicher ist auch, dass der Mensch Plastikpartikel zu sich nimmt. Wie viele davon im Körper verbleiben oder wieder ausgeschieden werden, ist noch Gegenstand der Forschung. Zum anderen werden mit der Zeit plastik-assoziierte Chemikalien freigesetzt. Mehr als 16.000 Chemikalien werden in Kunststoffen verwendet, rund ein Viertel davon ist gefährlich. Sie können die Umwelt beeinträchtigen und beim Menschen u.a. hormonell wirksam sein.
Bislang gelang es nicht, sich auf ein globales Plastikabkommen zu einigen. Welches sind die wesentlichen Knackpunkte?
Kühnel: Es gibt beispielsweise eine Gruppe von Ländern, die vor allem die Erdölproduzenten umfasst. Sie tritt dafür ein, Plastikabfall zu managen und Recycling zu stärken – mit dem Ziel, dass weniger Plastik in die Umwelt gelangt. Sie hat jedoch wenig Interesse daran, die Kunststoffherstellung zu drosseln.
Jahnke: Für eine andere Position steht die von Norwegen und Ruanda geleitete „High Ambition Coalition to end plastic pollution“, zu der auch die EU und kleine pazifische Inselstaaten zählen. Sie setzt sich für weitergehende Maßnahmen ein, zum Beispiel die Primärproduktion von Plastik zu regulieren, Plastikeinwegprodukte zu reduzieren, die Verwendung von plastik-assoziierten Chemikalien zu kontrollieren oder diese durch andere Stoffe zu ersetzen, die weniger schädlich sind. Diese Gruppe betrachtet also nicht nur das reine Müllproblem, sondern den gesamten Lebenszyklus von Plastik.
Insgesamt kann man feststellen, dass die Positionen der Verhandlungspartner derzeit noch weit auseinander gehen, etwa welche Ziele sich die Weltgemeinschaft setzen und wie weit das Mandat für einzelne Staaten reichen soll, Maßnahmen umzusetzen. Offen ist auch, wie die Kosten verteilt werden sollen, die bei der Beseitigung von Plastik aus der Umwelt anfallen: Der Globale Süden und indigene Bevölkerungsgruppen nutzen Plastik unterproportional, sind aber überproportional von den Folgen betroffen. Daher fordern sie eine finanzielle Unterstützung von den Verursacherstaaten. Bei vielen ist dafür zwar grundlegend die Zahlungsbereitschaft vorhanden, sie möchten aber zunächst sehen, dass ihre ambitionierten Forderungen berücksichtigt werden. Bei der Konferenz im Dezember 2024 in Busan (Südkorea) war nicht nur in dieser Frage wenig Bewegung zu beobachten.
Wie könnte wieder Bewegung in diese Frage kommen?
Jahnke: Ein Ansatz wäre beispielsweise, aufgrund der komplexen Problemstellung und der dafür notwendigen vielfältigen Lösungsansätze die sektorenübergreifende Zusammenarbeit voranzutreiben. Wie in unserem kürzlich veröffentlichten wissenschaftlichen Artikel beschrieben, halten wir es für dringend erforderlich, dass Wissenschaftler:innen, Politiker:innen, Behörden, die plastikproduzierende und -verarbeitende Industrie sowie die Zivilgesellschaft in einen Dialog treten. Nur so können wir der Plastikverschmutzung schnell und umfassend entgegenwirken.
Wann würden Sie von einem Erfolg der Konferenz sprechen?
Jahnke: Ideal wäre es, sich verbindlich auf Ziele bei plastik-assoziierten Chemikalien, bei der Plastikprimärproduktion und zum Verbot problematischer Kunststoffprodukte zu einigen, die im Anschluss auf einer COP (Conference of the Parties) konkret ausgehandelt werden könnten. Diese Ziele könnten grundlegend im Abkommen verankert werden und von unabhängigen Gruppen im Nachgang detailliert verhandelt und festgelegt werden. Zudem sind regelmäßige Anpassungen an den aktuellen Stand der Wissenschaft nötig.
Kühnel: Gelingt es im Abkommen, den gesamten Lebenszyklus von Kunststoffen zu berücksichtigen, also von der Ressourcengewinnung über die Produktion bis hin zu Entsorgung und Recycling, wäre das perfekt. Plastik sollte nicht nur als Abfall reguliert werden, denn die Probleme fangen bereits bei der umweltschädlichen Herstellung von Plastikprodukten an. Die Weltgemeinschaft muss ins Handeln kommen. Mit jeder weiteren Verzögerung werden die Probleme größer.
Prof. Dr. Annika Jahnke
Leiterin UFZ-Department Exposure Science
annika.jahnke@ufz.de
Dr. Dana Kühnel
UFZ-Department of Ecotoxicology
dana.kuehnel@ufz.de
Jahnke, A. et al.: Perspective article: Multisectoral considerations to enable a circular economy for plastics; Journal of Hazardous Materials, 21 July 2025; https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2025.139326
https://hactoendplasticpollution.org/#
https://ikhapp.org/scientistscoalition/
https://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=24/2025
https://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=05/2025
https://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=44/2024
https://www.ufz.de/index.php?de=36336&webc_pm=12/2024
https://www.ufz.de/p-leach/
Prof. Annika Jahnke / UFZ
Source: Sebastian Wiedling
Copyright: UFZ
Dr. Dana Kühnel / UFZ
Source: Sebastian Wiedling
Copyright: UFZ
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
Chemistry, Economics / business administration, Environment / ecology, Social studies
transregional, national
Research results, Transfer of Science or Research
German
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