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Wissenschaft
Auswertung aktueller Befragungen
Neue Studie des WSI: Wie die AfD von Krisen, Ängsten und Benachteiligungsgefühlen profitiert und in neue Schichten von Wählenden vordrang
Migrations- und demokratiefeindliche Parteien sind weltweit auf dem Vormarsch. In Deutschland bekam die zumindest in Teilen rechtsextreme AfD bei der vergangenen Bundestagswahl 20,8 Prozent der Zweitstimmen – exakt doppelt so viel wie bei der vorletzten Wahl. Wie gelang der Partei ein derartiger Zuwachs – was sind treibende Faktoren und welche Rollen spielen die jüngsten politischen und wirtschaftlichen Krisen? Wie unterscheidet sich die Kernwähler*innenschaft von den AfD-Wählenden, die neu hinzugekommen sind?
Das hat Dr. Andreas Hövermann untersucht, der am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zu den Themen Transformation und demokratische Integration forscht.* Die Daten für seine Studie stammen aus verschiedenen Wellen der Erwerbspersonenbefragung der Stiftung. Der Wissenschaftler spricht vom „Vordringen“ der AfD „in neue Schichten außerhalb ihrer rechtsradikalen Kernwählerschaft“. Eine wichtige Rolle spielen Benachteiligungsgefühle und Abstiegsängste, die mit Verunsicherungen verbunden sind. Die Antwort auf diese Verunsicherung sollte ein „positiver demokratischer Zukunftsentwurf sein, der die soziale Absicherung gerade der Personen, die von dem Wandel des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind, in den Mittelpunkt stellt“, analysiert das WSI. Wichtig sei, den Menschen echte Alternativen statt Sündenböcke anzubieten.
In der aktuellsten Erhebungswelle wurden im März 2025 nach der Bundestagswahl knapp 6.700 Erwerbspersonen befragt. Die Verdopplung der Stimmenzahl für die AfD spiegelt sich auch in der Stichprobe wider: Sie enthält annähernd gleich viele Befragte, die schon 2021 AfD gewählt hatten wie Befragte, die 2025 zur AfD gewechselt sind.
Für wen haben AfD-Neuwählende zuvor gestimmt? Hier ist kein klares Muster erkennbar. Rund 60 Prozent wählten 2021 CDU/CSU, SPD und FDP, wobei die FDP an der Spitze steht: Knapp 22 Prozent derer, die sich 2025 neu für die AfD entschieden haben, hatten zuvor FDP gewählt. Knapp 21 Prozent der Neuwähler*innen hatten 2021 ihre Stimme der Union gegeben, gut 18 Prozent der SPD. Auch von zuvor Nichtwählenden konnte die AfD hinzugewinnen – 15 Prozent der AfD-Neuwählenden sind 2021 nicht zur Wahl gegangen. Niedrige einstellige Anteile entfallen auf Linke und Grüne. Frühere Wählerinnen und Wähler anderer Parteien stellen 16 Prozent der neuen AfD-Wählenden. Insgesamt sei festzuhalten, so Hövermann, dass es der AfD gelungen ist, in erheblichem Ausmaß „ehemalige Wählende der politischen Mitte“ anzusprechen.
Außerdem hat der Wissenschaftler untersucht, inwieweit sich neue Wähler*innen von der Stammwählerschaft der AfD unterscheiden. Während AfD-Stammanhänger*innen deutlich überdurchschnittlich häufig männlich und oft mittelalt sind, einen niedrigen bis mittleren Schulabschluss aufweisen und häufiger in Ostdeutschland leben, zeigt sich dies für neuere Wählende teilweise weniger deutlich. Punkten konnte die AfD zuletzt stärker auch bei Frauen als zuvor. Unter denjenigen, die zuletzt zur AfD gewechselt sind, lässt sich „erstmalig kein Männerüberschuss mehr aufzeigen“. Verglichen mit der Stammwähler*innenschaft sind verstärkt auch Westdeutsche und Menschen in der Altersgruppe von 56 bis 65 Jahren hinzugekommen.
Häufiger als die alte Riege vertreten diejenigen, die zur AfD gewechselt sind, neben der Forderung nach Zuwanderungsbegrenzung in wirtschaftspolitischen Fragen auch „linkere“ Positionen. Sie sprechen sich beispielsweise häufiger für eine Verringerung der Ungleichheit oder einen höheren Mindestlohn aus.
Allerdings sind Verteilungsfragen nicht die, die AfD-Wählende am meisten bewegen. Die Migration bleibt das Thema Nummer eins, wie auch die vorliegende Studie zeigt. Wenig Mitgefühl und Unterstützungsbereitschaft äußern AfD-Wählende auch gegenüber Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind – wobei die Solidarität mit Geflüchteten aus der Ukraine auch bei Wähler*innen anderer Parteien deutlich nachgelassen hat. „Explizit kein Mitgefühl“ äußerten zuletzt 64 Prozent der AfD-Wählenden und 24 derer, die anderen Parteien als AfD und BSW ihre Stimme gaben.
Der Groll richtet sich aber nicht nur gegen Geflüchtete, die sich „hinten anstellen“ sollen – das sahen 85 Prozent der AfD-Wählenden bei der vorletzten Welle der Erwerbspersonenbefragung im vergangenen Dezember so. Auch gegenüber Bürgergeldbeziehenden dominiert die Ablehnung: Zwei Drittel der AfD-Wählenden stimmen der Aussage zu, dass sich Menschen, die Sozialhilfe oder Bürgergeld beziehen, „auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben“ machten.
-Ausgeprägte Benachteiligungsgefühle-
Besonders ausgeprägt sind die Ablehnung von Geflüchteten und Bürgergeldbeziehenden bei AfD-Wählenden, die das Gefühl haben, von der Gesellschaft „systematisch vernachlässigt“ zu werden – während andere „mehr bekommen als sie verdienen“. WSI-Forscher Hövermann spricht von „empfundener relativer Deprivation“ als wichtigem Verstärker von Ungerechtigkeitsgefühlen. Gerade Arbeiter*innen, unter denen die AfD besonders hohe Zustimmungsquoten hat – was allerdings nicht heißt, dass diese die Mehrheit der AfD-Wählenden stellen –, verspüren häufig einen „Bruch in der moralischen Ökonomie“. Selbst hart und unter schwierigen Bedingungen zu arbeiten, löst bei einigen Zorn und Ungerechtigkeitsgefühle aus, die sich dann gegen politische Entscheidungsträger*innen, aber vor allem gegen diejenigen richten, die vermeintlich bevorzugt werden und angeblich nichts leisten.
Die politischen Krisen der jüngeren Vergangenheit dürften ebenfalls dazu beigetragen haben, dass die AfD in den Augen vieler Wahlberechtigter attraktiver geworden ist. So lässt sich mithilfe verschiedener Wellen der Erwerbspersonenbefragung zeigen, dass die persönliche Belastung während der Corona-Pandemie und die Unzufriedenheit mit den politischen Maßnahmen mit höheren Zustimmungswerten für die AfD zusammenhängen. Gleiches gilt für die Sorge um den eigenen Lebensstandard, als die Preise infolge des Krieges in der Ukraine vorübergehend stark anzogen. Auch hier wirken empfundene Benachteiligungsgefühle als Verstärker. Und noch etwas erhöht offenbar die Bereitschaft, für die AfD zu votieren: Transformationsängste. Wer etwa den Verlust des Arbeitsplatzes infolge von Digitalisierung und Dekarbonisierung der Wirtschaft fürchtet, wählt eher rechtsaußen, wie auch schon eine frühere WSI-Studie zeigt.
„Die AfD mobilisiert erfolgreich Ängste und soziale Verunsicherungen. Diese beruhen einerseits auf Erfahrungen von Wohlstandsverlusten, zum Beispiel aufgrund der hohen Inflation. Verunsicherung resultiert aber auch aus Ängsten vor der Zukunft“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, Wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Ein Teil der Erwerbspersonen empfindet Transformationsprozesse, wie den sozial-ökologischen Wandel und die Digitalisierung, vor allem als Bedrohung des eigenen Status. Die Antwort auf diese nachvollziehbare Verunsicherung sollte ein positiver demokratischer Zukunftsentwurf sein, der die soziale Absicherung gerade der Personen, die von dem Wandel des Arbeitsmarktes besonders betroffen sind, in den Mittelpunkt stellt.“
Studienautor Hövermann ergänzt: „Die AfD schaffte es zuletzt, sich bei ihren Wählenden als einziger Heilsbringer zu positionieren“, indem sie sich für ihre Wählenden glaubhaft von etablierten politischen Kräften abgrenzt. Trotz ihrer zunehmenden Radikalisierung stehe die Partei für viele ihrer Wähler*innen für einen politischen Wandel und nicht für eine Gefahr für die Demokratie und die Bürger*innen.
Umso dringender sei der Bedarf nach hoffnungsstiftenden, positiven Zukunftsbildern unter Demokrat*innen. Möglich sei es, dass etwa von den notwendigen Investitionen in die soziale Infrastruktur im besten Fall auch das Signal eines Aufbruchs für eine positive Zukunftsvision ausgeht, das dringend nötig sei, um der Niedergangsrhetorik der AfD Gründe für Zuversicht entgegenzusetzen. Es müsse darum gehen, den Menschen echte Alternativen statt Sündenböcke anzubieten. Durchaus auch indem Emotionen angesprochen werden: „Empörung über reale Ungerechtigkeiten“ ist berechtigt. Allerdings muss unbedingt eine klare Abgrenzung zur „diffamierenden, radikalen Emotionskultur“ der extremen Rechten erfolgen, um die Demokratie wieder zu stärken.
Und die Zeit drängt. Auswertungen anderer Studien nach Wahlkreisen, die zeigen, wo die AfD besonders stark hinzugewonnen hat, verdeutlichen, dass die AfD dort besonders gut neue Anhänger*innen erreicht hat, wo sie ohnehin schon stark vertreten war. „Wo man also Nachbarn, Kollegen und Kolleginnen oder Bekannten im Sportverein begegnet, die die AfD wählen, und wo vermutlich auch beispielsweise weniger Anstoß daran genommen wird, wenn die Straßen mit AfD-Wahlplakaten gesäumt sind.“ Also dort, wo „die Normalisierung der AfD und die rechte Hegemonie“ besonders weit fortgeschritten sind.
Dr. Andreas Hövermann
WSI-Experte für Transformation und demokratische Integration
Tel.: 0211-7778-655
E-Mail: Andreas-Hoevermann@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
*Andreas Hövermann: Die Verdopplung des AfD-Elektorats, WSI-Study Nr. 42, August 2025. Download: https://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_studies_42_2025.pdf
Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, Media and communication sciences, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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