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08/07/2025 11:27

Im Wurzelraum für die Zukunftsstadt

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

    In dem außergewöhnlichen Seminar „Crazy Roots“ an der TU Berlin gruben Studierende altes Wissen aus und entdeckten dabei, wie Pflanzenwurzeln zum Schlüssel für klimaresiliente Städte werden. Mit Pinsel, Spaten und Zeichenstift entstand ein einzigartiger Blick in den Untergrund urbaner Zukunft

    Wie tief müssen Wurzeln gehen, damit unsere Städte grüner, widerstandsfähiger und lebenswerter werden? Diese Frage stellten sich über 30 Student*innen der Landschaftsarchitektur an der Technischen Universität Berlin in einem einzigartigen Blockseminar mit dem Titel „Crazy Roots“. Unter der Leitung von Daniela Corduan und Dominic Wachs vom Fachgebiet Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung sowie Christine Guérard vom Lehrgebiet Darstellung und Gestaltung am Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung arbeiteten sie eine Woche lang auf Versuchsflächen der Universität, legten Pflanzenwurzeln frei und hielten ihre Erkenntnisse in wissenschaftlichen Zeichnungen fest. „Das Bewusstsein für das Unsichtbare im Boden ist in Zeiten des Klimawandels entscheidend“, erklärt Daniela Corduan. „Wurzelsysteme geben uns wichtige Hinweise darauf, wie Pflanzen mit Trockenheit, Bodenverdichtung oder Nährstoffarmut umgehen. Dieses Wissen brauchen wir dringend für die Begrünung von Städten.“

    Eine alte Methode für die Stadt von morgen
    Die Grundlage des Seminars ist eine wissenschaftliche Methode, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Pflanzen werden dabei direkt am Standort vorsichtig freigelegt und ihr Wurzelsystem zeichnerisch dokumentiert. Diese Technik wurde maßgeblich von der österreichischen Botanikerin Lore Kutschera und ihrem Kollegen Erwin Lichtenegger geprägt, deren Wurzelatlanten aus den 1960er Jahren bis heute eine einzigartige Quelle für pflanzenphysiologische Erkenntnisse sind.

    Im Gegensatz zu modernen Untersuchungsverfahren, bei denen Pflanzen einfach herausgezogen und dabei beschädigt oder vollständig entfernt werden, legt das Seminar besonderen Wert darauf, dass die Pflanzen im Boden überleben. Die Studierenden arbeiten mit feinen Werkzeugen wie Pinseln, ähnlich wie bei einer archäologischen Grabung. Dabei wird nicht nur die Wurzelform selbst sichtbar, sondern auch ihre Reaktion auf unterschiedliche Bodenverhältnisse. Ein Aspekt, der für die Praxis der Landschaftsarchitektur von enormer Relevanz ist. „So lernen die Studierenden, wie komplex die Beziehung zwischen Pflanze, Boden und Umwelt ist“, sagt Christine Guérard. „Gleichzeitig üben sie, wissenschaftliche Erkenntnisse gestalterisch umzusetzen. Das ist eine wichtige Fähigkeit in der kommunikativen Dimension unserer Disziplin, in der es zum Arbeitsalltag gehört, Planungsprojekte anschaulich und überzeugend zu präsentieren.“

    Forschung trifft Lehre
    Die Versuchsflächen des Seminars stammen aus zwei abgeschlossenen Forschungsprojekten. Daniela Corduan forschte zu artenreichen Regenwasser-Versickerungsmulden, die Teil einer klimaangepassten, blau-grünen Infrastruktur in Städten sind. Parallel wurden in einem weiteren Projekt von Dominic Wachs neue Pflanzkombinationen aus Gehölzen und krautigen Arten mit dem Ziel untersucht, Biodiversität bei gleichzeitiger Pflegeleichtigkeit zu fördern. Die so entstandenen Pflanzungen boten ideale Bedingungen, um nun die darunter liegenden Wurzelräume wissenschaftlich zu erschließen. „Was wir hier schaffen, ist forschungsbasierte Lehre in Reinform“, erklärt Daniela Corduan. „Die Studierenden übernehmen praktische Aufgaben, die uns in der Forschung sonst kaum möglich wären, und erhalten im Gegenzug tiefe Einblicke in Methodik, ökologische Zusammenhänge und gestalterische Umsetzung.“ Die Ergebnisse aus dem Seminar sollen auch in Doktorarbeiten am Fachgebiet einfließen. Die Studierenden dokumentieren ihre Arbeit nicht nur zeichnerisch, sondern auch in Form eines Forschungstagebuchs, das Methoden, Standortbedingungen und persönliche Reflexionen umfasst. Die Ergebnisse werden im kommenden Semester im Offenen Haus der Landschaftsarchitektur öffentlich ausgestellt.

    Wurzeln als Schlüssel für grüne, resiliente Städte
    In städtischen Planungsprozessen wurde der unterirdische Raum bisher oft vernachlässigt. Doch gerade Wurzeln spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um klimaresiliente Begrünung geht. Sie ermöglichen die Tiefenverankerung von Bäumen, fördern die Versickerung von Regenwasser, stehen im Austausch mit Bodenorganismen wie Pilzen und Bakterien und sind essenziell für die langfristige Gesundheit von Pflanzen. Besonders bei Dach- und Fassadenbegrünungen, wo Platz und Substrat begrenzt sind, entscheidet das Wurzelverhalten über Erfolg oder Scheitern. „Es reicht nicht, einen Baum in ein kleines Pflanzloch zu setzen und zu hoffen, dass er dort 80 Jahre überlebt“, betont Daniela Corduan. „Wir müssen vom Wurzelraum her denken und die Stadt drumherum gestalten.“ Christine Guérard ergänzt: „Landschaftsarchitektur arbeitet nicht nur an der Oberfläche. Unsere Disziplin denkt in Schichten, in der Tiefe des Bodens, in ökologischen Prozessen und über lange Zeiträume hinweg. Diese Perspektive ist unverzichtbar, wenn Städte künftig lebensfähig bleiben sollen.“

    Stimmen aus der Grube: eine neue Perspektive auf Pflanzen
    Auch für die Student*innen war das Seminar ein bisher einzigartiges Erlebnis. Günter Frese, Student im neunten Semester, erzählt: „Das ist wirklich eine gute Abwechslung zum Uni-Alltag. In der Grube zu sitzen und zu sehen, wie unterschiedlich die Wurzeln auf harte oder lockere Böden reagieren, das war für mich neu.“ Quentin Brandenfels, im zweiten Semester, hat vor allem das praktische Arbeiten faszinierte: „Es macht Spaß mit Dreck unter den Nägeln mit den Händen zu arbeiten, anstatt im Seminarraum zu sitzen. Und es ist spannend, die Pflanze nicht nur oberirdisch zu sehen, sondern als ganzes System zu begreifen.“

    Ein Beitrag zur Transformation der Stadtplanung
    Das Seminar „Crazy Roots“ ist ein Beispiel dafür, wie Universität, Forschung und gesellschaftliche Verantwortung miteinander verknüpft werden können. „Die Erkenntnis, dass Pflanzen nicht einfach ,funktionieren', wenn man sie irgendwo hinsetzt, sondern dass sie komplexe Lebensräume und sorgfältige Planung benötigen, muss noch stärker in Bauprozesse, Stadtentwicklung und politische Entscheidungen einfließen“, fordert Daniela Corduan. „Wir wissen längst, was wir tun müssten“, fasst Christine Guérard zusammen. „Jetzt braucht es Mut, Willen und Mittel in Politik und Verwaltung, um von der Pflanze aus zu denken und Städte von Grund auf nachhaltig zu gestalten.“

    Weitere Informationen erteilen Ihnen gern:
    Daniela Corduan
    Fachgebiet Vegetationstechnik und Pflanzenverwendung
    Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung
    Fakultät Planen Bauen Umwelt
    E-Mail: d.corduan@tu-berlin.de

    Christine Guerard
    Lehrgebiet Darstellung + Gestaltung
    Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung
    Fakultät Planen Bauen Umwelt
    E-Mail: christine.guerard@tu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Construction / architecture, Environment / ecology, Oceanology / climate
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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