idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Die Analyse der zunehmenden Bebentätigkeit in den vergangenen Jahren deckt u.a. langperiodische Signale auf, die auf Fluid-gefüllte rissartige Strukturen hinweisen. Das bietet neue Ansätze zur Risikoeinschätzung.
Zusammenfassung
In den letzten Jahren sorgen die zunehmenden Erdbeben im Vulkankomplex der Phlegräischen Felder unter dem Ballungsraum der 900.000-Einwohner-Metropole Neapel in Italien für Unruhe. Erst kürzlich wurde das bisher stärkste Beben der Region mit einer Magnitude von M 4,6 registriert. Die Beben gehen mit der Hebung des Bodens einher, die seit 2005 rund 1,4 Meter betrug. Die Analyse ausgewählter Beben der letzten zehn Jahre hat nun neue Einblicke in die vulkanischen Strukturen ermöglicht. Sie wurden von einem Team um Giacomo Rapagnani von der Universität Pisa und Dr. Simone Cesca vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam im Fachmagazin Nature Communications Earth and Environment veröffentlicht und bieten neue Ansätze zur Risikoeinschätzung. Unter anderem weisen neu entdeckte langperiodische seismische Signale auf eine rissartige Struktur in rund 3,5 Kilometern Tiefe hin. Sie verbindet das darunterliegende Magma- und Gasreservoir mit oberflächennahen Fumarolen, also vulkanischen Dampfaustrittsstellen. Die Resonanzfrequenz der Signale hat sich über die vergangenen Jahre hinweg nicht geändert, was darauf hinweist, dass das Deckgebirge über dem magmatischen Reservoir derzeit noch stabil ist.
Hintergrund: Beben und Bodenhebung in den Phlegräischen Feldern
Die Phlegräischen Felder sind ein Vulkankomplex innerhalb einer großen Calderastrukur in der dicht besiedelten Bucht von Neapel in Italien. Seit 2005 hat sich dort der Boden um ca. 1,4 Meter gehoben, begleitet von Erdbeben zunehmender Stärke bis zu einer Magnitude von M 4,6 am 30.06.2025. Erdbeben und Bodenhebung werden auf eine entgasende Magmaquelle und die Wechselwirkungen zwischen magmatischen und hydrothermalen Flüssigkeiten zurückgeführt. Über die Wechselwirkungen und die Geometrie der seismogenen Strukturen wird in der Wissenschaft jedoch diskutiert.
Neue Einblicke in die seismogenen Strukturen
Nun hat ein internationales Team aus Forschenden des Istituto Nazionale di Geofisica e Vulcanologia (INGV), der Universität Pisa (Italien) und des GFZ Helmholtz-Zentrums für Geoforschung in Potsdam (Deutschland) vulkanisch-tektonische Erdbeben der letzten 10 Jahre in den Phlegräischen Feldern untersucht. Aus der Analyse der seismischen Wellenformen rekonstruierten die Forschenden die Geometrie der verschiedenen seismogenen Strukturen.
Unter anderem haben sie Ort, Tiefe und Orientierung zahlreicher Schwächezonen und die Mechanismen der Erdbebenquellen bestimmt. Dabei bestätigen die aktuellen Ergebnisse für den Landbereich frühere Studien, liefern für den untermeerischen Bereich östlich von Bacoli jedoch auch neue Geometrien und Verwerfungsarten.
Erstmaliger Nachweis langperiodischer Signale und ihre Bedeutung
Die Studie liefert auch den ersten Nachweis von resonanzartigen Signalen mit sehr langer Periode (VLP) in den Phlegräischen Feldern: Die Forschenden berichten von mehr als einem Dutzend solcher VLPs mit einer Dauer von ~60-90 Sekunden und einer dominanten Frequenz von ~0,11 Hertz seit 2018. Die VLPs treten unterhalb der CO2-Emissionen in Solfatara auf, einem Trockenmaar im Stadtgebiet von Pozzuoli, westlich von Neapel.
VLP-Signale und Resonanzprozesse werden gelegentlich auch an anderen Vulkanen beobachtet, aber in den Phlegräischen Feldern wurden sie bisher noch nie nachgewiesen.
„Wir interpretieren die VLP-Signale als Resonanz einer oder mehrerer mit Fluid gefüllter Risse, die die Verformungsquelle in der Tiefe mit den Fumarolen an der Oberfläche verbinden. Diese oszillierende, mit Gas gefüllte Struktur bietet einen Weg für die Entgasung, wobei es zu einer Wechselwirkung zwischen Flüssigkeitsaufstieg, flachem Aufbrechen und Resonanzprozessen kommt”, sagt Giacomo Rapagnani, Erstautor der Studie und Doktorand an der Universität Pisa, der mit einem INGV-Stipendium gefördert wird.
Die Dimension der neu entdeckten Struktur wird von den Forschenden aufgrund der Resonanzfrequenz und der Lage eines darüber befindlichen Clusters ungefähr auf eine Länge von 1000 Meter, eine Breite von 650 Meter und eine Höhe von rund 0,35 Meter geschätzt.
Relevanz der Beobachtungen
Was bedeutet das? „Interessanterweise waren die VLP-Wellenformen und -Spektren in den letzten Jahren äußerst ähnlich. Dies deutet darauf hin, dass die Geometrie und die Bedingungen der Resonanzquelle recht stabil geblieben sind und wir keine Anzeichen für wesentliche Veränderungen der physikalischen Eigenschaften der Fluide sehen“, sagt Dr. Simone Cesca, zweiter Autor und Wissenschaftler in der GFZ-Sektion „Erdbeben- und Vulkanphysik“. „Die unveränderliche Resonanzfrequenz zeigt uns, dass die Rissstrukturen unter der Solfatara in den letzten Jahren wahrscheinlich nicht gewachsen sind, trotz stetiger Bodenhebung. Insofern haben wir bisher keine Hinweise auf einen unmittelbar bevorstehenden Ausbruch in der Solfatara.“
„Diese Beobachtung unterstreicht die Relevanz der erzielten Ergebnisse für die Verfolgung der dynamischen Entwicklung des Vulkans, obwohl weitere Untersuchungen erforderlich sind, um die physikalischen Prozesse, die das System steuern, besser einzugrenzen“, sagt Gilberto Saccorotti vom INGV.
„Diese Studie zeigt, wie wichtig die Entwicklung und Anwendung ausgefeilter Techniken zur Analyse seismologischer Daten für ein besseres Verständnis komplexer geophysikalischer Prozesse wie Erdbeben und Vulkanausbrüche ist. Nur wenn wir die Grenzen unserer Fähigkeit zur Analyse großer Mengen heterogener Daten erweitern, können wir unser Verständnis dieser Phänomene verbessern und die damit verbundenen Risiken wirksamer mindern“, sagt Francesco Grigoli von der Universität Pisa.
Hintergrund: GFZ-Messstationen im Bereich der Phlegräischen Felder
Das GFZ hat im Juni 2024 im Bereich der Phlegräischen Felder zur Verstärkung des lokalen Netzes in Zusammenarbeit mit dem Osservatorio Vesuviano des INGV neun SeismiQ/QuakeSaver Seismometer aufgebaut, die seither in Echtzeit Daten zu GEOFON senden und auch zur aktuellen Studie beigetragen haben.
Das GEOFON-Programm ist Teil der MESI-Infrastruktur des GFZ. Es besteht aus einem weltumspannenden seismischen Netzwerk (GE Netzwerk), einem seismologischen Datenzentrum (GEOFON_DC) und einem globalen Erdbebenüberwachungssystem (GEOFON EQinfo), GEOFON bietet seismische Echtzeit-Daten, Zugriff auf eigene und externe Daten in seinem Archiv sowie schnelle und weltweite Erdbebeninformationen.
GEOFON hat auch den Earthquake-Explorer entwickelt zur schnellen und weltweiten Bereitstellung von Erdbeben-Informationen - sowohl zu aktuellen Erdbebenereignissen wie auch zu länger zurückliegenden Beben (bis August 2007).
Dr. Simone Cesca
Sektion 2.1 Erdbeben- und Vulkanphysik
GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung
Tel.: +49 331 6462-28794
E-Mail: simone.cesca@gfz.de
Prof. Dr. Torsten Dahm
Leitung Sektion 2.1 Erdbeben- und Vulkanphysik
GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung
Tel.: +49 331 6462-1200
E-Mail: torsten.dahm@gfz.de
Rapagnani, G., Cesca, S., Saccorotti, G., Petersen, G., Dahm, T., Bianco, F., Grigoli, F., 2025. Coupled earthquakes and resonance processes during the uplift of Campi Flegrei caldera. Commun Earth Environ 6, 607 (2025).
https://doi.org/10.1038/s43247-025-02604-7
https://www.gfz.de/sektion/seismologie/infrastruktur/geofon
https://geofon.gfz.de/eqexplorer/
Campi Flegrei: Die Beben der letzten Jahre
Copyright: CC BY-NC-ND 4.0: Abb. 1 aus Commun Earth Environ 6, 607 (2025). https://doi.org/10.1038/s43247-025-02604-7
Criteria of this press release:
Business and commerce, Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
Construction / architecture, Geosciences, Oceanology / climate
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).