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08/12/2025 12:12

Soziale Fragen rund um Maßnahmen zur Klimaanpassung

Sabine Letz RIFS Presse und Kommunikation
Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

    Mit der Erderwärmung werden Wetterereignisse extremer, die Gesellschaft muss sich anpassen. Wie sieht das konkret im lokalen Kontext aus? Ein Team des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit (RIFS) hat zusammen mit Erftverband und Internationalem Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) im Einzugsgebiet der Erft, was nahe des Ahrtales liegt, welches vom Hochwasser im Juli 2021 betroffen war, anhand eines Real-World-Labs untersucht, inwieweit bei Anpassungsprozessen auch ethisch-soziale Fragen eine Rolle spielen.

    Nach der Flut- und Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 liegt auf der Hand, dass für solche Regionen ein Katastrophenrisikomanagement und eine Anpassungsstrategie umgesetzt und aufgebaut werden sollte. Laut wissenschaftlicher Prognosen könnten sich derartige Fluten künftig öfter und stärker ereignen. Im Einzugsgebiet der Erft agieren lokale Gemeinden und Interessensgruppen sowie regionale und landesweite Akteure, was ein Zusammenspiel verschiedener Regierungsebenen mit sich bringt – von kommunal über regional bis landesweit. Der Klimawandel bringt hydrologische Extremereignisse, aber auch wieder extreme Dürren mit sich. Die Überschwemmungen von 2021 haben verheerende Schäden angerichtet, über 100 Menschenleben gefordert und enorme wirtschaftliche Schäden verursacht.

    Daher hat sich das Erft-Einzugsgebiet im Westen Deutschlands als Fallbeispiel für die nun veröffentlichte Studie „Just Systems or Justice in Systems? Exploring the Ethical Implications of Systemic Resilience in Local Climate Adaptation” angeboten. Das Beispiel eröffnete zugleich die Chance, die wissenschaftlichen Fragen des RIFS-Teams im lokalen Kontext zu überprüfen. Erstautor Benjamin Hofbauer vom RIFS: „Mit dem Fokus auf Klimawandelanpassungen bieten sich verschiedene Maßnahmen an, von Dämme bauen über Renaturierung oder Umsiedlung der dort Lebenden in sichere Gebiete. Jedoch was davon sind vernünftige Herangehensweisen? Dabei ist der Maßstab ‚vernünftig‘ nicht nur, finanzielle und wirtschaftliche Schäden zu verhindern, sondern auch die ethisch-soziale Gerechtigkeitsfrage mitzudenken.“

    Zum besseren Verständnis der Lage vor Ort haben Mitarbeitende des Erftverbandes ihre Expertise in die Studie eingebracht. „Es wurde deutlich, wie stark die unterschiedlichen Perspektiven, Werte und Weltanschauungen derjenigen einfließen, die Entscheidungen beeinflussen, über mögliche kurz- und langfristige Maßnahmen nachdenken und diese konzipieren“, sagt RIFS-Wissenschaftler Hofbauer. „Wenn wir über Resilienz und Anpassung sprechen, dann treffen wir immer Entscheidungen für oder gegen etwas, wir machen Abwägungen und das ist ethisch relevant.“

    Wertekonflikte durch unterschiedliches Gerechtigkeitsverständnis

    Bei allen, durch den Klimawandel notwendigen Anpassungsentscheidungen treten folglich diese Wertekonflikte auf, die von verschiedenen Gerechtigkeitsverständnissen abstammen: Die eine Person tritt nach einem Unglück wie etwa im Ahrtal ein für ihr Recht auf ihren Bauernhof, ihren Grund und Boden. Während eine andere dem Fluss sein Recht auf ein freies Mäandern durch die Landschaft einräumen würde, um der Artenvielfalt einen Lebensraum zu bieten und das Ursprüngliche der Natur zu erhalten. Eine dritte Person möchte wiederum die Dämme höher bauen, um den Schutz zu erhöhen und wesentlichen Veränderungen an der eigenen Lebensführung auszuweichen.

    Wie kann Anpassung gerecht umgesetzt werden

    Aus ethisch-sozialer Sicht erfordert eine vergleichbare Situation wie sie sich im Ahrtal zutrug, dass der Entscheidungsprozess fair und gerecht abläuft. Bedeutet: Keine Partei sollte durch die Verhandlungen benachteiligt werden. Auch wenn es schwierig sein mag, all die erwähnten Gerechtigkeitsanforderungen zu erfüllen, können offene Kommunikationskanäle und die Klärung von Verantwortlichkeiten ein erster Schritt zu einer effektiveren und damit potenziell gerechteren Umsetzung von Maßnahmen sein.

    Am Ende kann die Situation wie sie hier beschrieben wird auf jeden anderen Anpassungsprozess – ob im eigenen Dorf, kommunal oder international – übertragen werden. Denn überall haben Menschen legitime Gründe für ihre Position, aufgrund eines anderen Gerechtigkeitsverständnisses, aufgrund intergenerationeller Unterschiede, aufgrund lokaler kultureller Gerechtigkeit, aufgrund juristischer Gerechtigkeit. Um ethische Akzeptanz für Maßnahmen zu erreichen, sollten Entscheidungen für Klimaanpassungen daher ebenso Fragen der sozialen Gerechtigkeit berücksichtigen, beispielsweise in Workshops und durch ko-kreative Praktiken mit lokal betroffenen Gemeinschaften.

    Zusatzinformation:

    Das Konzept der Real World Labs
    Unter „Real World Labs“ (RWL) sind lokale Gemeinschaften zu verstehen, die als Testfelder für Anpassungsstrategien dienen. Für die Fallstudie wird ein Einzugsgebiet als RWL konzipiert, wo lokale Praktikerinnen und Praktiker sowie Expertinnen und Experten, Interessengruppen, öffentliche Teilnehmende sowie externe Wissenschaftler und -innen ein gemeinsames Forschungsprojekt und eine gemeinsame Agenda erstellen. Das Rhein-Erft-Gebiet wurde ausgewählt, da es derzeit aktiver Partner in einem europäischen Forschungsprojekt zur Verbesserung der lokalen Katastrophenresilienz und Klimaanpassung ist (DIRECTED).

    Resilienz oder Widerstandsfähigkeit: Oberbegriff für die Fähigkeit eines Systems, auf Widrigkeiten zu reagieren, sich zu erholen, anzupassen oder zu transformieren. Das Konzept der Resilienz ist in der Regierungsführung und Politik nicht neu und kann in eine Form des technokratischen Solutionismus münden, eine Hörigkeit gegenüber technischen Lösungen für komplexe sozial-ökologische Probleme.


    Contact for scientific information:

    Dr. Benjamin Hofbauer
    Wissenschaftlicher Mitarbeiter
    Mail: benjamin.hofbauer@rifs-potsdam.de
    Telefon: +49 331 6264-3147


    Original publication:

    Hofbauer, B., Einhäupl, P., Hochrainer-Stigler, S., Löhrlein, J., Bittner, D., & Schweizer, P.-J. (2025). Just Systems or Justice in Systems? Exploring the Ethical Implications of Systemic Resilience in Local Climate Adaptation. International journal of disaster risk science. doi:10.1007/s13753-025-00653-2.


    More information:

    https://www.rifs-potsdam.de/de/news/soziale-fragen-rund-um-massnahmen-zur-klimaa...
    https://www.rifs-potsdam.de/de/forschung/katastrophenresilienz-fuer-extreme-klim...


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Environment / ecology, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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