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08/14/2025 11:49

Hirntumorzellen im Schlafmodus einfrieren

Dr. Sibylle Kohlstädt Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Krebsforschungszentrum

    Jeder Hirntumor ist aus Zellen in aufeinander abfolgenden Aktivierungsstadien aufgebaut. Forschende vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Universität Heidelberg haben nun bei bösartigen Hirntumoren erstmals den individuellen Aufbau dieser Aktivierungs-Pyramiden analysiert. Dabei stießen sie auf ein Signalprotein, das den Übergang vom ruhenden zum aktivierten Zustand verlangsamt, indem es die Krebszellen epigenetisch umprogrammiert. Die Hoffnung ist, Krebszellen damit dauerhaft in einem Ruhezustand einzufrieren und damit das Tumorwachstum aufzuhalten.

    Das Glioblastom ist die häufigste und aggressivste Form von Hirntumoren im Erwachsenenalter. Trotz Operation, Bestrahlung und Chemotherapie kehren die Tumoren nach der Behandlung in der Regel innerhalb weniger Monate zurück. Wie bei vielen anderen Krebsarten wird auch beim Glioblastom das Wachstum durch Krebsstammzellen angetrieben, aus denen Tumorzellen in verschiedenen ineinander übergehenden Aktivierungsstadien hervorgehen.

    „Man kann sich die Zusammensetzung der Glioblastom-Zellen wie eine Pyramide vorstellen: Die ruhenden Zellen bilden die Basis, dann folgen die zur Teilung aktivierten, und an der Spitze stehen die so genannten differenzierten Tumorzellen, die tatsächlich einige Merkmale von Nervenzellen haben“, erklärt Studienleiterin Ana Martin-Villalba vom DKFZ.

    Viele Krebstherapien sind nicht nachhaltig, weil sie sich z.B. gegen die teilungsaktiven Tumorzellen richten, deren Verluste aber schnell aus der Population der ruhenden Zellen an der Basis der Pyramide wieder aufgefüllt werden. „Deswegen ist es wichtig zu verstehen, welcher molekulare Signalweg für den Übergang zwischen diesen beiden Aktivitätszuständen verantwortlich ist. Dann kann man gezielt nach einer medikamentösen Blockade dafür suchen, so die Wissenschaftlerin. Doch diese molekularen Wege sowie die Dynamik, mit der die verschiedenen Aktivierungszustände ineinander übergehen, sind ein bislang wenig beachteter Aspekt der Tumorbiologie.

    Das ändert sich nun mit der aktuellen Arbeit des Teams um Martin-Villalba. Die Heidelberger Forschenden entwickelten auf der Basis vom Einzelzell-mRNA-Sequenzierung ein innovatives Analyseverfahren, mit dem sie erstmals die Aktivierungszustände von Glioblastom-Zellen systematisch kartieren konnten. Dafür verglichen sie die molekularen Profile der Tumorzellen von 55 Glioblastompatienten mit denen gesunder neuronaler Stammzellen aus dem Gehirn der Maus. „Damit haben wir erstmals für jeden Patienten den individuellen Aufbau der Pyramide bestimmt – ein bislang unterschätzter Aspekt der Tumorbiologie“, erklärt Leo Carl Foerster, einer der beiden Erstautoren der Studie.

    Anteil ruhender Zellen bester Marker für langsames Tumorwachstum

    Ein zentrales Ergebnis: Je höher der Anteil ruhender Tumorzellen an der Pyramidenbasis, desto langsamer wächst das Glioblastom – und desto besser ist die Prognose für Betroffene. Durch den Vergleich der Genexpressionsdynamik in gesunden Zellen und Tumorzellen entdeckte das Team, dass beim Übergang vom ruhenden zum aktivierten Zustand die Expression des Signalproteins SFRP1 fehlgesteuert ist. SFRP1 hemmt den wichtigen Wnt-Signalweg, der unter anderem für die Aktivierung von Stammzellen wichtig ist.

    In Mausmodellen konnte eine Überexpression von SFRP1 das Tumorwachstum signifikant verlangsamen. „Durch SFRP1 konnten wir die menschlichen Tumorzellen in einen Schlafmodus versetzen. Das bremst nicht nur ihr Wachstum, sondern verlängert auch deutlich das Überleben der Mäuse“, berichtet Oguzhan Kaya, ebenfalls Erstautor.

    Krebszellen im Ruhezustand eingefroren?

    Unter dem Einfluss von SFRP1 änderten die Tumorzellen nicht nur ihre Aktivität, sondern auch ihr epigenetisches Profil – also das „Gedächtnis“ ihrer Zellidentität. Sie entwickelten Merkmale von reifen Astrozyten, also Hirnzellen, die keine Teilungsfähigkeit mehr besitzen. Diese epigenetische Reprogrammierung könnte künftig möglicherweise helfen, die Rückkehr der Tumoren zu verhindern: Die epigenetischen Methyl-Markierungen am Erbgut schränken die zelluläre Wandlungsfähigkeit ein, indem sie das Genom auf die spezifischen Funktionen differenzierter Zellen beschränkt.

    Die Forschenden fanden außerdem, dass eine Bestimmung des epigenetischen Methylprofils die Zusammensetzung der individuellen Aktivierungs-Pyramide jedes Tumors abbildet und so für eine Stratifizierung der Patienten genutzt werden kann.

    In zukünftigen Arbeiten will das Heidelberger Team prüfen, ob die SFRP1-vermittelte Umgestaltung der Methylierung Glioblastomzellen dauerhaft in einem Ruhezustand „einfrieren“ kann. Das könnte einen potenziellen Therapieansatz gegen bisher kaum kontrollierbare Erkrankungen wie das Glioblastom eröffnen. „Unsere Ergebnisse bestätigen, dass nicht alleinentscheidend ist, aktive Krebszellen zu töten, sondern dass vor allem die Blockade der Übergänge zwischen Aktivität und Ruhezustand für den Ausgang einer Therapie entscheidend ist“, resümiert Ana Martin-Villalba die Ergebnisse der Arbeit.

    Die Pressemitteilung als Mini-Podcast:
    https://www.dkfz.de/fileadmin/user_upload/Skoe/Audio/Hirntumorzellen-im-Schlafmo...
    (KI-generiert)

    Publikation:
    Leo Carl Foerster, Oguzhan Kaya, Valentin Wust, Diana-Patricia Danciu, Vuslat Akcay, Milica Bekavac, Kevin Chris Ziegler, Nina Stinchcombe, Anna Tang, Jocelyn Tang, Jan Brunken, Noelia Gesteira Perez, Xiujian Ma, Ahmed Sadik, Christiane Opitz, Haikun Liu, Christian Rainer Wirtz, Anna Marciniak-Czochra, Simon Anders, Angela Goncalves, and Ana Martin-Villalba: Cross-species comparison reveals therapeutic vulnerabilities halting glioblastoma progression.
    Nature Communications, 2025, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-62528-w

    Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.

    Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:

    Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
    Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
    Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
    Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
    DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
    Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)

    Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

    Ansprechpartner für die Presse:

    Dr. Sibylle Kohlstädt
    Pressesprecherin
    Strategische Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
    Deutsches Krebsforschungszentrum
    Im Neuenheimer Feld 280
    69120 Heidelberg
    T: +49 6221 42 2843
    E-Mail: S.Kohlstaedt@dkfz.de
    E-Mail: presse@dkfz.de
    www.dkfz.de


    Original publication:

    Leo Carl Foerster, Oguzhan Kaya, Valentin Wust, Diana-Patricia Danciu, Vuslat Akcay, Milica Bekavac, Kevin Chris Ziegler, Nina Stinchcombe, Anna Tang, Jocelyn Tang, Jan Brunken, Noelia Gesteira Perez, Xiujian Ma, Ahmed Sadik, Christiane Opitz, Haikun Liu, Christian Rainer Wirtz, Anna Marciniak-Czochra, Simon Anders, Angela Goncalves, and Ana Martin-Villalba: Cross-species comparison reveals therapeutic vulnerabilities halting glioblastoma progression.
    Nature Communications, 2025, DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-62528-w


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Medicine
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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