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08/14/2025 14:06

Kulturelles Erbe: Hilfreich oder hinderlich?

Sabine Letz RIFS Presse und Kommunikation
Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

    Wie kann kulturelles Erbe im Kontext von Klimaanpassungen als Ressource nutzbar werden? Mit dieser Frage hat sich Teresa Erbach vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) am GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung in Potsdam in einer nun veröffentlichten Studie befasst und diskutiert darin Funktionen, die Kulturerbe einnehmen kann.

    Es wird immer deutlicher, dass das „kulturelle Erbe“ zwar durch den Klimawandel bedroht wird, zugleich jedoch eine Ressource für die Anpassung sein kann. Bereits im Alten Ägypten entstanden künstliche Dämme und noch heute sind Entwässerungssysteme der mykenischen Zeit im Betrieb. Im Nordseeraum entstanden solche Infrastrukturen etwa ab 1000 nach Christus – und schon davor wurden unterschiedliche Strategien entwickelt, um mit wiederkehrenden Überschwemmungen zu leben. So wurden beispielsweise über Jahrhunderte hinweg Siedlungen nur auf landschaftlichen Erhebungen gebaut und bewusst Überschwemmungsflächen freigehalten. Solche Infrastrukturen und Strategien sind nur einige Beispiele für Strukturen, Techniken und Praktiken, die im 21. Jahrhundert Teil einer umfassenderen Strategie gegen Hochwasser wurden.

    Die Wissenschaftlerin Teresa Erbach vom RIFS hat für ihre Studie „Using Cultural Heritage in Climate Adaptation: Fields of Application and Functions“ basierend auf solchen Beispielen Kategorien von Klimawandelanpassung zusammengetragen, in denen kulturelles Erbe einen Beitrag leistet: Sein Nutzen kann dabei informativer, sozialer, wirtschaftlicher und ästhetischer Natur sein. In den unterschiedlichen Kategorien stehen jeweils bestimmte Funktionen im Vordergrund.

    Kategorien von Anpassungsmaßnahmen und Funktionen von kulturellem Erbe in den jeweiligen Bereichen:

    • Gebaute Umwelt umfasst groß angelegte Infrastrukturprojekte wie Dämme und Deiche, aber auch kleinere Strukturen wie schwimmende Häuser. Die Integration von kulturellem Erbe in diesem Bereich kann eine informative Funktion haben, wenn historische Gebäude untersucht und dabei Wissen über klimaangepasste Bauweisen gewonnen wird. Berücksichtigt man kulturelles Erbe bei landschaftlicher Gestaltung, kann dies den Umgang mit Veränderung oder Verlust von gewohnter Umgebung erleichtern; kulturelles Erbe erfüllt dann eine emotionale Funktion. Des Weiteren erfüllt es einen wirtschaftlichen Nutzen, wenn historische Infrastrukturen wie Kanäle wieder verwendet werden. Schließlich kommen ästhetische Funktionen zum Tragen, wenn in Prozessen der Landschaftsumgestaltung die Integration von kulturellem Erbe ästhetisch aufwertet.
    • Unter technischen und ökosystembasierten Optionen sind beispielsweise Anpassungsmaßnahmen für die Landwirtschaft und Technologien zur Gefahrenüberwachung zu verstehen. Genauso wie ökosystem-basierte Ansätze wie Mangroven und Salzwiesen zum Schutz der Küsteninfrastruktur. Hierbei kommen alle vier Funktionen zum Tragen: So wirkt die Nutzung von kulturellem Erbe beispielsweise informativ, wenn indigenes Wissen über klimaangepasstes Landmanagement eingebunden wird. Werden bei der (Wieder-)nutzung bestimmter beispielsweise landwirtschaftlicher Praktiken deren kulturelle Komponenten berücksichtigt, können diese kulturelle Identität und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern was soziale und emotionale Funktionen erfüllt. Eine wirtschaftliche Bedeutung kommt kulturellem Erbe in diesem Bereich beispielsweise zu, wenn durch tradierte Techniken Einkommen wie etwa durch Tourismus oder Landwirtschaft generiert wird. Schließlich können ästhetische Faktoren eine Rolle spielen, wenn die Umgebung durch solche Praktiken an landschaftlicher oder kultureller Attraktivität gewinnt.
    • Unter Verhaltensoptionen sind Maßnahmen zusammengefasst, bei denen sich Menschen an den Wandel anpassen, anstatt die Umwelt zu verändern. Beispiele hierfür: die Notfallvorbereitung auf Haushaltsebene, die Diversifizierung der Lebensgrundlage, Migration und der Aufbau verlässlicher sozialer Netzwerke. Hierbei kommen drei der Funktionen zum Tragen: Kulturelles Erbe kann beispielsweise informativ genutzt werden, wenn beim Planen von Umsiedlungen die Bedürfnisse und Prioritäten der betroffenen Bevölkerung ganzheitlich und kultursensibel ermittelt werden. Emotionale Funktionen spielen eine Rolle, wenn kulturelle Praktiken für die emotionale Verarbeitung von Verlust oder Veränderung genutzt werden. Ein wirtschaftlicher Nutzen besteht zum Beispiel, wenn kulturelle Ressourcen wie traditionelles Handwerk als Erwerbsquelle für umgesiedelte Menschen dienen.
    • Bildung umfasst Formen des Lernens über den Umgang mit klimawandelbedingten Risiken und Veränderungen. Hier wiederum finden sich zwei der Funktionen: So wird kulturelles Erbe informativ genutzt, wenn beispielsweise traditionelle Lieder Verhaltensregeln zum Umgang mit Naturgefahren weitergeben. Emotionale Komponenten werden in diesem Fall vor allem in innovativen Ansätzen adressiert, die kulturelles Erbe für die Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit und Wandel nutzen.
    • Informationsstrategien umfassen vor allem Frühwarnsysteme zum Erkennen von Naturgefahren. Beispiele für Anpassungsmaßnahmen sind systematische Überwachung und Anfälligkeitskartierung. Kulturelles Erbe hat hier bisher vor allem eine informative Funktion: Indem Prozesse der Klimaanpassung der Vergangenheit untersucht werden (die zum Teil mehrere 1000 Jahre zurückliegen), liefert dies Know-how über Gelingensbedingungen und Herausforderungen bei der heutigen Anpassung an klimatische Veränderungen.

    Schlussendlich gibt es im Umgang mit kulturellem Erbe bei Anpassungsmaßnahmen unterschiedliche Ansätze: Einerseits soll das Kulturerbe bewahrt werden, wenn es um traditionelle Techniken oder die Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Gemeinschaften durch bestehende kulturelle Praktiken geht. Andererseits wird in Wissenschaft und Praxis zunehmend für neue und kreative Herangehensweisen plädiert, die proaktiv mit dem Wandel und Verlust von kulturellem Erbe umgehen.

    Nord-Süd-Unterschied

    Ein weiterer Aspekt sind Unterschiede zwischen Beispielen aus dem Norden und Süden. So werde die Integration von kulturellem Erbe in die Planung von Schutzinfrastrukturen etwa nur in Nordeuropa diskutiert. Die Forderung, ästhetische und emotionale Aspekte zu berücksichtigen, werde in Ländern mit hohem Einkommen laut. Demgegenüber würden Anpassungsformen durch Verhaltensänderungen auf individueller Ebene ausschließlich für Länder mit niedrigem Einkommen diskutiert.

    Klimaanpassung als politische Herausforderung

    Die Frage, ob kulturelles Erbe eine Ressource oder ein Hindernis darstelle, lasse sich nicht pauschal beantworten. In jedem konkreten Fall hänge die Antwort darauf ebenso von Werten und unterschiedlichen Auffassungen von Klimaanpassung sowie von kulturellen und moralischen Aspekten ab: „Klimaanpassung ist eng mit der Frage verknüpft, was erhaltenswert ist. Ebenso welche kulturellen sowie technischen Mittel zumutbar sind und eingesetzt werden sollten. Dabei geht es auch um Fragen der Ressourcenverteilung und soziale Ungleichheit, die in Anpassungsstrategien widergespiegelt und verfestigt wird. “Klimaanpassungsstrategien müssen innerhalb einer Gesellschaft verhandelt werden“, sagt Erbach.

    Und so verweist die Schnittstelle zwischen Kulturerbe und Klimaanpassung nicht nur auf eine kulturelle, sondern auch auf die politische Dimension der Klimaanpassung.


    Contact for scientific information:

    Teresa Erbach
    Wisenschaftliche Mitarbeiterin
    Mail: teresa.erbach@rifs-potsdam.de
    Tel.: +49 331 6264-22389


    Original publication:

    Teresa Erbach: Using Cultural Heritage in Climate Adaptation: Fields of Application and Functions. Wiley Interdisciplinary Reviews - Climate Change, 16(4). doi:10.1002/wcc.70011.


    More information:

    https://www.rifs-potsdam.de/de/news/kulturelles-erbe-hilfreich-oder-hinderlich


    Images

    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Cultural sciences, Environment / ecology, History / archaeology, Oceanology / climate, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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