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Wissenschaft
Jedes Mal, wenn ein Muskel kontrahiert wird oder im Gehirn ein Gedanke entsteht, ist Calcium daran beteiligt, den Prozess in Gang zu setzen. Ist die Signalübertragung abgeschlossen, muss das Calcium schnell wieder aus der Zelle entfernt werden, um sie für den nächsten Impuls bereit zu machen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Universität des Saarlandes und der Universität Freiburg zeigten nun, dass dies nicht etwa nur durch intrazelluläre Puffer geschieht, wie man bislang glaubte, sondern hauptsächlich durch Plasmamembran-Calcium-Pumpen, die mit einer mehr als 100-mal höheren Transportgeschwindigkeit arbeiten als bisher angenommen.
Die gemeinsame Forschungsarbeit wurde jetzt in Nature Communications veröffentlicht.
Ob bei der Kontraktion eines Muskels oder der Signalübertragung im Gehirn: Alle diese Prozesse beruhen auf elektrischen Signalen in den Nervenzellen. Ausgelöst werden sie durch das Zusammenspiel von Ionen, unter denen Calcium eine Schlüsselrolle spielt: „Wenn Calcium in die Zelle kommt, wirkt es wie ein Einschaltknopf, mit dem eine Funktion eines Proteins in Gang gesetzt oder ausgeschaltet wird“, sagt Heiko Rieger, Professor für Theoretische Physik an der Universität des Saarlandes. Wird beispielsweise ein Signal von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen, so geschieht dies durch Neurotransmitter, die aus kleinen Vesikeln an den Synapsen freigesetzt werden. Die Vesikel fusionieren dabei mit der Membran der Synapse, und ihr Inhalt gelangt durch den synaptischen Spalt zur benachbarten Nervenzelle. „Auslöser für diesen Prozess sind Calcium-Ionen. Sie setzen die Maschinerie in Gang, die die Vesikel an die Membran ziehen, diese öffnen und den Neurotransmitter freisetzen“, erläutert Rieger. Entscheidend sei, dass die intrazelluläre Calcium-Konzentration anschließend sofort wieder abgesenkt werde, um die Zelle für die nächste Signalübertragung bereit zu machen.
Wie also gelangen die Calcium-Ionen so rasch ins Zellinnere – und, vor allem, wieder hinaus? Für das Einströmen in die Zelle sei das enorme Konzentrationsgefälle verantwortlich, erklärt Heiko Rieger. „Da außerhalb der Zelle sehr viel höhere Calcium-Konzentrationen herrschen als im Zellinneren, diffundieren Calcium-Ionen mit dem Gradienten in die Zelle hinein. Dazu öffnen sich Calcium-Kanäle, und pro Sekunde strömen rund 100.000 Calcium-Ionen durch jeden Kanal.“ Sobald das Signal beendet ist, müssen sie so schnell wie möglich aus der Zelle hinausbefördert werden – und zwar gegen das Konzentrationsgefälle. „Bisher nahm man an, dass entweder Calcium-Puffer innerhalb der Zelle diese Aufgabe übernehmen oder Pumpen in den Zellwänden – wobei man glaubte, dass diese viel zu langsam arbeiten und deshalb für die rasche Entsorgung doch eher die Puffer zuständig sind.“
In ihrem neuen Paper konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Universität des Saarlandes (Prof. Heiko Rieger, Prof. Dieter Bruns, Dr. Yvonne Schwarz und Barbara Schmidt) und der Universität Freiburg zeigen, dass es doch die Calcium-Pumpen in der Plasmamembran sind, die zum größten Teil für das schnelle Abpumpen von Calcium-Ionen aus dem Zellinneren verantwortlich sind (wobei sie als Energiequelle ATP, also Adenosintriphosphat, nutzen). Das Bemerkenswerte an dieser Entdeckung: „Diese sogenannten Plasmamembran-Calcium-ATPasen (kurz „PMCA“) arbeiten nicht etwa, wie lange geglaubt, mit 100 Hertz, also mit 100 Zyklen pro Sekunde, sondern im hohen Kilohertz-Bereich: Das heißt, sie pumpen 10.000 oder mehr Calcium-Ionen pro Sekunde aus der Zelle heraus und arbeiten damit mehr als 100-mal schneller als bisher angenommen. So sind sie in der Lage, die Calcium-Konzentrationen im Zellinneren präzise und schnell zu regulieren“, legt Heiko Rieger dar. Diese Erkenntnis widerlege bisherige wissenschaftliche Annahmen und habe sich aus einer Pionierleistung der Freiburger Kollegen ergeben: „Ihnen ist es nämlich zum ersten Mal gelungen, die Arbeit der PMCAs in voll funktionsfähigem Zustand zu messen.“
Dabei wirken die PMCA-Pumpen mit dem Membranlipid PtdIns(4,5)P2 zusammen. Die so entstehenden sogenannten PMCA2-Neuroplastin-Komplexe erlauben unter anderem die schnelle Bindung und Abgabe der Calcium-Ionen und ermöglichen so die außergewöhnlich hohe Pumpleistung. Ohne diese Lipidbindung verlangsamt sich der Transport massiv.
Für seine funktionellen Experimente nutzte das Freiburger Team ultraschnelle Sensoren (und zwar Calcium-aktivierte Kaliumkanäle), die Änderungen der Kalziumkonzentration im Bereich von Millisekunden sichtbar machen. Zusammen mit den durch Elektronenmikroskopie ermittelten Dichten der Pumpenkomplexe in den Zellmembranen (rund 55 Komplexe pro Quadratmikrometer) konnten die Forscherinnen und Forscher mithilfe eines mathematischen Modells von Professor Heiko Rieger erstmals zuverlässig die Transportgeschwindigkeit der PMCA-Pumpen berechnen.
Die gewonnenen Einblicke in die entscheidenden Funktionsmechanismen ultraschneller Calcium-Pumpen eröffnen neue Perspektiven für das Verständnis neuronaler Erkrankungen. Eine Vielzahl neurodegenerativer Erkrankungen, wie die Alzheimer-Krankheit, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes, werden mit Störungen des intrazellulären Calcium-Spiegels in Verbindung gebracht. Insofern könnten die Forschungsergebnisse neue Angriffspunkte für Wirkstoffe schaffen, die gezielt in Calcium-regulierte Signalwege eingreifen.
Originalpublikation:
Cristina E. Constantin, Barbara Schmidt, Yvonne Schwarz, Harumi Harada, Astrid Kollewe, Catrin S. Müller, Sebastian Henrich, Botond Gaal, Akos Kulik, Dieter Bruns, Uwe Schulte, Heiko Rieger & Bernd Fakler: Ca2+-pumping by PMCA-neuroplastin complexes operates in the kiloHertz-range. Nature Communications 16, 7550 (2025)
Link zur Veröffentlichung: https://doi.org/10.1038/s41467-025-62735-5
Fragen beantwortet:
Professor Dr. Heiko Rieger
Universität des Saarlandes
Professur für Theoretische Physik, Arbeitsgruppe für theoretische Biophysik, statistische Physik und Computerphysik
Tel.: +49 681 302-3969 (Sekretariat: 302-2423)
E-Mail: heiko.rieger@uni-saarland.de
https://www.rieger.uni-saarland.de/
https://doi.org/10.1038/s41467-025-62735-5
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
Biology, Medicine, Physics / astronomy
transregional, national
Cooperation agreements, Research results
German
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