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Vor gut acht Wochen wurde Prof. Dr. Dirk Vordermark, Universitätsmedizin Halle, zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO) gewählt. Auch wenn die ersten 100 Tage im Amt noch nicht verstrichen sind, sprachen wir mit ihm über die Entwicklung und Meilensteine des Fachs sowie die anstehenden Herausforderungen und Pläne: „Der Stellenwert der Radiotherapie nimmt weiter zu, gerade auch als Primärtherapie, und Patientinnen und Patienten sollten über strahlentherapeutische Alternativen adäquat aufgeklärt werden“
Welchen Stellenwert hat heute die Radioonkologie in der Krebstherapie?
Prof. Vordermark: Sie ist ein zentraler Player in der interdisziplinären Krebstherapie. Wir lehren schon in der Vorlesung, dass es drei Säulen der Krebstherapie gibt: die Operation, die medikamentöse Therapie und die Strahlentherapie. Und der Stellenwert der Radiotherapie nimmt weiter zu: Zum einen gibt es mehr Tumorerkrankungen, bei denen sie zunehmend auch als Primärtherapie infrage kommt. Zum anderem gewinnt sie aufgrund des demografischen Wandels an Bedeutung, weil auch Krebspatientinnen und -patienten bei Erstdiagnose älter sind: Das mittlere Alter von Menschen mit Tumorleiden ist in Deutschland bei Diagnosestellung schon ca. 70 Jahre. Daher gibt es immer mehr Betroffene, für die wegen ihres Allgemeinzustands eine Operation nicht mehr infrage kommt. Hinzu kommt, dass es sich bei der Strahlentherapie um eine organerhaltende Methode handelt, der Krebs wird gezielt behandelt, aber der Kehlkopf oder der Enddarm bleibt erhalten. Das ist ein großer Vorteil der Therapie. Die Strahlentherapie wird also sehr breit eingesetzt, sowohl bei der kurativen als auch bei der palliativen Behandlung.
Was sind aus Ihrer Sicht die wegweisenden Fortschritte in der Strahlentherapie?
Prof. Vordermark: Unser Fach ist schon immer ein Hightech-Fach gewesen, hat sich aber gerade in jüngster Zeit sehr dynamisch weiterentwickelt. Die Bestrahlungsplanungssoftware arbeitet beispielsweise längst mit künstlicher Intelligenz, was die Bestrahlungsplanung schneller und zuverlässiger macht. Auch die Weiterentwicklung der Bestrahlungstechnik geht rasant vonstatten, wobei es sich hier stets um zwei Aspekte handelt: um eine bessere Wirksamkeit, also bessere Tumorkontrolle und höhere Heilungschancen, und um weniger Nebenwirkungen, also die bessere Schonung der gesunden Organe und Gewebe. An beiden Stellschrauben wurde in den vergangenen Jahren viel erreicht, die Therapie ist insgesamt wirksamer und nebenwirkungsärmer geworden.
Wo sehen Sie die Hauptaufgabe der Fachgesellschaft in diesem Spannungsfeld von Technik und Medizin?
Prof. Vordermark: Unsere Aufgabe ist es, die neuen Techniken zu evaluieren und auch möglichst schnell in den klinischen Alltag zu überführen, also in die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu bringen. Das bedeutet, wir müssen zunächst Studien unterstützen, die neue Technologien evaluieren, und dann die evidenzbasierten Erkenntnisse aus diesen Studien in die Leitlinien integrieren. Die DEGRO arbeitet daher sehr intensiv an den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft zu den verschiedenen Indikationen mit, um zu gewährleisten, dass dort der neueste Stand der Radioonkologie abgebildet ist. Darüber hinaus kümmern wir uns darum, dass wir die Versorgung vor Ort sicherstellen, auch was die Verfügbarkeit von neuesten Therapiemöglichkeiten angeht. Hier arbeiten wir zudem eng mit den Berufsverbänden zusammen.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Radioonkologie in der Zukunft?
Prof. Vordermark: Eine große Herausforderung ist sicher, dass unser Gesundheitssystem im Wandel begriffen ist. Zum einen gibt es die Krankenhausstrukturreform, zum anderen ist auch in der ambulanten Versorgung vieles im Umbruch.
Das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen, ist, dass wir einerseits eine hoch spezialisierte Therapie anbieten möchten, andererseits aber auch die Menschen in der Fläche versorgen müssen. In anderen Ländern ist die Strahlentherapie sehr zentralisiert und auch wir brauchen wissenschaftlich gut aufgestellte Exzellenzzentren, gerade für komplexe und seltene Tumorerkrankungen. Darüber hinaus müssen wir aber ebenfalls sicherstellen, dass die vielen Patientinnen mit Brustkrebs oder Patienten mit Prostatakrebs wohnortnah gemäß dem neuesten Stand der Forschung versorgt werden. Das ist in Deutschland durch die Zertifizierung von Krebszentren gewährleistet. Auch viele kleinere Standorte haben Brust-, Prostata- oder Darmkrebszentren. Diese Versorgung vor Ort ist für viele häufige Tumorarten sehr sinnvoll, aber für seltenere Erkrankungen mit dem Bedarf für spezialisierte Therapieangebote ist es wichtig, dass die Patientinnen und Patienten über ein entsprechendes Netzwerk zeitnah in ein großes, z. B. universitäres Zentrum weitergeleitet werden. Das gelingt letzten Endes nur durch entsprechende Netzwerke und Kooperationen – und es ist eine wichtige Aufgabe der DEGRO, diese Strukturen mitzugestalten. Damit ist für alle Patientinnen und Patienten eine optimale Versorgung gesichert und wir müssen darauf achten, dass wir diese nicht im Zuge der Strukturreformen aufs Spiel setzen.
Eine weitere große Herausforderung ist es darüber hinaus, die Bedeutung der Radiotherapie nach außen zu kommunizieren, denn noch immer gibt es viele Vorbehalte und Missverständnisse …
Wo genau gibt es Kommunikationsbedarf? Was sollten Menschen mit dem Begriff Strahlentherapie assoziieren?
Prof. Vordermark: Aktuell ist die Strahlentherapie noch mit zahlreichen negativen Assoziationen verbunden, die teilweise aus früheren Zeiten stammen: Viele Menschen setzen Strahlen in erster Linie mit Gefahr gleich, weniger mit ihrem therapeutischen Nutzen. Auch denken die meisten, die Strahlentherapie wird nur dann eingesetzt, wenn nichts anderes mehr infrage kommt und alle anderen Therapiemöglichkeiten ausgereizt sind. Natürlich kommt sie nach wie vor auch in der Palliativsituation zum Einsatz, einfach, weil sie recht nebenwirkungsarm ist. Doch was viele nicht wissen: Die Strahlentherapie ist hocheffizient und wird heutzutage am häufigsten kurativ, also mit dem Ziel der Heilung, eingesetzt, sei es als organerhaltende Alternative zur Operation, wie zum Beispiel bei Prostata- oder Blasentumoren, oder als ein Bestandteil der multidisziplinären Tumortherapie, in der verschiedene Behandlungen kombiniert werden, wie zum Beispiel bei Brustkrebs. Die Strahlentherapie stellt dabei oft den letzten Schritt in der Behandlungskette dar und hat dann das Ziel, das Rezidivrisiko zu senken und den Behandlungserfolg zu konsolidieren. Darüber hinaus ist sie hocheffektiv bei der Behandlung von Metastasen, kann mitunter sogar auch in dieser Situation kurativ eingesetzt werden. Kurz gesagt: Der Stellenwert der Radiotherapie nimmt weiter zu, gerade auch als Primärtherapie, und Patientinnen und Patienten sollten über strahlentherapeutische Alternativen adäquat aufgeklärt werden.
Die Radioonkologie ist oftmals nicht der primäre Behandler. Wie stellen Sie sicher, dass Patientinnen und Patienten in den Fällen, in denen die Strahlentherapie eine gleichwertige Alternative zu einer anderen Therapieform darstellt, darüber gleichwertig aufgeklärt werden?
Prof. Vordermark: Hier ist ebenfalls die Leitlinienarbeit entscheidend, in die sich die DEGRO intensiv einbringt – denn zu allen S3-Leitlinien von der Deutschen Krebsgesellschaft gibt es auch Patientenleitlinien. Sie sind eine ganz wichtige Informationsquelle für Betroffene und beschreiben die möglichen Therapiewege.
Darüber hinaus handelt es sich bei den durch die Krebsgesellschaft zertifizierten Tumorzentren um interdisziplinäre Krebszentren, in denen Ärztinnen und Ärzte verschiedener Disziplinen gemeinsam den für die Patientin/den Patienten individuell besten Therapieweg festlegen sollten.
Doch nicht überall erfolgt auch die anfängliche Patientenaufklärung interdisziplinär, was aus unserer Sicht sinnvoll wäre, wenn die Leitlinie zwei Behandlungswege als gleichwertig einstuft, wie das zum Beispiel bei Prostatakrebs der Fall ist. Die Diagnose wird durch die urologischen Kolleginnen und Kollegen gestellt und die urologische Therapie ist die Prostatektomie, die chirurgische Entfernung der Prostata. Und natürlich ist es schwierig, über die Vor- und Nachteile einer Behandlung, die man nicht selbst durchführt, gleichwertig zu informieren. Ideal wäre daher aus unserer Sicht eine interdisziplinäre Sprechstunde, bei der Vertreterinnen und Vertreter beider Fächer die Betroffenen gemeinsam beraten. Außer bei Prostatatumoren wäre das auch bei Blasen- oder einigen Lungentumoren sinnvoll. Hinzu kommt, dass es für Patientinnen und Patienten sehr viel einfacher wäre, wenn ihr Therapieweg im offenen Austausch und anschließenden Konsens mit den verschiedenen Fachrichtungen festgelegt würde, als wenn sie nach der Beratung durch die eine Fachrichtung proaktiv einen Termin bei der zweiten organisieren müssen und sie das Gefühl haben, dieser Schritt könne das Verhältnis mit dem Erstberatenden stören. Die Betroffenen sind durch die Diagnose bereits genug belastet, sie sollten einen einfachen Zugang zu einer möglichst interdisziplinär aufgestellten Patientenberatung haben!
Der Interviewtext kann ganz oder in Auszügen abgedruckt werden. Für inhaltliche Rückfragen, individuelle Anfragen etc. steht die DEGRO Pressestelle zur Verfügung.
DEGRO-Pressestelle
Davida Drescher
albersconcept
Tel. +49 1520 3132647
drescher@albersconcept.de
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Personnel announcements, Transfer of Science or Research
German
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