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09/18/2025 10:33

Wie Erdöl beseitigt werden kann

Marion Hartmann Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Daimler und Benz Stiftung

    Algen-Bakterien-Gemeinschaften bauen Öl ab
    Interview mit Dr. Lisa Voskuhl, Universität Duisburg-Essen, Stipendiatin der Daimler und Benz Stiftung

    Ölkontaminationen gefährden die Umwelt. Auf dem Meer, im Süßwasser, in Wäldern und auf der Straße kann Erdöl erhebliche Schäden anrichten. Die Mikrobiologin Lisa Voskuhl, Universität Duisburg-Essen, untersucht, wie Gemeinschaften aus Algen und Bakterien auf natürlichem Weg Öl abbauen. Ihre Forschung wird im Rahmen des Stipendienprogramms für Postdoktoranden und Juniorprofessoren der Daimler und Benz Stiftung seit 2025 mit einer Summe von 40.000 Euro gefördert.

    Stiftung: Frau Dr. Voskuhl, beim Thema Erdöl in der Umwelt denken die meisten von uns an havarierte Öltanker und Naturkatastrophen. Aber Sie forschen zu natürlich vorkommenden Öllecks?

    Voskuhl: Ganz genau. Eigentlich ist Erdöl ein Naturprodukt, das einen biologischen Ursprung hat und über Millionen von Jahren durch geologische Prozesse entstanden ist. Auch ohne menschliches Zutun gelangt es konstant an die Erdoberfläche. Daher gibt es auf der Erde einige natürliche Teer- oder Ölaustritte, in denen Bakterien, Algen, Pflanzen und kleinere Tiere leben. Für meine Doktorarbeit habe ich an Bakteriengemeinschaften geforscht, die ohne Sauerstoff im weltgrößten natürlich vorkommenden Ölsee in Trinidad und Tobago leben. Aber auch in Deutschland gibt es natürliche Ölvorkommen und -austritte, zum Beispiel in den Wäldern Niedersachsens.

    Stiftung: Über welche Größenordnung sprechen wir weltweit bei natürlich vorkommenden Ölaustritten?

    Voskuhl: Exakte Zahlen gibt es nicht, da fehlt insgesamt noch viel Forschung. Dazu kommt, dass sich bisher veröffentlichte Daten vor allem auf Ölaustritte im Meer – aber nicht an Land – beziehen. Laut Schätzungen in den 1990er-Jahren lag der Anteil menschenverursachter Ölverschmutzungen bei etwa 54 Prozent, natürliche Ölaustritte bei 46. Heutige Messungen weisen jedoch darauf hin, dass die natürlichen nur rund sechs Prozent ausmachen. Damit ist ihre Rolle erheblich kleiner als bisher angenommen. Meiner Ansicht nach bergen aber gerade sie ein großes Potenzial für die Bekämpfung menschengemachter Ölverschmutzungen.

    Stiftung: Sind die natürlichen Ölaustritte genauso schädlich wie anthropogen verursachte Ölkontaminationen?

    Voskuhl: Wir gehen davon aus, dass sie weniger umweltproblematisch sind. Natürliche Öllecks treten überwiegend langsam und über lange Zeiträume hinweg auf, während menschenverursachte Ölaustritte die Umwelt direkt überfordern: Sie passieren plötzlich und oft in riesigen Mengen. Bei natürlichen Öllecks hatte die Natur viel Zeit, sich anzupassen und Strategien zu entwickeln, um mit dem Öl umgehen zu können – und zwar viel länger als wir Menschen überhaupt existieren. Das versuche ich mit meiner Forschung zu beweisen.

    Stiftung: Woran forschen Sie genau?

    Voskuhl: Ich erforsche Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen, genauer gesagt von eng zusammenlebenden Algen und Bakterien, die in natürlichen Erdölvorkommen zuhause sind. Mich interessiert, wie sie gemeinsam Öl abbauen bzw. wie sie in dieser giftigen Umgebung überleben können. Meine Wunschvorstellung ist, in Zukunft optimierte mikrobiologische Kulturen bereitstellen und bei Ölkontaminationen gezielt ausbringen zu können.

    Stiftung: Könnten solche mikrobiellen Gemeinschaften eine komplette Tankerhavarie im Atlantik bekämpfen?

    Voskuhl: Bei solchen Unfällen laufen ja mitunter Millionen von Litern Erdöl aus. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Algen-Bakterien-Gemeinschaften die kompletten Ölfilme in kurzer Zeit vollständig abbauen. Aber sie könnten einen wichtigen Beitrag leisten, um die giftigsten Bestandteile des Öls möglichst schnell unschädlich zu machen.

    Stiftung: Wie groß schätzen Sie das Problem mit Ölkontaminationen für unseren Planeten generell ein – unabhängig ob aus natürlichen Lecks oder aus vom Menschen verursachten Havarien?

    Voskuhl: Ölkontaminationen werden unser Leben immer begleiten, denn die natürlichen Austritte von Erdöl können wir niemals stoppen. Das heißt: Allein der Ausstieg aus fossilen Energien löst das Problem nicht. Dazu kommt, dass nach vollzogenem Ausstieg das im Umlauf befindliche Industrieöl sukzessive abgebaut werden muss. Auch die heutigen Ölfördergebiete mit den riesigen Flächen an kontaminierten Böden müssen rückgebaut und aufbereitet werden. Damit dies alles möglichst umweltverträglich und kostengünstig gelingt, ist viel Forschung notwendig – insbesondere zu Algen-Bakterien-Gemeinschaften.

    Stiftung: Es findet gegenwärtig bereits viel Forschung zum Thema Ölabbau im Meer statt. Inwieweit unterscheidet sich Ihre wissenschaftliche Arbeit davon?

    Voskuhl: Ja, das stimmt. Das Meer ist ein salzhaltiger, oft nährstoffarmer Lebensraum. Viele Organismen von dort können nicht einfach im Süßwasser oder in Böden überleben. Gleichzeitig gibt es aber auch in diesen Lebensräumen viele natürliche Ölaustritte – wozu es kaum verlässliche Zahlen gibt. Das zeigt deutlich, wie groß hier der Forschungsbedarf ist. Mir sind generell nur wenige Studien bekannt, die sich mit mikrobiellen Prozessen in natürlichen Ölaustritten befassen und diese stammen dann zumeist aus der Meeresforschung.

    Stiftung: Was bedeutet das konkret?

    Voskuhl: Wenn wir menschengemachte Ölkatastrophen verstehen und bewältigen wollen, müssen wir wissen, wie die Natur selbst mit dem Öl umgeht, und dürfen unsere Forschung nicht auf Meere als einziges Ökosystem beschränken. Deshalb konzentrieren wir uns auf Lebensgemeinschaften aus Algen und Bakterien, die sich gegenseitig unterstützen und gemeinsam Öl abbauen, statt auf einzelne Bakterienarten. Das macht die Forschung zwar komplexer, aber bringt uns näher an die Natur heran.

    Stiftung: Woher nehmen Sie die Algen-Bakterien-Gemeinschaften und wie muss man sich Ihre Arbeit vorstellen?

    Voskuhl: Einige Proben haben wir aus einem Wald und einer Teergrube in Niedersachen entnommen. Um solche Stellen überhaupt zu finden, arbeite ich mit dem Deutschen Erdölmuseum Wietze und dem Teerkuhlen-Museum Hänigsen zusammen. Über die Spezialisten vor Ort wurden wir auf die natürlichen Ölaustritte aufmerksam und konnten dort Proben nehmen. Danach beginnt unsere Arbeit im Labor: Unter dem Mikroskop isolieren wir die Algenkulturen in vorsichtiger Handarbeit – bisher sind es etwa 150 Kulturen. Mit einigen Algen haben wir zielgerichtete Ölabbau-Experimente durchgeführt. Dazu haben wir beispielsweise eine bestimme Alge mit und ohne ihre Bakterien in Öl inkubiert; außerdem haben wir die Bakterien allein untersucht. Wir konnten bisher beobachten, dass die Gemeinschaft von Algen und Bakterien effizienter beim Abbau von Rohöl ist, als wenn die jeweiligen Organismen allein sind.

    Stiftung: Können Sie sagen, wie viel Öl in welchem Zeitraum auf diesem natürlichen Weg abgebaut wird?

    Voskuhl: In ersten Experimenten beobachten wir, dass eine spezifische Algen-Bakterien-Kultur unter unseren Laborbedingungen ungefähr neun Monate benötigt, um etwa ein Gramm Öl abzubauen. Aber wir müssen noch weitere Experimente durchführen, um die Wiederholbarkeit zu beweisen und die Abbaugeschwindigkeit durch veränderte Laborbedingungen besser zu verstehen.

    Stiftung: Sie wollen solche Kulturen weiterentwickeln, um sie beispielsweise zum Abbau von ausgelaufenem Motoröl und Diesel auf Straßen oder Schweröl in Salz- und Süßgewässern und in Böden einzusetzen?

    Voskuhl: Genau das ist das Ziel unserer Forschungsarbeit. Ein anderes Beispiel, das wir im Labor gerade untersuchen, ist eine bestimmte Algenart, die zusammen mit ihren Bakterien Ölklumpen bildet. Diese Klumpen könnten dann im Fall eines Ölaustritts einfach mechanisch abgeschöpft und eingesammelt werden.

    Stiftung: Optimieren Sie die unterschiedlichen Algen-Bakterien-Kulturen für die praktische Anwendung auf maximale Abbaugeschwindigkeit?

    Voskuhl: Bei den Algen-Bakterien-Gemeinschaften würde ich immer die robustesten den schnellsten vorziehen. Es sind ja lebende Organismen, die nur überleben und Öl abbauen können, wenn sie unterschiedlichen Wetter- und Umweltbedingungen standhalten.

    Stiftung: Haben Sie mit den Algen-Bakterien-Gemeinschaften noch weitere Ideen für die Zukunft?

    Voskuhl: Wenn man gegenwärtig die Medien zu den Blaualgenplagen in Badegewässern verfolgt, sieht man, was alles passieren kann, wenn die falschen Organismen am falschen Ort überhandnehmen. Auch in diesem Kontext würde es sich lohnen, Algen-Bakterien-Gemeinschaften zu untersuchen. Vielleicht schaffen wir es, gefährliches Algenwachstum künftig durch den Einsatz bestimmter Bakterien zu stoppen? Interaktionen zwischen Mikroorganismen sind generell sehr interessant: Wenn man das Wachstum des einen fördert, kann das eines anderen zielgerichtet gehemmt werden. Das gilt für viele Bereiche, aber hier ist noch viel Grundlagenforschung zu leisten!

    Stiftung: Was bedeutet die Förderung der Daimler und Benz Stiftung für Ihre Forschung?

    Voskuhl: Unsere Forschung ist absolut zukunfts- und umweltrelevant, aber in vielen Bereichen steht sie noch am Anfang. Die Förderung durch die Daimler und Benz Stiftung hilft mir vor allem dabei, meine wissenschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen und eigene Forschungsideen zu verwirklichen. Ich kann frei entscheiden, welche Mittel ich für welche Experimente einsetzen möchte und an wichtigen Konferenzen teilnehmen. Nicht zuletzt kann ich Studierende für meine Forschung begeistern und sammle durch ihre Betreuung wichtige Kompetenzen für meinen Weg und meine Ziele in der Wissenschaft.

    Stipendienprogramm für Postdoktoranden und Juniorprofessoren
    Die Daimler und Benz Stiftung vergibt jedes Jahr zwölf Stipendien an ausgewählte Postdoktoranden mit Leitungsfunktion und Juniorprofessoren. Ziel ist, die Autonomie und Kreativität der nächsten Wissenschaftlergeneration zu stärken und den engagierten Forschern den Berufsweg während der produktiven Phase nach ihrer Promotion zu ebnen. Die Fördersumme in Höhe von 40.000 Euro pro Stipendium steht für die Dauer von zwei Jahren bereit und kann zur Finanzierung wissenschaftlicher Hilfskräfte, technischer Ausrüstung, Forschungsreisen oder zur Teilnahme an Tagungen frei und flexibel verwendet werden. Durch regelmäßige Treffen der jungen Wissenschaftler dieses stetig wachsenden Stipendiatennetzwerks fördert die Daimler und Benz Stiftung zugleich den interdisziplinären Gedankenaustausch.

    Daimler und Benz Stiftung
    Die Daimler und Benz Stiftung fördert Wissenschaft und Forschung. Dazu richtet sie innovative und interdisziplinäre Forschungsformate ein. Ein besonderes Augenmerk legt die Stiftung durch ein Stipendienprogramm für Postdoktoranden sowie die Vergabe des Bertha-Benz-Preises auf die Förderung junger Wissenschaftler. Mehrere Vortragsreihen sollen die öffentliche Sichtbarkeit von Wissenschaft stärken und deren Bedeutung für unsere Gesellschaft betonen.

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten für Personen aller Geschlechter. Wir möchten die in den Texten der Stiftung verwendete Form als geschlechtsneutral und wertfrei verstanden wissen.


    More information:

    https://www.daimler-benz-stiftung.de/cms/de/presse/presseinformationen.html


    Images

    Ölprobenentnahme im Wald
    Ölprobenentnahme im Wald

    Copyright: ©LisaVoskuhl

    Mikroskopbild: Algen-Bakterien-Gemeinschaften beim Ölabbau
    Mikroskopbild: Algen-Bakterien-Gemeinschaften beim Ölabbau

    Copyright: ©FrankFox


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Biology, Environment / ecology
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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