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Immer wieder müssen nicht explodierte Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg entschärft oder kontrolliert gesprengt werden. Forschende am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI entwickeln gemeinsam mit Partnern Modelle, die Splitterflug vorhersagen und die unterirdische Ausbreitung von Detonationsdruckwellen im Boden simulieren. Dies kann helfen, Evakierungsbereiche zu reduzieren, aber auch Risiken für unterirdische Strukturen besser zu prognostizieren.
Hunderttausende nicht explodierte Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg liegen in Deutschland noch heute unter der Erde. Die Entschärfung einer Bombe ist immer mit aufwändigen, großflächigen Evakuierungen, der Sperrung ganzer Stadtviertel und der Unterbrechung des Bahnverkehrs verbunden, um die Bevölkerung zu schützen. Aber: Wie groß muss der Sicherheitsradius sein, um Personen vor Überdruck und Splitterflug zu schützen? Und welche Auswirkungen hat eine kontrollierte Sprengung – die durch-geführt wird, wenn eine Entschärfung zu gefährlich ist – auf nahe gelegene unterirdi-sche Strukturen? Durch eine genaue Prognose der zu erwartenden Gefährdungen können Evakuierungsradien begrenzt und kann die Wirkung auf Mensch, Gebäude und Infrastruktur besser abgeschätzt werden.
Groundshock – unterirdische Auswirkungen von Explosionen bewerten
Welche Zerstörungen eine explodierende Bombe nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Untergrund anrichten kann und wie groß der Schutzbereich tatsächlich ge-plant werden muss, untersuchen das Fraunhofer EMI, die virtualcitysystems GmbH und das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen im Projekt Schockanalyst (siehe unten). Zu diesem Zweck erweitern sie die Simulationssoftware VC BlastProtect, die kontrollierte Sprengungen in einem 3D-Stadtmodell simuliert. Gestartet wurde die Entwicklung der Software im Projekt SIRIUS. Diese ermöglicht die Simulation der oberirdischen Ausbreitung der Detonationsdruckwelle und den Splitterflug der Bombenhülle unter Berücksichtigung der Umgebungsbebauung mit detaillierten physikalischen Mo-dellen. Bislang gab es jedoch keine Möglichkeit, Dämpfungsmaßnahmen und die Stoßwelle zu bewerten, die sich bei einer notwendigen Sprengung im Unter-grund ausbreitet und z.B. auf Rohrleitungen, unterirdische Infrastruktur und Funda-mente angrenzender Gebäude trifft. Hierfür entwickelt das Fraunhofer EMI nun neue numerische Modelle. »Wir erweitern die Software, damit Kampfmittelräumdienste verschiedene Dämpfungsmaßnahmen vergleichen und die Auswirkungen der Spannungswellen im Boden besser einschätzen können«, sagt Dr. Christoph Grunwald, Wissenschaftler am Fraunhofer EMI. Um zu verhindern, dass die Bombensplitter bei der Sprengung kilometerweit fliegen, deckt der Kampfmittelbeseitigungsdienst die Bombe in der Grube mit Sand oder Wasser ab, was den Radius des Splitterflugs deutlich reduziert. »Mit numerischen Codes, die am Fraunhofer EMI entwickelt wurden, berechnen wir präzise die Ausbreitung von Druckwellen in der Luft und deren Auswirkungen auf Menschen und Gebäude. Nun berücksichtigen wir darüber hinaus auch den Einfluss der Sandabdeckung auf die Splitterbildung und zusätzlich den sogenannten Groundshock, also die unterirdischen Bodenschwingungen und Erschütterungen«, so der Forscher. »Wenn eine mit Sand abgedeckte Bombe explodiert, verteilt sich ein Großteil der Energie in den Boden. Daher gilt es zu prognostizieren, wie sich die Ausbreitungen der Druckwellen etwa auf U-Bahnschächte oder Keller auswirken.«
Diese extremen dynamischen Belastungen präzise zu simulieren, wird durch die Be-schaffenheit des Bodens erschwert. Kies-, Lehm- und Sandböden reagieren völlig un-terschiedlich auf extreme Energieeinträge. »Das Verhalten des Bodens als Drei-Phasen-Gemisch (Sand, Wasser, Luft) stellt eine besondere Herausforderung dar«, sagt Grunwald. Generische Bodenproben werden zunächst in dynamischen Laborversuchen untersucht, auf die Spannungswellen mit unterschiedlichen Dehnraten und Amplituden einwirken, um sie anschließend in Computermodellen simulieren zu können. »Wenn unsere virtuellen Ergebnisse mit denen der Experimente übereinstimmen, dann funktionieren unsere Modelle.«
Großversuch in Mecklenburg-Vorpommern
Wie gut die Modelle die Realität abbilden, demonstrierte bereits ein Großversuch auf einem ehemaligen NVA-Gelände (Nationale Volksarmee) in Mecklenburg-Vorpommern: Die Sprengung von sechs vergrabenen 500-Pfund-Bomben in unmittelba-rer Nähe zu einem Gebäude, die unter realitätsnahen Bedingungen unterschiedlich abgedeckt wurden – mit Sand und mit Wasser in verschiedenen Konfigurationen. Kombiniert wurden die Dämpfungsmaßnahmen mit präziser Sensorik zur Messung von Druck- und unterirdischen Druckwellen. Bei einigen Tests stützten – wie im reellen Einsatz – Aluminiumringe die Wände der Sprenggrube ab. Ziel der Validierungsversuche war es zum einem, Daten für die Weiterentwicklung der Simulationsmodelle zu gewinnen, aber auch den Kampfmittelräumdiensten Erfahrungswerte zu liefern, wie sich verschiedene Dämpfungsmaßnahmen auswirken, die sich in VC BlastProtect abbilden lassen. Als Referenz wurde eine Bombe unabgedeckt gesprengt. »Wir hatten einen größeren Gebäudeschaden prognostiziert, somit sind wir mit unseren Modellen auf der sicheren Seite. Kampfmittelräumdienste erhalten künftig eine deutlich differenziertere Einschätzung der Gefahrenlage und können vor Ort gezielt Schritte zur Schadensminderung planen«, resümiert der Forscher.
Projekt Schockanalyst
Forschung für die zivile Sicherheit
Laufzeit:
April 2024 bis März 2026
Fördergeldgeber:
Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt
Projektpartner:
• Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
• virtualcitysystems GmbH, Berlin (Softwareentwicklung)
• Fraunhofer EMI, Freiburg (Entwicklung der numerischen Modelle)
https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2025/oktober-2025/softwa...
Aluminiumringe stützen die Wände der Sprenggrube ab.
Copyright: © Fraunhofer EMI
Criteria of this press release:
Journalists
Electrical engineering, Geosciences, Information technology, Mathematics, Mechanical engineering
transregional, national
Cooperation agreements, Research projects
German
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