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10/24/2025 16:14

Zu Sinn und Unsinn: Uhrenumstellungen aus der Sicht der Chronobiologie und Epidemiologie

Romy Held Pressestelle
Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)

    Jedes Jahr sorgt die Umstellung der Uhren für Unmut in weiten Teilen der Bevölkerung und eine entsprechende Medienresonanz. Was sagt die Wissenschaft zu Sinn und Unsinn der Zeitumstellung? Experten diskutieren darüber im Symposium „Zeitumstellung – Sommerzeit aus chronobiologischer und epidemiologischer Sicht“ auf der 33. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die vom 27.-29. November 2025 im Hannover Congress Centrum stattfindet.

    Die aktuell umfassendste systematische Auswertung von Beobachtungsstudien beim Menschen (149 epidemiologische Originalstudien in 36 Ländern (1)) liefert differenzierte Hinweise auf die Auswirkungen der Umstellung auf Sommerzeit bzw. des Lebens mit Sommerzeit im Vergleich zur Winterzeit auf die Gesundheit des Menschen. Das Kernergebnis ist, dass sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf die Gesundheit beobachtet werden.

    Chronobiologischer Hintergrund für die Forschung ist, dass als Folge der Zeitumstellungen – in Deutschland erstmals zum 1. Mai 1916 umgesetzt – circadiane Rhythmen gestört und z.B. die Schlafdauer und Schlafqualität beeinflusst werden können. Offene Schlüsselfragen sind, welche kurz-, mittel- und langfristigen Verbindungen es durch die Zeitumstellungen mit Gesundheit und Krankheit gibt.

    Damit beschäftigt sich Univ.-Prof. Dr. Thomas C. Erren, MPH, Direktor am Institut und Poliklinik für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin und Präventionsforschung der Universität zu Köln, in seinem Vortrag „Zeitumstellungen, Gesundheit und Krankheit: Was zeigt die Epidemiologie?“. „Epidemiologische Studien sind von großem Interesse, da sie zeigen können, ob das, worauf mechanistische Studien und Tierversuche möglicherweise hinweisen, tatsächlich relevant für den Menschen ist bzw. sein kann“, sagt Erren.
    Dazu hat er gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern diese 149 epidemiologischen Studien ausgewertet: „Die Studien weisen z.B. darauf hin, dass die Umstellung auf Sommerzeit das Risiko tödlicher Verkehrsunfälle erhöhen, aber die Zahl der Straftaten mit Körperverletzung verringern kann. Im Gegensatz dazu geht die Umstellung auf Winterzeit mit einem Rückgang der Gesamtsterblichkeit, der tödlichen Verkehrsunfälle und der Arbeitsunfälle einher, aber auch mit einem Anstieg der Straftaten mit Körperverletzung. Die Umstellung auf Winterzeit scheint die Schlafdauer zu verlängern. Das Leben mit Sommerzeit und Winterzeit ist mit einer Verringerung der Gesamtsterblichkeit verbunden.“ In der Gesamtschau seien die Einzel- und Gesamteffekte der Zeitumstellungen auf Gesundheit und Krankheit nicht ausreichend verstanden, fasst Thomas Erren zusammen. „Die Vorteile der Sommerzeit in Sommermonaten auf die Sterblichkeit, des Winterzeit-Überganges auf den Schlaf und die Sterblichkeit sowie der Winterzeit auf den Schlaf können Argumente für eine Beibehaltung der Zeitumstellungen sein. Negative Auswirkungen des Zeitumstellungs-Überganges im Frühling könnten durch Strategien zum Schutz von Personen mit erhöhtem Risiko für Herzinfarkte (2), zur Verringerung von Verkehrsunfällen und zur Verhinderung von Straftaten gemildert werden“ schlussfolgert er.

    Neben diesem weltweiten Blick zeigt eine neue Studie zu Schlafzeiten in Deutschland, dass viele der knapp 60.000 Teilnehmer ihren Schlaf nicht vollständig an die Sommerzeit anpassten, sondern über die sieben Monate der Sommerzeit im Mittel nur ungefähr 50 der eigentlich 60 Minuten Verschiebung kompensierten. Sie hinkten also über die Sommerzeit im Mittel 10 Minuten hinterher in ihrem Schlaf, der per Wearables bis zu 2,7 Jahre aufgezeichnet wurde. „Dies ist genau, was man aus Sicht der biologischen Tagesrhythmik erwarten würde und die Warnungen vieler Schlafgesellschaften inklusive die der DGSM vor negativen Folgen der Sommerzeit auf den Schlaf weiter bestätigt“, sagt Dr. Eva Winnebeck, Assistenz-Professorin an der Universität von Surrey, Großbritannien, die die Datenauswertung dieser noch unveröffentlichten Studie leitete.

    „Es ist schon lange bekannt, dass das Wann und Wie unseres Schlafes stark von unserer biologischen Tagesrhythmik gesteuert wird, die wiederum von der täglichen Lichtexposition beeinflusst wird. Und die Sommerzeitregelung greift in dieses tägliche Lichtsignal empfindlich ein.“ Während der Sommerzeit verlagern sich Schul- und Arbeitszeiten um eine Stunde nach vorne, was für die meisten bedeutet, eine Stunde früher aufstehen zu müssen. Dies reduziert für viele vor allem am Anfang und Ende der Sommerzeit, also im Frühjahr und Herbst, die Tageslichtverfügbarkeit am Morgen und macht damit früheres Aufstehen schwieriger, u.a. durch eine spätere Taktung der Tagesrhythmik. „Zum Glück sind die Sonnenaufgänge in Deutschland über den Hochsommer aber so früh, dass der Mangel an Morgenlicht im Hochsommer gut kompensiert werden sollte. Tatsächlich begünstigen sommerliche Lichtbedingungen generell eine frühere Tagesrhythmik und damit früheren Schlaf, was die erfolgreiche Vorverschiebung von 50 Minuten in unserer Studie gut erklären könnte“ erläutert Dr. Winnebeck, „Dieser natürliche, saisonale Vorteil wird allerdings durch die Umstellung auf die (künstliche) Sommerzeit wieder weggenommen. Die Daten unserer Studie deuten an, dass durch die Sommerzeit viele im Sommer eventuell noch einmal zehn Minuten schlechter dran sind als im Winter, statt einen Vorteil zu haben.“ Sie weiß als Chronobiologin und Schlafforscherin, dass wir generell als Gesellschaft mit Schlafmangel und mit zu späten Schlafzeiten zu kämpfen haben und es vielen schwer fällt, rechtzeitig aufzustehen - mit immer besser nachgewiesenen akuten und langfristigen Risiken für die Sicherheit und die körperliche und mentale Gesundheit.

    Die genauen Auswirkungen der Sommerzeit auf jeden Einzelnen, auf die öffentliche Gesundheit über die deutsche Bevölkerung und vor allem über Länder hinweg sind aber natürlich stark abhängig von einzelnen Zeiten und Verhalten sowie kulturellen, geographischen und saisonalen Lichtbegebenheiten, was eine umfassende weltweite Datenauswertung stark erschwert. „Was jedoch den Schlaf und die chronobiologische Gesundheit angeht“, so Winnebeck, „deuten immer mehr Studien stark darauf hin, dass die Abschaffung der Sommerzeit eine einfache, gesellschaftliche Maßnahme sein könnte, um für viele einen besseren und gesünderen Schlaf zu ermöglichen.“

    Wir erklären Ihnen die Nacht!

    Die Geschehnisse in der Nacht und vielleicht der Schlaf selbst sind in vielerlei Hinsicht unerklärlich. Die Schlafforschung und Schlafmedizin bringt immer mehr Licht ins Dunkel. Daher wissen wir inzwischen, wie wichtig dieser Abschnitt in unserem Leben für die menschliche Gesundheit ist. Die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Nacht besser verstehen zu lernen, dieses Wissen öffentlich weiterzugeben und dadurch den Schlaf mehr wertzuschätzen. Auch die Jahrestagung der DGSM trägt dazu bei.

    Pressekontakt für Rückfragen/Interviewanfragen:
    Romy Held,
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0173/5733326
    E-Mail: romy.held@conventus.de

    Quellen:
    (1) Daylight-Saving Time & Health: A Systematic Review of Beneficial & Adverse Effects https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2025.03.17.25324086v2

    (2) Zeitumstellungen und Herzinfarktrisiko - Systematisches Review und Metaanalyse https://www.aerzteblatt.de/archiv/zeitumstellungen-und-herzinfarktrisiko-ffe2be6...


    More information:

    https://dgsm-kongress.de/
    https://www.dgsm.de


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
    German


     

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