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Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) hat Licht in eine seit Jahrzehnten andauernde Debatte darüber gebracht, warum Galaxien sich schneller drehen als erwartet – und ob dieses Verhalten durch unsichtbare Dunkle Materie oder durch einen Zusammenbruch der Gravitation auf kosmischen Skalen verursacht wird.
Unter der Leitung des AIP in Zusammenarbeit mit der University of Surrey, der University of Bath, der Nanjing University in China, der University of Porto in Portugal, der Leiden University in den Niederlanden und der Lund University in Schweden wurden in dieser Studie die Daten zur Sternengeschwindigkeit von 12 der kleinsten und lichtschwächsten Galaxien im Universum analysiert, um konkurrierende Theorien zu überprüfen. Darunter befindet sich auch die Modifizierte Newtonsche Dynamik (MOND) – eine alternative Theorie, die erstmals in den 1980er Jahren vorgeschlagen wurde und davon ausgeht, dass sich die Gesetze der Schwerkraft bei sehr geringen Beschleunigungen, und daher auf sehr großen Skalen, ändern, wodurch die Notwendigkeit von Dunkler Materie vollständig entfällt.
Die Autorinnen und Autoren stellten fest, dass die Gravitationsfelder im Inneren der Galaxien nicht allein durch sichtbare Materie erklärt werden können und dass die Vorhersagen des MOND-Modells das beobachtete Verhalten nicht reproduzieren. Anschließend verglichen sie ihre Ergebnisse mit theoretischen Modellen, die stattdessen davon ausgehen, dass diese Galaxien von einem massereichen Halo aus Dunkler Materie umgeben sind. Diese Modelle zur Dunklen Materie wurden mit dem britischen DiRAC National Supercomputer berechnet und lieferten eine viel höhere Übereinstimmung mit den Daten.
Mariana Júlio, Doktorandin am Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) und Hauptautorin der Arbeit, erklärt: „Die kleinsten Zwerggalaxien standen lange Zeit im Widerspruch zu den allgemeinen Vorhersagen der MOND-Theorie, aber die Diskrepanz ließ sich plausibel durch Messunsicherheiten oder durch eine Anpassung der MOND-Theorie erklären. Zum ersten Mal konnten wir die Gravitationsbeschleunigung von Sternen in den lichtschwächsten Galaxien bei unterschiedlichen Radien nun auflösen und so ihre innere Dynamik detailliert aufzeigen. Sowohl die Beobachtungen, als auch unsere EDGE-Simulationen zeigen, dass das Gravitationsfeld dieser Galaxien nicht allein durch ihre sichtbare Materie bestimmt werden kann, was den Vorhersagen der modifizierten Gravitation widerspricht. Diese Erkenntnis untermauert die Notwendigkeit der Existenz von Dunkler Materie und bringt uns ihrem Verständnis einen Schritt näher.“
Die in Astronomy & Astrophysics veröffentlichte Studie stellt auch eine seit langem bestehende Annahme über das Verhalten von Galaxien in Frage. Astronominnen und Astronomen gingen lange Zeit davon aus, dass es einen einfachen Zusammenhang zwischen der Menge der sichtbaren Materie in einer Galaxie und der Stärke ihrer Anziehungskraft gibt – bekannt als „radiale Beschleunigungsbeziehung”. Während diese Beziehung für größere Systeme nach wie vor gilt, zeigt die neue Studie, dass sie in den kleinsten Galaxien nicht mehr zutrifft.
„Unsere neue Studie verändert das Bild völlig: Dank besserer Daten und einer tiefergehenden Analyse konnten wir die radial aufgelösten Profile der Zwerggalaxien ermitteln“, erklärt Dr. Marcel Pawlowski, Mitautor der Studie. „Unsere Ergebnisse bestätigen frühere Vermutungen, dass Zwerggalaxien sich anders verhalten als erwartet – basierend auf den Beobachtungen massereicherer Galaxien. Sie folgen nicht der extrapolierten radialen Beschleunigungsrelation, sondern zeigen höhere Beschleunigungen oder – im Modell der Dunklen Materie – eine größere Menge an fehlender Masse.“
In einigen Fällen kann dieselbe Menge sichtbarer Materie sehr unterschiedliche Gravitationsbeschleunigungen erzeugen, was darauf hindeutet, dass ein unsichtbarer Faktor – sehr wahrscheinlich die Dunkle Materie – ihr Verhalten beeinflusst.
Professor Justin Read von der University of Surrey, England, Mitautor der Studie, sagt: „Neue Daten und Modellierungstechniken ermöglichen es uns, das Gravitationsfeld in kleinerem Maßstab als je zuvor abzubilden, und dies gibt uns neue Einblicke in die seltsame, scheinbar unsichtbare Substanz, aus der der größte Teil der Masse des Universums besteht. Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Informationen, die wir allein aus dem, was wir sehen können, gewinnen, nicht ausreichen, um die Stärke des Gravitationsfeldes in den kleinsten Galaxien zu bestimmen. Dieses Ergebnis lässt sich erklären, wenn diese Galaxien von einem unsichtbaren Halo aus Dunkler Materie umgeben sind, da die Dunkle Materie die ‚fehlenden Informationen‘ enthält. Aber die MOND-Theorien – zumindest die bisher vorgeschlagenen – verlangen, dass das Gravitationsfeld nur durch das bestimmt wird, was wir sehen. Das scheint einfach nicht zu funktionieren.“
Die Ergebnisse geben zwar keinen Aufschluss darüber, woraus Dunkle Materie besteht, schränken jedoch den Spielraum für alternative Erklärungen ein. Zukünftige Beobachtungen noch schwächerer und weiter entfernter Galaxien werden dazu beitragen, genauer zu bestimmen, was die Dunkle Materie letztendlich ist.
Mariana Pouseiro Júlio +49 331 7499 605, mpouseirojulio@aip.de
Dr. Marcel S. Pawlowski, +49 331 7499 342, mpawlowski@aip.de
https://arxiv.org/abs/2510.06905
Zwerggalaxien beleuchten jahrzehntealte Debatte über Dunkle Materie
Copyright: Credit: ESO/ DSS2 (D. De Martin); DES (S.E. Koposov), composition: AIP ( M. P. Júlio)
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
Mathematics, Physics / astronomy, Social studies
transregional, national
Research projects, Scientific Publications
German

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