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11/11/2025 11:46

Atomkerne in Form einer Kaffeebohne - TU-Forschende veröffentlichen Studie zu triaxialen Strukturen

Michaela Hütig Science Communication Centre - Abteilung Kommunikation
Technische Universität Darmstadt

    Darmstadt, 11. November 2025. Ein Forschungsteam unter Leitung der TU Darmstadt hat erstmals Hinweise auf eine dreiachsige Struktur im Verlauf der Kernradien kurzlebiger Rutheniumkerne entdeckt. Mithilfe einer neuen Hochpräzisions-Anlage konnten sie winzige Unterschiede im Atomradius messen – ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis der Formenvielfalt von Atomkernen.

    Mit Hilfe der Laserspektroskopie lässt sich die relative Größe verschiedener Atomkerne desselben Elements bestimmen, indem winzige Veränderungen in ihren Atomspektren gemessen werden. Federführend in einer internationalen Kollaboration haben Forschende der TU Darmstadt am Argonne National Laboratory in den vergangenen Jahren die neue Apparatur ATLANTIS für solche Experimente aufgebaut. Die hochsensitive Anlage ermöglichte dem Team, die Größe einer Reihe künstlich erzeugter radioaktiver Rutheniumkerne zu untersuchen, von denen bekannt ist, dass sie eine besondere – als triaxial bezeichnete – Form besitzen.

    Kerne in der Nähe der sogenannten magischen Zahlen wie 28 oder 50, bei denen die Anzahl von Protonen (Z) und Neutronen (N) die jeweiligen Schalen abschließt, sind praktisch sphärisch – also kugelförmig. Deformierte Kerne, die von der Kugelgestalt abweichen, werden in den Kernmodellen meist als rotationssymmetrische Kerne angenommen: Das heißt, von den drei Achsen einer Kugel ist eine gegenüber der anderen verkürzt (der Kern ist diskussförmig, oblat) oder verlängert (wie bei einem Rugbyball, prolat). Dadurch verändert sich der gemessene Kernradius. Auch das sogenannte elektrische Quadrupolmoment – ein Maß für die Abweichung von der Kugelform – verrät, ob der Kern eher flach oder länglich verformt ist.

    Bei einigen Kernen sind hingegen keine der Achsen gleichlang, das bedeutet, dass sich statt eines kreisrunden Querschnitts senkrecht zur verlängerten oder verkürzten Achse ein elliptischer Querschnitt zeigt. Dies sind die Kerne, die als triaxial bezeichnet werden. Vergleichbar ist ihre Form etwa mit einer Kaffeebohne oder einer Mandel, bei denen auch alle drei Achsen unterschiedliche Längen haben. Bei einigen kurzlebigen Isotopen des Elementes Ruthenium, die jetzt untersucht wurden, lassen experimentelle Daten auf das Vorliegen einer solchen triaxialen Deformation schließen.

    Der Einfluss dieser triaxialen Form auf den hier bestimmten Kernladungsradius ist jedoch viel subtiler als der Einfluss der Quadrupol-Deformation. Um den Einfluss der Triaxialität dennoch zu untersuchen, verwendeten die Forschenden ein neuartiges theoretisches Modell, das an der Universität Brüssel entwickelt wurde, und dessen Vorhersagen sie mit den neuen experimentellen Daten verglichen: „Die Übereinstimmung ist ausgezeichnet, aber nur, wenn wir eine dreiachsige Verformung berücksichtigen,“ erläutert Bernhard Maaß, Erstautor der Studie, der den Aufbau des Experimentes am Argonne National Laboratory vor Ort und später die Datenanalyse von Darmstadt aus geleitet hat.

    „Der Effekt, den wir beobachteten, ist viel signifikanter als das, was man von einer einfachen Modellierung des Kerns als Flüssigkeitstropfen erwarten würde“, ergänzt Kristian König, der ebenfalls von Beginn an in den Aufbau des Experimentes involviert war und eine zweite unabhängige Datenauswertung vornahm. Dies zeigt einmal mehr, dass die interne, quantenmechanische Anordnung der Kernbestandteile bei der Diskussion über die Größe und Form von Kernen nicht ignoriert werden kann.

    Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im renommierten Fachjournal „Physical Review Letters“ veröffentlicht. Mit der Spektroskopie der Rutheniumisotope wurde nicht nur eine hochinteressante Isotopenkette untersucht, sondern auch die Leistungsfähigkeit des ATLANTIS-Experimentes im ersten Anlauf demonstriert. ATLANTIS wendet die Methode der kollinearen Spektroskopie an, bei der ein Laserstrahl und ein Teilchenstrahl parallel zueinander ausgerichtet werden. Die Technik wurde vor etwa 50 Jahren entwickelt und stetig verbessert.

    Die ATLANTIS-Anlage ist dabei an eine besonders effiziente „Ionenfalle“ angekoppelt, in der die erzeugten kurzlebigen Isotope über einen Zeitraum von bis zu einer halben Minute zunächst gesammelt und gekühlt wurden, bevor sie gemeinsam als Paket von einer Mikrosekunde Dauer an das Experiment weitergeleitet wurden. Damit konnte der Untergrund um mehr als den Faktor eine Million reduziert werden, was erlaubte, Isotope mit Produktionsraten von nur einigen zehn Ionen pro Sekunde zu untersuchen.

    Eine weitere wichtige Neuerung war die Neutralisation der Ionen mittels Magnesiumatomen. Für diesen Zweck wurden bislang immer Alkalimetalle wie Natrium und Kalium eingesetzt. Es stellte sich heraus, dass mit Magnesium sehr hohe Neutralisationseffizienzen möglich sind, ohne dass dies nennenswerten Einfluss auf das Profil der beobachteten Resonanzlinien hat.

    Die ATLANTIS-Strahllinie wurde bereits um 2010 für Experimente an der FAIR Anlage an der GSI entwickelt. Durch die Verzögerungen beim Bau des Darmstädter Beschleunigers wurde die Strahllinie stattdessen zum Argonne National Laboratory in der Nähe von Chicago transportiert, weiterentwickelt und jetzt erstmals für radioaktive Isotope eingesetzt. Das Experiment profitierte dabei von einer Quelle neutronenreicher Spaltprodukte, die an der Argonne ATLAS Beschleunigeranlage externen Benutzern mittels Finanzierung durch das U.S. Department of Energy, Office of Science zur Verfügung gestellt wird.

    Die Strahllinie wurde mit Mitteln des ehemaligen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF, inzwischen Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt - BMFTR) aufgebaut. Die Weiterentwicklung und die Experimente wurden im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1245 "Atomkerne: Von fundamentalen Wechselwirkungen zu Struktur und Sternen" von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

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    Seit ihrer Gründung 1877 zählt die TU Darmstadt zu den am stärksten international geprägten Universitäten in Deutschland; als Europäische Technische Universität baut sie in der Allianz Unite! einen transeuropäischen Campus auf. Mit ihren Partnern der Rhein-Main-Universitäten – der Goethe-Universität Frankfurt und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz – entwickelt sie die Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main als global attraktiven Wissenschaftsraum weiter.

    www.tu-darmstadt.de


    Contact for scientific information:

    Prof. Dr. Wilfried Nörtershäuser
    Arbeitsgebiet Experimentelle Atom- und Kernphysik radioaktiver Nuklide
    wnoertershaeuser@ikp.tu-darmstadt.de
    +49 6151 16-23575


    Original publication:

    https://journals.aps.org/prl/abstract/10.1103/81h5-wjkd
    DOI: https://doi.org/10.1103/81h5-wjkd


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Physics / astronomy
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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