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Wissenschaft
Europäischer Gipfel zur digitalen Souveränität
Studie: Öffentliche Förderung für Entwicklung offener, freier Software kann funktionieren
Freie Software ist das Rückgrat der digitalen Infrastruktur. Eine Gesellschaft, die sich nicht von einzelnen Konzernen und undurchschaubaren Technologien aus anderen Ländern abhängig machen will, sollte ihre Entwicklung unterstützen. Das kann auch über öffentliche Förderung funktionieren, zeigt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie*. Die Wissenschaftler haben beispielhaft die Arbeit der deutschen Sovereign Tech Agency (STA) untersucht. Open-Source-Software ist auch ein Thema auf dem Europäischen Gipfel zur digitalen Souveränität, der morgen in Berlin stattfindet.
OpenSSL, OpenPGP oder libcurl sind politisch. Diese offenen digitalen Standards – ein Protokoll zur sicheren Datenübertragung, ein Verschlüsselungsstandard, eine Programmbibliothek – stehen beispielhaft für einen entscheidenden Teil der Infrastruktur demokratischer Gesellschaften im digitalen Zeitalter. Offene digitale Infrastruktur, die jedem und jeder zur Verfügung steht, kann man sich wie die „Straßen und Brücken“ der digitalen Welt vorstellen, so René Lührsen, Prof. Dr. Maximilian Heimstädt und Prof. Dr. Thomas Gegenhuber in der Studie. Freie Software bildet den Großteil praktisch aller digitalen Anwendungen, so die Wissenschaftler. Sie wird von Gemeinschaften von Programmierer*innen überall auf der Welt entwickelt und gepflegt. Obwohl ihr wirtschaftlicher Wert auf das Doppelte des deutschen Bruttoinlandsprodukts geschätzt wird, braucht niemand Gebühren für die Nutzung zu zahlen. Und niemand kann andere an der Nutzung des Programmcodes hindern.
Dieses offene, gemeinschaftliche Modell der Technologienentwicklung ist jedoch bedroht, fürchten Lührsen, Heimstädt und Gegenhuber. Die Forscher von der Leuphana Universität Lüneburg, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und Johannes Kepler Universität Linz sehen Gefahren von zwei Seiten: Das eine sind die großen Digitalkonzerne, häufig Big Tech genannt, das andere sind autoritäre politische Regime. Um im Bild von den Straßen und Brücken zu bleiben: Sie haben Interesse daran, Wegzölle zu erheben oder nur ihnen genehme Personengruppen durchzulassen und überall Überwachungskameras zu installieren. Daher halten es die Wissenschaftler dringend für nötig, der globalen, dezentralen, unabhängigen Gemeinde der Entwicklerinnen und Entwickler offener Software politisch und finanziell mit zusätzlichen öffentlichen Mitteln den Rücken zu stärken.
Das ist allerdings kein leichtes Unterfangen, weil die Logik und Abläufe der Softwareentwicklung nur bedingt mit den Mechanismen staatlicher Verwaltung kompatibel sind. Ob und wie es trotzdem funktionieren kann, haben Lührsen, Heimstädt und Gegenhuber am Beispiel der Sovereign Tech Agency (STA) untersucht. Die STA wurde 2022 vom Bundeswirtschaftsministerium ins Leben gerufen und hat sich der Förderung von „Open-Source-Software als Schlüsselkomponente einer modernen Industriestrategie und zur Sicherung unserer digitalen Souveränität“ verschrieben.
Das Beispiel STA zeigt den Autoren zufolge, dass öffentliche Förderung freier Softwareentwicklung funktionieren kann – entgegen möglicher Einwände: dass staatliche Beteiligung zu Bürokratisierung und politischer Einflussnahme führe und inkompatibel mit dezentraler, selbstorganisierter und wenig hierarchischer Projektarbeit sei.
In ihrer Analyse machen die Forscher drei Herausforderungen aus, vor denen Förderprogramme für offene digitale Infrastruktur stehen: Zunächst geht es um Sichtbarkeit, also darum, den gesellschaftlichen Nutzen sehr speziell anmutender Programmierarbeit herauszustellen. Zweitens gilt es, geeignete Arbeitstechniken zu finden, um die formalisierten Strukturen öffentlicher Finanzierungsprogramme mit der „fluiden Struktur“ der Gruppen von Programmierenden zusammenzubringen. Drittens muss die Autonomie der Programmierer*innen gewahrt bleiben. In diesem Sinne sollte der Staat Projekte ermöglichen, aber nicht als klassischer Auftraggeber oder Kontrolleur auftreten.
So hat sich die STA, die Lührsen, Heimstädt und Gegenhuber als ein Beispiel sehen, von dem weitere Förderprogramme lernen können, den Prinzipien verpflichtet, die in der Open-Source-Community gelten. Das bedeutet unter anderem: Für einen „digitalen Nationalismus“ oder unter Datenschutzgesichtspunkten fragwürdige Ansinnen der Politik – aktuelles Beispiel: Nutzung von Internetdaten zur Gesichtserkennung – ist kein Raum.
Bedenke man, wie viel die Bundesregierung an große amerikanische IT-Konzerne zahlt, sei es „dringend geboten, mehr in offene digitale Infrastruktur und damit in digitale Souveränität zu investieren“, sagt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung in der Hans-Böckler-Stiftung.
Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung
Dr. Stefan Lücking
Abteilung Forschungsförderung
Tel.: 0211-7778175
E-Mail: Stefan-Lücking@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de
https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-009212 - *René Lührsen, Maximilian Heimstädt, Thomas Gegenhuber: Organizing Public Support for Open Digital Infrastructure, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 381, Oktober 2025
Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, Information technology, Politics, Social studies
transregional, national
Scientific Publications, Transfer of Science or Research
German

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