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11/24/2025 17:51

Kleine Moleküle, große Wirkung: Polyamine bringen alternden Darm wieder in Schwung

Dr. Kerstin Wagner Kommunikation
Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)

    Mit zunehmendem Alter verliert der Darm seine Fähigkeit, sich nach einer Schädigung vollständig zu regenerieren. Ein internationales Forschungsteam unter Mitwirkung des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena und der Universität Turin hat nun herausgefunden, dass Polyamine, kleine Moleküle, die im Körper selbst produziert werden, dabei eine entscheidende Rolle spielen. Durch die gezielte Aktivierung des Polyaminstoffwechsels vor einer Schädigung gelang es den Forschenden, die Regenerationsfähigkeit alternder Darmzellen in einem Mausmodell wiederherzustellen. Ein möglicher neuer Ansatz zur Behandlung altersbedingter Gewebeschäden.

    Jena/Turin. Der Darm ist eines der am stärksten regenerierenden Gewebe unseres Körpers. Doch mit zunehmendem Alter kommt es zu verschiedenen Veränderungen, die in Summe seine Regenerationsfähigkeit beeinträchtigen. Infolgedessen wird der Darm zunehmend anfälliger für Entzündungen und Infektionen, und Heilungsprozesse verlangsamen sich. Dies führt bei älteren Menschen häufig zu Verdauungsproblemen und einer verzögerten Genesung nach langfristiger Medikamenteneinnahme. Die Ursache dafür ist die verminderte Fähigkeit des Darmepithels, sich nach einer Schädigung rasch zu regenerieren. Doch warum verliert der Darm mit zunehmendem Alter sein Regenerationspotenzial – und lässt sich dieser Prozess möglicherweise wieder umkehren?

    Ein internationales Forschungsteam aus Deutschland, Italien und den USA unter der Leitung von Dr. Alessandro Ori, ehemaliger Forschungsgruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena, hat in einer jetzt in „Nature Cell Biology“ veröffentlichten Studie diese Fragen genauer untersucht.

    Alternder Darm aus dem Gleichgewicht

    Die Forschenden fanden heraus, dass bei älteren Mäusen während der Darmregeneration das empfindliche Gleichgewicht zwischen Proteinsynthese, -faltung und -abbau (Proteostase) gestört ist. Infolgedessen sammeln sich in den alten Darmzellen vermehrt fehlerhafte oder „defekte“ Proteine an. Während die Zellen versuchen, gleichzeitig das geschädigte Gewebe zu regenerieren, führt die zusätzliche Ansammlung von Proteinen zu erheblichem Stress bei ihnen, was wiederum die Regenerationsfähigkeit der Zellen beeinträchtigt.

    „Durch die Analyse von Proteinen und Stoffwechselprodukten im Darmgewebe sowie durch Experimente, die zeigen, wie sich der Darm nach einer Schädigung durch 5-Fluorouracil (ein Chemotherapeutikum) erholt, konnten wir zeigen, dass die verringerte Regenerationsfähigkeit älterer Darmzellen keine unvermeidbare Folge des Alterns ist. Vielmehr steht sie in direktem Zusammenhang mit einer Störung der Proteostase“, erklärt Dr. Ori.

    Polyamine als Schlüssel zur Regeneration

    Der Vergleich der Regenerationsfähigkeit in jungen und alten Mäusen zeigte, dass nach einer Schädigung nur im gealterten Darm typische Anzeichen von Proteostase-Stress und erhöhte Polyaminspiegel beobachtet wurden. Polyamine – wie etwa Spermidin und Putrescin – sind kleine, positiv geladene Moleküle, die an vielen zellulären Prozessen beteiligt sind, zu denen sowohl das Zellwachstum und die Zellteilung als auch die Regulierung der Proteostase gehören.

    In den Experimenten zeigte sich, dass alte Mäuse nach einer Darmschädigung besonders hohe Polyaminwerte aufwiesen, wahrscheinlich, um die Proteinhomöostase zu verbessern und der entstandenen Schädigung entgegenzuwirken. „Wird der Polyaminstoffwechsel wieder aktiviert, beispielsweise durch eine diätetische Intervention oder durch die direkte orale Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln, dann verbessert sich die Proteinhomöostase und die Regeneration des Darmepithels wird wieder beschleunigt“, berichten Dr. Alberto Minetti und Dr. Omid Omrani, die Erstautoren der Studie. „Unsere Daten deuten darauf hin, dass der alternde Darm auf molekularer Ebene weiterhin reparaturfähig bleibt, er benötigt nur den richtigen molekularen Auslöser, um seine Regenerationsfähigkeit wieder in Gang zu bringen.“

    Ernährung und Polyamine als neuer therapeutischer Ansatz?

    Besonders spannend ist, dass sowohl durch eine kurze Diät mit anschließender zweitägiger Nahrungsaufnahme als auch durch eine direkte Zugabe von Polyaminen der Polyamin-Stoffwechsel bereits vor einer Schädigung aktiviert und so die Regenerationsfähigkeit des Darms bei älteren Mäusen wiederhergestellt werden kann. Dagegen verschlechterte sich die Darmregeneration deutlich, wenn man diesen Stoffwechselweg gezielt blockierte.

    Diese Erkenntnis könnte weitreichende Folgen haben: Durch Polyamine oder eine polyaminreiche Ernährung bestünde die Möglichkeit, die Darmregeneration bei älteren Menschen nach Operationen, Infektionen oder Chemotherapien gezielt zu verbessern. Möglicherweise lassen sich ähnliche Mechanismen auch auf andere alternde Gewebe wie Haut oder Leber übertragen, wodurch sich neuartige Wege eröffnen, alternsbedingten Funktionsverlusten entgegenzuwirken.

    „Wir sehen darin einen vielversprechenden Ansatz, um die Selbstheilungskräfte des Körpers im Alter zu reaktivieren“, erklärt Prof. Francesco Neri von der Universität Turin, Italien. „Polyamine wirken als molekulare Regulatoren, die helfen, das zelluläre Gleichgewicht wieder herzustellen.“

    Perspektiven für die Alternsforschung

    Als nächster Schritt wird es wichtig sein, die Sicherheit und die potenziellen Vorteile einer Aktivierung des Polyaminstoffwechsels zur Förderung der Geweberegeneration sorgfältig zu prüfen, und auch mögliche Risiken wie ein erhöhtes Krebsrisiko zu bewerten. Gezielte polyaminreiche Ernährung oder pharmakologische Interventionen könnten auf diese Weise künftig dazu beitragen, altersbedingte Gewebeschäden zu behandeln oder sogar zu verhindern.

    „Altern ist kein unumkehrbarer Prozess“, fasst Dr. Ori zusammen. „Wenn wir verstehen, wie Zellen ihr Gleichgewicht verlieren – und wie wir es wiederherstellen können –, können wir das Altern vielleicht nicht aufhalten, aber wir können seine Auswirkungen auf unseren Körper deutlich abschwächen.“

    Publikation

    Polyamines sustain epithelial regeneration in aged intestines by modulating protein homeostasis. Alberto Minetti, Omid Omrani, Christiane Brenner, Feyza Cansiz, Shinya Imada, Jonas Rösler, Saleh Khawaled, Gabriele Allies, Sven W. Meckelmann, Nadja Gebert, Ivonne Heinze, Norman Rahnis, Jing Lu, Katrin Spengler, Mahdi Rasa, Emilio Cirri, Regine Heller, Omer Yilmaz, Alpaslan Tasdogan, Francesco Neri, Alessandro Ori, Nature Cell Biology, http://www.nature.com/articles/s41556-025-01804-9

    Kontakt
    Dr. Kerstin Wagner
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de

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    Hintergrundinformation

    Das Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) in Jena ist eine von Bund und dem Freistaat Thüringen gemeinsam finanzierte Forschungseinrichtung in der Leibniz-Gemeinschaft. Am FLI wird international sichtbare Spitzenforschung zur Biologie des Alterns auf molekularer, zellulärer und systemischer Ebene betrieben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 40 Ländern erforschen die Mechanismen des Alterns, um dessen Ursachen besser zu verstehen und Grundlagen für Strategien zu schaffen, die gesundes Altern fördern. Weitere Informationen: http://www.leibniz-fli.de.

    Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.
    Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

    Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-Wissenschafts-Campi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 21.400 Personen, darunter 12.170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2,3 Milliarden Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).


    Original publication:

    Polyamines sustain epithelial regeneration in aged intestines by modulating protein homeostasis. Alberto Minetti, Omid Omrani, Christiane Brenner, Feyza Cansiz, Shinya Imada, Jonas Rösler, Saleh Khawaled, Gabriele Allies, Sven W. Meckelmann, Nadja Gebert, Ivonne Heinze, Norman Rahnis, Jing Lu, Katrin Spengler, Mahdi Rasa, Emilio Cirri, Regine Heller, Omer Yilmaz, Alpaslan Tasdogan, Francesco Neri, Alessandro Ori, Nature Cell Biology, www.nature.com/articles/s41556-025-01804-9


    Images

    Im Alter nimmt die Regenerationsfähigkeit des Darms ab, u.a. durch Probleme beim Protein-Abbau. Mit Maßnahmen, die vor einer Schädigung den Polyaminspiegel erhöhen, kann die Proteinhomöostase verbessert; Zellwachstum und Darmregeneration gefördert werden.
    Im Alter nimmt die Regenerationsfähigkeit des Darms ab, u.a. durch Probleme beim Protein-Abbau. Mit ...

    Copyright: (Quelle: FLI / Alberto Minetti; KI-generiert mit ChatGPT)


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Biology, Chemistry, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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