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11/25/2025 14:57

Medien, Meinung, Macht: Neue Studie zu Diskriminierung in Behörden

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Eine neue Studie des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz zeigt: Negative Medienberichterstattung über bestimmte Migrant*innengruppen kann bei der Vergabe von Bürgergeld zu Diskriminierung führen – insbesondere in Regionen, wo Migration generell skeptisch betrachtet wird.

    In den vergangenen Jahren haben rechtspopulistische Parteien über fast alle westlichen Demokratien hinweg enorme politische Erfolge verzeichnet. Mit diesem Prozess der politischen Etablierung geht häufig auch eine Normalisierung fremdenfeindlicher Einstellungen einher. Während vorausgehende Studien jedoch vor allem die Auswirkungen dieser Entwicklung auf das Wahlverhalten untersucht haben, ist über die weiterreichenden gesellschaftlichen Folgen bislang wenig bekannt. Eine neue Studie des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz fragt deshalb, wie sich diese Normalisierung auf die Verwaltungspraxis in deutschen Jobcentern auswirkt – also auf konkrete staatliche Entscheidungsprozesse über essenzielle Sozialleistungen, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen sollen. Im Mittelpunkt steht dabei die Rolle negativer Medienberichterstattung über Menschen mit Migrationsgeschichte sowie der potenziell verstärkende Einfluss dieser Berichterstattung auf gruppenspezifische Diskriminierung.

    In einem Experiment wurden 1.400 Fallbearbeiter*innen aus 60 deutschen Jobcentern fiktive Zeitungsartikel über Sozialbetrug durch rumänische Staatsangehörige vorgelegt. Im Anschluss daran sollten sie Entscheidungen zu authentisch gestalteten, aber simulierten Bürgergeldanträgen treffen. Das Ergebnis: Nach der Lektüre eines Artikels über angeblichen Sozialbetrug, wurden die Anträge von rumänischen Staatsbürger*innen auf Sozialleistungen als weniger glaubwürdig eingeschätzt – ein Hinweis auf gruppenspezifische Diskriminierung. Dieser Effekt verstärkt sich in Regionen, in denen skeptische Einstellungen gegenüber Migration besonders ausgeprägt sind: hier stieg das Risiko, dass rumänische Staatsangehörige anders behandelt wurden als Antragstellende mit deutscher Staatsangehörigkeit - obwohl sie gleichermaßen für Sozialleistungen berechtigt waren. Gleichzeitig zeigte sich ein gegenteiliger Effekt bei ausländischen Staatsangehörigen, die im Zeitungsartikel nicht explizit genannt wurden: Die Mitarbeitenden im Jobcenter reagierten auf deren Anträge mit geringerer Skepsis und teilweise größerer Hilfsbereitschaft. Diese Form der Ungleichbehandlung bezeichnet die Forschung als positive Diskriminierung.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verwaltung kein neutraler Raum ist“, erklärt Gerald Schneider, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz und Ko-Autor der Studie. „Wo gesellschaftliche Vorurteile stark ausgeprägt sind und Medien negative Bilder von Migration verbreiten, können sich diese Einstellungen direkt in der Arbeit staatlicher Behörden widerspiegeln.“ Doch das Phänomen tritt nicht nur in den Teilen von Deutschland auf, in denen Ressentiments gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte bereits weit verbreitet sind. Stefanie Rueß, Postdoktorandin an der Zeppelin Universität und korrespondierende Autorin der Studie, ergänzt: „Negative Schlagzeilen über Migration aktivieren unbewusst Stereotype, die bestimmen, welche dieser Personengruppen als ‚verdächtig ‘‚hilfsbedürftig‘ oder weniger ‚glaubwürdig‘ gelten. Diese subtilen Formen der Diskriminierung sind gefährlich, da sie schwieriger zu erkennen sind und sich auf weitere Entscheidungsprozesse auswirken können. Das zeigt, wie eng Medien, gesellschaftliche Normen und Verwaltungsentscheidungen miteinander verwoben sind.“

    Jan Vogler, Professor für Politikwissenschaften an der Universität Aarhus in Dänemark, betont, dass die Ergebnisse weitreichende Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Staat und von Diskriminierung betroffenen Bevölkerungsgruppen haben könnten:
    „Wenn Menschen spüren, dass der Staat sich ihnen gegenüber in diskriminierender Weise verhält, kann das ihr Vertrauen in öffentliche Institutionen nachhaltig erschüttern. Dies kann sich anschließend auch negativ auf die Gesamtheit ihrer Interaktionen mit dem Staat über viele verschiedene Dimensionen hinweg auswirken.“ Um dem entgegenzutreten, wären laut den Autor*innen beispielsweise gezielte Medienkompetenztrainings, standardisierte Entscheidungsprozesse sowie eine ausgewogenere (regionale) Berichterstattung über Migration nötig. Nur so könne gewährleistet werden, dass Sozialleistungen auf Grundlage objektiver Kriterien und nicht auf Basis gesellschaftlicher Stimmungen vergeben werden.

    Faktenübersicht:
    • Originalpublikation: Rueß, S., Schneider, G., Vogler, J. (2025): Illiberal Norms, Media Reporting, and Bureaucratic Discrimination: Evidence from State-Citizen Interactions in Germany. Comparative Political Studies.
    • Autor*innen:
    o Stefanie Rueß ist Postdoktorandin im ERC-Projekt „DEMOLAW“ an der Zeppelin Universität Friedrichshafen und ehemalige Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe von Gerald Schneider.
    o Gerald Schneider ist Professor für Internationale Politik und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz.
    o Jan Vogler ist Associate Professor für Politikwissenschaft an der Universität Aarhus, Dänemark. Er war bis 2024 Juniorprofessor an der Universität Konstanz.
    • Methodik: Repräsentative Umfrage und Experiment mit 1.400 Mitarbeitenden aus 60 Jobcentern in Deutschland (Juni–Juli 2023). Zunächst erhielten die Teilnehmenden fiktive Zeitungsartikel über Sozialbetrug (Kontrollgruppe: neutraler Artikel zur Digitalisierung). Anschließend bewerteten sie fiktive Sozialleistungsanträge mit variierenden Merkmalen (Name, Nationalität, Geschlecht etc.).
    • Der Exzellenzcluster „The Politics of Inequality” an der Universität Konstanz erforscht aus interdisziplinärer Perspektive die politischen Ursachen und Folgen von Ungleichheit. Die Forschung widmet sich einigen der drängendsten Themen unserer Zeit: Zugang zu und Verteilung von (ökonomischen) Ressourcen, der weltweite Aufstieg von Populist*innen, Klimawandel und ungerecht verteilte Bildungschancen.
    • Die Studie stützt sich auch auf die Finanzierung des ehemaligen InRa-Netzwerks („Institutionen & Rassismus“), einem groß angelegten Forschungsprojekt des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) im Auftrag des Bundesministeriums des Innern.

    Hinweis an die Redaktionen
    Bilder können im Folgenden heruntergeladen werden:

    https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_extra/medien_meinung_ma...
    Bildunterschrift: Gerald Schneider, Professor für Internationale Politik und Principal Investigator am Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“ an der Universität Konstanz. Bild: Ines Janas.

    https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_extra/medien_meinung_ma...
    Bildunterschrift: Stefanie Rueß, Postdoktorandin an der Zeppelin Universität. Bild: Lorenz Widmaier.

    https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025_extra/medien_meinung_ma...
    Bildunterschrift: Jan Vogler, Associate Professor für Politikwissenschaft an der Universität Aarhus, Dänemark. Bild: privat.


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    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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