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Zwei aktuelle, randomisierte Parallel-Studien zeigen: Bei hochgradigen asymptomatischen Karotisstenosen ist das Stenting, kombiniert mit einer optimierten medikamentösen Therapie, der gefäßchirurgischen Intervention (Karotis-Endarteriektomie), ebenfalls kombiniert mit der gleichen optimierten medikamentösen Therapie, überlegen. Während des vierjährigen Nachbeobachtungszeitraums kam es zu weniger Schlaganfällen und Todesfällen.
Zu den wichtigsten Ursachen für ischämische Schlaganfälle zählt neben kardiogenen Embolien bei Vorhofflimmern und der zerebralen Mikroangiopathie die Verkalkung der hirnzuführenden Gefäße.
Ablagerungen in den Halsschlagadern – meistens handelt es sich dabei um die vordere Halsschlagader (Arteria carotis) – führen zu einer Verengung (Karotisstenose). Bilden sich dort Blutgerinnsel oder brechen Plaqueteile ab, gelangen diese in das Gehirn, verstopfen dort zerebrale Gefäße und lösen so einen Schlaganfall aus. Etwa 30.000 der rund 200.000 ischämischen Schlaganfälle, die sich pro Jahr in Deutschland ereignen, gehen auf das Konto von Karotisstenosen, so die Einschätzung der S3-Leitlinie aus dem Jahr 2020 [1]. Dort ist auch nachzulesen, dass in Deutschland etwa 1 Mio. Menschen mit einer >50 %igen Karotisstenose leben, viele, ohne es zu wissen. Denn selbst höhergradige Stenosen können über lange Zeit asymptomatisch verlaufen und sind dann häufig nur ein Zufallsbefund bei hausärztlichen, neurologischen oder kardiologischen Kontrolluntersuchungen.
„Wenn man bedenkt, dass noch immer ein nennenswerter Anteil der Schlaganfall-Betroffenen verstirbt und der Schlaganfall für die überlebenden Patientinnen und Patienten oft eine lebensverändernde Diagnose darstellt, also viele Betroffene mit schweren Behinderungen zurückbleiben, liegt auf der Hand, dass solche Stenosen erkannt und behandelt werden müssen“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Eine bisher noch offene Forschungsfrage war allerdings, wie Menschen mit einer solchen „stummen“, aber höhergradigen Verengung der Halsschlagader behandelt werden sollten.
Generell stehen drei Therapiewege zur Verfügung: Der konservative Weg, bei dem neben der Korrektur bestehender Gefäßrisikofaktoren (erhöhter Blutdruck, Diabetes, Fettstoffwechselstörung, Rauchen) Thrombozytenaggregationshemmer zum Einsatz kommen, der gefäßchirurgische Eingriff (Karotis-Endarteriektomie, kurz CEA) zur Entfernung von atherosklerotischen Plaques und das sogenannte Stenting der Arteria carotis interna (CAS). Bei letzterem wird unter lokaler Betäubung, in der Regel über die Leistenarterie (transfemoral), ein Katheter eingeführt und bis zur Halsschlagader vorgeschoben, wo dann ein Stent platziert wird, um das Gefäß offenzuhalten. Die CAS hat sich mittlerweile in vielen Zentren als Therapiemöglichkeit etabliert. Gemäß der bisherigen Leitlinie sollte bei einer 60-99%igen asymptomatischen Karotisstenose eines der beiden invasiven Verfahren gewählt werden.
Eine aktuell Arbeit, hochkarätig publiziert im „The New England Journal of Medicine“ [2], stellt nun diese gleichwertige Empfehlung in Frage. Darin wurden zwei Beobachter-verblindete klinische Studien an 1.245 Patientinnen und Patienten mit hochgradiger (≥70 %) asymptomatischer Karotisstenose parallel durchgeführt, an denen insgesamt 155 Zentren in fünf Ländern teilnahmen: Die „Stent-Studie“ verglich die CAS mit der alleinigen medikamentöse Therapie, die „Endarteriektomie-Studie“ die CEA mit der medikamentösen Therapie. Der primäre Endpunkt war eine Kombination aus Schlaganfall oder Tod, bewertet am Tag 44 nach Randomisierung oder das Auftreten eines ipsilateralen ischämischen Schlaganfall innerhalb von 4 Jahren nach Studieneinschluss.
In der CAS-Studie kam es nach vier Jahren in der Vergleichsgruppe bei 6,0 % der Studienteilnehmenden zu primären Endpunktereignissen, in der Interventionsgruppe bei 2,8 % (p=0,02), der Unterschied war signifikant und die Betroffenen profitierten vom Stenting. In der CEA-Studie traten Endpunktereignisse bei 3,7 % der operativ Behandelten und bei 5,3 % in der Vergleichsgruppe auf, die OP war der medikamentösen Therapie nicht signifikant überlegen (p=0,24). 7,8 % der Patientinnen und Patienten aus der Stenting-Gruppe verstarben im Beobachtungszeitraum im Vergleich zu 11 % in der rein medikamentös behandelten Gruppe, in der anderen Studie waren es 8,8 % in der Gruppe der Operierten und 9,6 % in der „Medikamenten-Gruppe“.
„Wie sich im Ergebnis zeigte, war das Stenting effektiv, während die Patientinnen und Patienten von der CEA nicht sicher profitierten. Vor drei Jahren hatte bereits eine Beobachtungsstudie [3] darauf hingedeutet, dass die alleinige optimale konservative Therapie genauso wirksam sein könnte wie eine operative Therapie, die OP also keinen Mehrwert biete“, so Berlit. „Die aktuelle Studie könnte nun zu einer Anpassung der Therapieempfehlungen führen, zumal in Deutschland die Sicherheit des Karotisstentings, insbesondere bei elektiven Eingriffen, sehr hoch ist [4].“
Gleichzeitig betont der Experte aber: „Wenn eine Karotisstenose zu Symptomen geführt hat, also zu Sehstörungen oder einer TIA, einem Mini-Schlaganfall, sind die Operation und das Stenting gleichwertig. Entscheidend ist die Erfahrung mit der entsprechenden Methode im behandelnden Zentrum.“
[1] S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose. Abrufbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/004-028
[2] Brott TG, Howard G, Lal BK, Voeks JH, Turan TN, Roubin GS, Lazar RM, Brown RD Jr, Huston J 3rd, Edwards LJ, Jones M, Clark WM, Chamorro Á, Llull L, Mena-Hurtado C, Heck D, Marshall RS, Howard VJ, Moore WS, Barrett KM, Demaerschalk BM, Sangha N, Aronow H, Foster M, Sternbergh WC 3rd, Shawl F, Lanzino G, Rapp J, Tran HS, Ecker R, Mackey A, Ali V, Given C 2nd, Teal P, Kashyap VS, Mukherjee D, Harrigan M, Silverman S, Koopmann M, Wadley VG, Zhang Y, Rhodes JD, Chaturvedi S, Meschia JF; CREST-2 Investigators. Medical Management and Revascularization for Asymptomatic Carotid Stenosis. N Engl J Med. 2025 Nov 21. doi: 10.1056/NEJMoa2508800. Epub ahead of print. PMID: 41269206.
[3] Chang RW, Tucker LY, Rothenberg KA, Lancaster E, Faruqi RM, Kuang HC, Flint AC, Avins AL, Nguyen-Huynh MN. Incidence of Ischemic Stroke in Patients With Asymptomatic Severe Carotid Stenosis Without Surgical Intervention. JAMA. 2022 May 24;327(20):1974-1982. doi: 10.1001/jama.2022.4835. PMID: 35608581; PMCID: PMC9131743.
[4] Keil F, Stahn S, Reitz SC, Lieschke F, du Mesnil de Rochemont R, Hattingen E, Berkefeld J. Elective carotid stenting fulfills quality standards defined in guidelines. Rofo. 2024 May;196(5):471-481. English, German. doi: 10.1055/a-2175-4029. Epub 2023 Nov 14. PMID: 37963550.
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doi: 10.1056/NEJMoa2508800
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Scientific Publications, Transfer of Science or Research
German

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