idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
11/28/2025 14:14

Wie unser Darm altert: Neue Studie zeigt, warum wichtige Gene im Alter „verstummen“

Dr. Kerstin Wagner Kommunikation
Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI)

    Forschende des Leibniz-Instituts für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena, Deutschland, sowie des Zentrums für Molekulare Biotechnologie in Turin und der Universität Turin, in Italien, haben einen grundlegenden Mechanismus des Alterns im Darm entdeckt: In Darmstammzellen sammelt sich im Lebensverlauf eine epigenetische Veränderung, die ACCA-Drift, an. Sie führt durch Hypermethylierung zur Stilllegung wichtiger Gene und breitet sich über die Darmkrypten aus. Ursache sind altersbedingte Entzündungen, ein geschwächter Wnt-Signalweg und gestörter Eisenstoffwechsel, die die Aktivität DNA-modifizierender Enzyme beeinträchtigen. Das erklärt das steigende Darmkrebsrisiko im Alter.

    Jena/Turin/Jerusalem. Der menschliche Darm erneuert sich schneller als jedes andere Gewebe: Alle paar Tage werden aus spezialisierten Stammzellen neue Zellen gebildet. Doch mit zunehmendem Alter sammeln sich genau in diesen Stammzellen epigenetische Veränderungen an. Dabei handelt es sich um chemische Marker auf der DNA, die wie Schalter wirken und bestimmen, welche Gene aktiv bleiben.

    Eine kürzlich in Nature Aging veröffentlichte Studie eines internationalen Teams unter Leitung von Prof. Francesco Neri von der Universität Turin, Italien, zeigt, dass Veränderungen im Darm nicht zufällig auftreten. Vielmehr entwickelt sich im Laufe des Alterns ein spezifisches Muster, das die Forschenden als ACCA-Drift ((Aging- and Colon Cancer-Associated) bezeichnen. „Wir beobachten ein epigenetisches Muster, das mit zunehmendem Alter immer deutlicher wird“, erläutert Prof. Neri, ehemaliger Gruppenleiter am Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut in Jena.

    Besonders betroffen sind Gene, die das Gleichgewicht in gesundem Gewebe aufrechterhalten, darunter auch solche, die die Erneuerung des Darmepithels über den Wnt-Signalweg steuern. Die als „Drifting“ bezeichneten Veränderungen lassen sich nicht nur im alternden Darm nachweisen, sondern auch in fast allen untersuchten Darmkrebsproben. Dies deutet darauf hin, dass die Alterung von Stammzellen ein Umfeld schafft, das die Entstehung von Krebs begünstigt.

    Flickwerk des Alterns: Gewebebereiche sind unterschiedlich betroffen

    Besonders bemerkenswert ist, dass sich die Drift nicht gleichmäßig über den Darm verteilt. Jede Darmkrypta – ein kleiner, röhrenförmiger Abschnitt der Darmschleimhaut – entsteht aus einer einzigen Stammzelle. Wenn diese Stammzelle epigenetische Veränderungen durchläuft, übernimmt die gesamte Krypta diese Veränderungen. Dr. Anna Krepelova erklärt den Prozess folgendermaßen: „Mit der Zeit entstehen im Gewebe immer mehr Bereiche mit einem älteren epigenetischen Profil. Durch den natürlichen Prozess der Kryptenteilung vergrößern sich diese Regionen kontinuierlich und können über viele Jahre hinweg weiterwachsen.“

    Das erklärt, warum der Darm älterer Menschen ein wahres Flickwerk aus jung gebliebenen und deutlich gealterten Krypten aufweist und warum bestimmte Regionen besonders anfällig für die Bildung degenerierter Zellen sind, was das Krebswachstum fördert.

    Ein gestörter Eisenstoffwechsel schaltet Reparatursysteme ab

    Doch wodurch entsteht das Drifting überhaupt? Die Forschenden konnten nachweisen, dass ältere Darmzellen weniger Eisen aufnehmen, aber gleichzeitig mehr Eisen abgeben. Dadurch verringert sich die Menge an verfügbarem Eisen (II) im Zellkern, das als Cofaktor für die TET-Enzyme (sogenannte „Ten-Eleven Translocation“) dient. Diese Enzyme schützen normalerweise vor übermäßigen DNA-Methylierungen, aber wenn die Zelle nicht genug Eisen hat, dann können sie ihre Aufgabe nicht mehr richtig ausüben. Überschüssige DNA-Methylierungen werden nicht mehr abgebaut.

    „Wenn in den Zellen das Eisen fehlt, bleiben fehlerhafte Markierungen auf der DNA zurück. Und die Zellen verlieren ihre Fähigkeit, diese Markierungen zu entfernen”, erläutert Dr. Krepelova. Dies hat eine Art Dominoeffekt: Mit abnehmender TET-Aktivität sammeln sich immer mehr DNA-Methylierungen an, und wichtige Gene werden ausgeschaltet; sie „verstummen“. Das kann die epigenetische Drift weiter beschleunigen.

    Entzündungen und gestörte Wnt-Signalwege beschleunigen die Alterung

    Ferner konnte das Forscherteam nachweisen, dass leichte Entzündungsprozesse im Darm, die mit dem Alternsprozess einhergehen, diesen Mechanismus noch verstärken. Entzündungssignale verändern die Eisenverteilung in der Zelle und belasten den Stoffwechsel. Gleichzeitig wird auch die Wnt-Signalübertragung geschwächt – ein Signalweg, der für die Aktivität und Funktionsfähigkeit von Stammzellen wichtig ist.

    Diese Kombination aus Eisenmangel, Entzündung und Verlust der Wnt-Signalübertragung wirkt wie ein „Beschleuniger” der epigenetischen Drift. Dadurch kann der Alternsprozess im Darm früher einsetzen und sich schneller ausbreiten als bisher angenommen.

    Die Alterungsdrift lässt sich beeinflussen

    Trotz der Komplexität des Mechanismus liefert die Studie auch ermutigende Ergebnisse. Den Forschenden gelang es, die epigenetische Drift in Organoidkulturen – aus Darmstammzellen gezüchteten Mini-Darmmodellen – zu verlangsamen oder teilweise umzukehren, indem sie den Eisenimport wiederherstellten, oder gezielt den Wnt-Signalweg aktivierten.

    Beide Maßnahmen führten dazu, dass die TET-Enzyme wieder aktiver wurden und die Zellen erneut begannen, die Methylierungen abzubauen. „Das bedeutet, dass epigenetisches Altern kein fester, endgültiger Zustand sein muss”, betont Dr. Krepelova. „Zum ersten Mal sehen wir, dass es möglich ist, die Stellschrauben des Alterns, die tief im molekularen Kern der Zelle liegen, zu beeinflussen.“

    Publikation

    Anna Krepelova, Mahdi Rasa, Francesco Annunziata, Jing Lu, Chiara Giannuzzi, Omid Omrani, Elisabeth Wyart, Paolo Ettore Porporato, Ihab Ansari, Dor Bilenko, Yehudit Bergman & Francesco Neri. Iron homeostasis and cell clonality drive cancer-associated intestinal DNA methylation drift in aging. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-01021-x
    https://www.nature.com/articles/s43587-025-01021-x

    Kontakt

    Dr. Kerstin Wagner
    Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 03641-656378, E-Mail: presse@leibniz-fli.de

    ###

    Hintergrundinformation

    Das Leibniz-Institut für Alternsforschung - Fritz-Lipmann-Institut e.V. (FLI) in Jena ist eine von Bund und dem Freistaat Thüringen gemeinsam finanzierte Forschungseinrichtung in der Leibniz-Gemeinschaft. Am FLI wird international sichtbare Spitzenforschung zur Biologie des Alterns auf molekularer, zellulärer und systemischer Ebene betrieben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus rund 40 Ländern erforschen die Mechanismen des Alterns, um dessen Ursachen besser zu verstehen und Grundlagen für Strategien zu schaffen, die gesundes Altern fördern. Weitere Informationen: http://www.leibniz-fli.de.

    Die Leibniz-Gemeinschaft verbindet 96 eigenständige Forschungseinrichtungen. Ihre Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften.

    Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

    Leibniz-Einrichtungen pflegen enge Kooperationen mit den Hochschulen - in Form der Leibniz-Wissenschafts-Campi, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Die Leibniz-Institute unterliegen einem transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der Leibniz-Gemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 21.400 Personen, darunter 12.170 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Das Finanzvolumen liegt bei 2,3 Milliarden Euro. (http://www.leibniz-gemeinschaft.de).


    Original publication:

    Anna Krepelova, Mahdi Rasa, Francesco Annunziata, Jing Lu, Chiara Giannuzzi, Omid Omrani, Elisabeth Wyart, Paolo Ettore Porporato, Ihab Ansari, Dor Bilenko, Yehudit Bergman & Francesco Neri. Iron homeostasis and cell clonality drive cancer-associated intestinal DNA methylation drift in aging. Nat Aging (2025). https://doi.org/10.1038/s43587-025-01021-x


    Images

    Im alternden Darm führt die ACCA-Drift, eine zunehmende DNA-Hypermethylierung in Darmstammzellen, zur Abschaltung wichtiger Gene. Dadurch wird die Selbsterneuerung der Darmkrypten eingeschränkt und die Regenerationsfähigkeit des Gewebes reduziert.
    Im alternden Darm führt die ACCA-Drift, eine zunehmende DNA-Hypermethylierung in Darmstammzellen, zu ...

    Copyright: FLI / Kerstin Wagner


    Attachment
    attachment icon FLI-Pressemitteilung (pdf)

    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Biology, Chemistry, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).