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Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) bewertet die aktuelle Entscheidung des Schlichtungsausschusses nach § 19 Krankenhausfinanzierungsgesetz kritisch: Der Ausschuss legt fest, dass Hypoglykämien nur dann als Komplikation des Diabetes mellitus geltenund entsprechend vergütet werden, wenn ein hypoglykämisches Koma vorliegt. Menschen mit Unterzuckerungen ohne Bewusstlosigkeit könnten dann in eine Unterversorgung geraten. Für spezialisierte Diabetesabteilungen und -kliniken bedeutet dies zudem deutliche finanzielle Einbußen. Jede Form der Hypoglykämie gehöre klar zur medizinischen Definition der Diabeteskomplikationen, betont die DDG.
Die Fachgesellschaft sieht in der Entscheidung eine Abkehr von etablierten Klassifikationen und warnt vor einer Unterversorgung bei leichten und mittelschweren Hypoglykämien.
Unterzuckerungen bei Diabetes mellitus (Hypoglykämien) treten spontan oder im Zusammenhang mit einer Therapie auf. Sie reichen von Herzklopfen, Zittern und Schwindel bis hin zu Krampfanfällen oder Bewusstlosigkeit. „Die ICD-10-GM ordnet Hypoglykämien eindeutig als Komplikation des Diabetes zu – unabhängig davon, wie ausgeprägt sie sind. Seit 2023 gibt es sogar zusätzliche Kodes, die die Situation präzise beschreiben“, erklärt Annette Ahollinger, Vorsitzende der DDG-Kommission „Kodierung & DRGs in der Diabetologie“.
Kodieren, ja – Berücksichtigen, nein?
Der Schlichtungsausschuss hingegen argumentiert seine Entscheidung damit, dass nicht jede Hypoglykämie einen Mehraufwand verursache und nur das diabetische Koma klinisch relevant sei. Die DDG hält diese Sichtweise für nicht tragfähig: „Die Entscheidung bedeutet im Kern: Erst wenn Menschen mit Diabetes mit dem sprichwörtlichen ‚Kopf unterm Arm‘ als potenziell lebensbedrohlicher Notfall in die Klinik kommen, gilt eine Unterzuckerung als relevante Komplikation. Das ist nicht nur zynisch gegenüber den Betroffenen. Diese Schlichtungsentscheidung kann auch zu deutlichen Fehlanreizen führen“, kritisiert Professorin Dr. Julia Szendrödi, Präsidentin der DDG.
Was bedeutet das für Kliniken, Patientinnen und Patienten?
Die Entscheidung gilt für alle Aufnahmen ab dem 1. Januar 2026 sowie für bereits laufende Prüfverfahren. Einrichtungen könnten durch diese Änderung unter Druck geraten, nur noch sehr ausgeprägte Unterzuckerungen abzubilden, da mildere und mittelschwere Hypoglykämien nicht mehr in die Logik der Komplikationen einfließen und in Folge nicht mehr über die Hauptdiagnose oder den Schweregrad und die daraus resultierende höhere Fallpauschale (DRG) vergütet werden. „Werden Hypoglykämien ausschließlich im Zusammenhang mit einem Koma als Komplikation gewertet, riskiert man, dass frühe klinische Signale weniger Beachtung finden“, erklärt Privatdozent Dr. med. Dominik Bergis, Chefarzt der Diabetes Klinik Bad Mergentheim. „Beispielsweise müssen die Ursachen immer wiederkehrender Unterzuckerungen abgeklärt und medizinisch versorgt werden – im Zweifel durch eine medikamentöse Umstellung. Der Aufwand ist dabei oft nicht unerheblich und muss in jedem Fall auch im ICD-System weiter abgebildet bleiben.“ Das Urteil stellt die Versorgung unvollständig dar und bildet den notwendigen medizinischen, pflegerischen und organisatorischen Aufwand für Diagnostik und Betreuung nicht ab. Man forciere damit das Warten auf den schwerstmöglichen Verlauf, kritisiert Bergis. Um früh zu handeln und Schäden zu verhindern, brauchen Kliniken Spielraum – dazu gehöre die Vergütung aller Maßnahmen, die getroffen werden, um die Patientensicherheit zu gewährleisten.
Für Patientinnen und Patienten kann die aktuelle Entscheidung fatale Konsequenzen haben. Aus Sicht der DDG Experten entstehe daraus das Risiko, dass eine kontinuierliche Beobachtung rund um Hypoglykämien an Bedeutung verliere: „Wenn nur ein Koma zählt, rückt der Extremfall in den Fokus. Die medizinische Systematik wird damit auf einen Extremfall reduziert, während die eigentliche Komplikation aus dem Blick gerät. Das widerspricht der medizinischen Systematik einer präzisen, vorausschauenden Versorgung“, so Szendrödi.
Frist für mögliche Klage endet am 5. Dezember
Gegen den Schlichtungsspruch kann der Klageweg beschritten werden, allerdings nur von den Beteiligten des Schlichtungsverfahrens. Der Bundesverband Klinischer Diabeteseinrichtungen e.V. (BVKD) erwägt hier geeinte und gemeinsame rechtliche Schritte, jedoch hat eine Klage keine aufschiebende Wirkung.
Einzelne Kliniken könnten lediglich ab 2026 konkrete einzelne Streitfälle zur Klage bringen, die die Hypoglykämien und ihre Auswirkung auf die Hauptdiagnose beziehungsweise das DRG betreffen.
„Wir rufen alle Kliniken auf, die medizinischen und monetären Folgen dieser Entscheidung für sich zu prüfen, bei den Krankenkassen im Erörterungsverfahren zu adressieren und gegebenenfalls Klagen zu erwägen und den BVKD zu unterstützen“, so Szendrödi. Die DDG fordert eine zeitnahe Überprüfung und Korrektur der Entscheidung. Die etablierte Klassifikation, wonach jede Hypoglykämie eine Komplikation des Diabetes darstellt, ist medizinisch sinnvoll und sollte weiterhin auch in der Vergütungssystematik berücksichtigt werden. Nur so können spezialisierte Diabetesstrukturen langfristig gesichert und eine verlässliche Versorgung für die Betroffenen aufrechterhalten werden.
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Über die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG):
Die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) ist mit mehr als 9300 Mitgliedern eine der großen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften in Deutschland. Sie unterstützt Wissenschaft und Forschung, engagiert sich seit 1964 in Fort- und Weiterbildung, zertifiziert Behandlungseinrichtungen und entwickelt Leitlinien. Ziel ist eine wirksamere Prävention und Behandlung der Volkskrankheit Diabetes, von der mehr als 9 Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Zu diesem Zweck unternimmt sie auch umfangreiche gesundheitspolitische Aktivitäten.
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Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications
German

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