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Mit der Geschichte des "Turms von Jena" haben sich Kunststudenten der Universität Jena auseinandergesetzt. Über das 120 Meter hohe Gebäude, das mit seinen 26 Stockwerken die Stadt dominierend überragt, legen sie nun eine umfangreiche Dokumentation vor und laden ab 11. März zur Ausstellung in die Jenaer Goethe-Galerie. Dabei werden auch bislang unveröffentlichte Quellen über den überregional bekannten Turmbau des DDR-Stararchitekten Henselmann gezeigt.
Die Studenten leisten eine baugeschichtliche Aufarbeitung von den Planungsanfängen bis zur Realisation, eine Würdigung des Architekten und eine Einordnung des Monumentalbauwerks in die Stadtarchitektur. Dazu haben sie auch bisher unveröffentlichte Quellen erschlossen und aufgearbeitet.
Aber auch die historische Diskussion zwischen Turmbefürwortern und -gegnern wurde von den jungen Kunstwissenschaftler durch zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen dokumentiert. Dabei durchzieht die Erkenntnis, daß der Turm von Jena als Symbol gemeint war und als solches verstanden wurde, die Analysen wie ein roter Faden: "Architektur und Zeichen" ist daher der Untertitel des Buches.
Seit dem Turmbau zu Babel, über die mittelalterliche Herrschaftsarchitektur bis hin zur Gigantomanie eines Albert Speer im ,Dritten Reich' wirken Türme unmißverständlich als Machtsymbole. Dr. Michael Diers, der das Projekt als Mentor betreute, und die Studenten haben an Hand von Zeitdokumenten eindeutig nachvollzogen, daß auch das Jenaer Forschungshochhaus, das - ursprünglich für den VEB Carl Zeiss geplant - noch während der Bauphase zum Universitätshochhaus umgewidmet wurde, als sozialistisches Herrschaftssymbol, als ein Signal für die Etablierung der Neuen Zeit gemeint war. Mit dem Turm und dem vorgelagerten Platz, in dem sich seine Ausmaße spiegeln, drang aber auch die sozialistische Bauästhetik und die Zeiss-Industriekultur erstmals in den mittelalterlichen Stadtkern Jenas ein. Die vom Weltkrieg noch verschonte kleinstrukturierte Parzellenarchitektur wurde dafür beseitigt. Nach den ursprünglichen Plänen sollten sogar das Collegium Jenense und weitere Altstadtareale einem ganzen Monumentalensemble aus Arbeits-, Wohn-, Kultur- und Regenerationsstätten geopfert werden; Turm und Eichplatz sind demnach nur unproportionierte Torsi eines gigantisch konzipierten sozialistischen Stadtzentrums, das die vorhergehende Geschichte überlagert und ausradiert hätte.
Für seinen Turm hatte der DDR-Stararchitekt Hermann Henselmann, der unter anderem auch den Fernsehturm auf dem Berliner Alexanderplatz konzipierte, überdies eine besondere Symbolfunktion vorgesehen: Die Turmspitze sollte von einem metallenen Ring als Krone geziert werden, so daß ein - durch den ideologischen Kontext ironisch gebrochenes - monarchisches Zeichen die Stadt überragt hätte. Diese delikate Arabeske fiel aber angesichts der ökonomischen Krise des real-existierenden Sozialismus ebenso dem Rotstift zum Opfer wie die von Henselmann ursprünglich geplanten runden Fenster, die an optische Linsen hätten erinnern sollen, und auch der Rest des ganzen Ensembles; vor allem pragmatische Zwänge bremsten die Absicht mystischer Überhöhung. In sehr frühen Entwürfen waren sogar zwei weitere, kleinere Türme auf dem Gelände des Collegium Jenense und ein verbindender Querriegel vorgesehen, die zusammen eine Kathedrale des sozialistischen Industrie- und Fortschrittsglaubens ergeben hätten.
Wie auch immer: Es bleibt ein "Bergfried", eine an der mittelalterlichen Architektursymbolik orientierte ,Trutzburg der Wissenschaft', die für DDR-Verhältnisse einem Prunkbau gleichkommt. Architekturgeschichtlich repräsentiert der Jenaer Turm die Avantgarde der späten 60er Jahre und zählt ebenso wie das etwa gleichaltrige BMW-Hochhaus in München zum International Style. Schon allein deshalb plädiert Michael Diers für einen Erhalt des Turms. "Er ist auch inzwischen der Stadt zugewachsen und zu einem Identifikationsobjekt geworden." Ein Wahrzeichen, das nicht nur die Stadtmitte anzeigt, sondern aus heutiger Sicht ebenso wie die zahlreichen anderen Jenaer Türme für eine historische Epoche steht. Und: Sofern sich Jena als ein Saale-Florenz begreift, wäre der Uniturm das - wenngleich weniger grazile - Äquivalent für einen Campanile.
Pressegespräch am 10. März, 11.00 Uhr in den Ausstellungsräumen
Ansprechpartner:
Johanna Sänger, Tel.: 03641/820064
e-mail: g5josa@uni-jena.de
Doz. Dr. Michael Diers
Tel.: 03641/944180, Fax: 944152
e-mail: x6dimi@rz.uni-jena.de
Ausstellung:
"Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen". vom 11. März bis 30. April 1999
Goethe-Galerie, Bau 29, Eingang Schillerstraße, 7. OG,
Öffnungszeiten: täglich außer Mo., 10.00-18.00 Uhr, Eintritt. 3,-/2,- Mark
Buchpublikation:
Michael Diers u. a. (Hgg.): Der Turm von Jena. Architektur und Zeichen. Reihe "Minerva" des Kunsthistorischen Seminars der Universität Jena. 184 S., 130 Abb., DM 29,80
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Das Modell zeigt, wie die sozialistischen Machthaber die Jenaer Innenstadt umgestalten wollten.
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Criteria of this press release:
Art / design, Construction / architecture, Music / theatre, Social studies
transregional, national
Research projects, Scientific Publications
German
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