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03/16/1999 08:46

Die Suche nach dem größten Teilchenbeschleuniger des Universums kann beginnen

Inge Arnold Stabsabteilung Presse, Kommunikation und Marketing
Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft

    Startschuß für internationales Pierre Auger-Projekt in Mendoza/Argentinien - Forschungszentrum Karlsruhe mit zwei Instituten beteiligt
    Am 15. und 16. März werden in Mendoza, Argentinien, die Rahmenverträge für ein internationales Großprojekt unterschrieben, das eine der wichtigsten astro-physikalischen Fragestellungen untersuchen soll: Woher stammen die energie-reichsten Atomkerne des Universums? Dazu soll in Argentinien ein Meßfeld von 3200 km² mit etwa 1600 Detektoren bestückt werden. An dem Projekt, benannt nach dem französischen Physiker Pierre Auger, beteiligen sich 19 Nationen mit 53 Forschungseinrichtungen. Die deutschen Beiträge werden vom Institut für Kernphysik und der Hauptabteilung Prozeßdatenverarbeitung und Elektronik des Forschungszentrums Karlsruhe sowie dem Institut für Experimentelle Kernphysik der Universität Karlsruhe geleistet.

    Die Erde wird ständig aus dem Weltall von Atomkernen bombardiert. Die Energie dieser Teilchen reicht von sehr kleinen Energien bis zu Energien, die hundert Millionen Mal höher sind als alle Energien, die mit irdischen Teilchenbeschleunigern (beispielsweise beim CERN in Genf oder bei DESY in Hamburg) erreichbar sind. Eigentlich sollten solche Teilchen auf der Erde gar nicht ankommen, sie werden im Weltall relativ schnell auf niedrige Energien abgebremst. Innerhalb des "Bremsweges" gibt es nach Meinung der Astronomen keine Objekte (Schwarze Löcher, Quasare), die Atomkerne so hoher Energie erzeugen können. Eine der wichtigsten Fragen der modernen Astrophysik lautet deshalb: Wieso können diese Teilchen auf der Erde gemessen werden? Oder anders formuliert: Wo entstehen diese Teilchen?
    Atomkerne mit so hohen Energien sind sehr selten: Es wird innerhalb eines Jahres nur ein Ereignis pro 100 Quadratkilometern erwartet. Entsprechend groß muß die Meßstation ausgelegt sein: Auf einer Fläche von 3200 km² sollen auf einer Hochebene in Argentinien 1600 Detektortanks verteilt werden. Dazu kommen vier hochempfindliche Teleskop-Augen, die in klaren Nächten den Luftraum über den Detektortanks nach Leuchtspuren absuchen.
    Gemessen werden damit nicht die Ausgangsteilchen, die die Erdatmosphäre treffen. Diese erzeugen in der Atmosphäre vielmehr Schauer von Sekundärteilchen, die dann wieder Teilchen erzeugen, usw. Diese Teilchenschauer, die schließlich auf der Erdoberfläche ankommen, wurden erstmals von Pierre Auger, dem Namenspatron dieses Großprojektes, im Jahr 1938 gemessen. Die einzelnen Teilchen aus den Schauern erzeugen charakteristische Reaktionen in den Detektoren des Auger-Experimentes. Aus der Zahl der gemessenen Ereignisse und ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung auf die Detektoren kann auf die Energie, die Einfallsrichtung und die Art der ursprünglichen Atomkerne rückgeschlossen werden.
    Das Pierre Auger-Projekt wird von der UNESCO unterstützt. Zur Realisierung dieses spannenden Projekts wollen sich 53 wissenschaftliche Institute aus 19 Ländern zusammenschließen. Das Forschungszentrum Karlsruhe ist mit dem Institut für Kernphysik und der Hauptabteilung für Prozeßdatenverarbeitung und Elektronik entscheidend daran beteiligt.
    "Das Forschungszentrum Karlsruhe verfügt durch sein Experiment KASCADE, das in kleinerem Maßstab in einem anderen Energiebereich ebenfalls solche Teilchenschauer mißt, über vielfältige Erfahrungen in der Meßtechnik und in der Verarbeitung der zu erwartenden Daten. Diese Erfahrungen wollen wir in das neue Projekt einbringen", erläutert Professor Dr. Hans Blümer, Leiter des Instituts für Kernphysik im Forschungs-zentrum Karlsruhe und Mitglied des ebenfalls am Auger-Projekt beteiligten Instituts für Experimentelle Kernphysik der Universität Karlsruhe.
    Die Grundidee zum Pierre Auger-Projekt wurde zu Beginn der 90er Jahre von dem amerikanischen Nobelpreisträger James Cronin entwickelt und seitdem in der Wissen-schaft und mit Entscheidungsträgern diskutiert. Nach langer Suche identifizierten die Wissenschaftler die dünnbesiedelte argentinische Pampa als geeigneten Standort. Die argentinische Regierung fördert das Vorhaben mit einem zweistelligen Millionenbetrag und investiert so in eine langfristige, weltweite wissenschaftliche Zusammenarbeit. Zur Unterzeichnung der internationalen Rahmenverträge findet am 15. und 16. März in der Provinzhauptstadt Mendoza ein Treffen der beteiligten Institutionen statt.

    Wissenschaftlicher Hintergrund

    Die Entdeckung kosmischer Strahlung geht auf den österreichischen Physiker Victor Hess zurück, der 1911 in einer Reihe von Ballonaufstiegen eine in der Atmosphäre nach oben zunehmende Strahlungsart messen konnte. Erst 1938 konnte sie der französische Physiker Pierre Auger auch am Boden nachweisen. Auslöser dieser Strahlung sind hochenergetische Atomkerne, die auf die Erdatmosphäre auftreffen und dort Schauer von Sekundärteilchen erzeugen. Die Energie der Primärteilchen überstreicht dabei einen weiten Bereich bis über 1020 eV. (Zum Vergleich: Elektronen in der Bildröhre eines Fern-sehers werden auf einige 104 eV beschleunigt, die größten irdischen Teilchenbeschleu-niger erzeugen Energien bis 1012 eV, hundert Millionen Mal weniger als die höchsten nachgewiesenen Energien der kosmischen Strahlung.) Die Häufigkeit der Ereignisse nimmt zu hohen Energien hin dramatisch ab. Bei niedrigen Energien scheinen die Primärteilchen gleichmäßig aus allen Richtungen zu kommen. Bei den höchsten Energien (>1019 eV) gibt es bisher nur wenige nachgewiesene Ereignisse, die Existenz diskreter Quellen ist eine offene Frage.
    Schon die bloße Existenz von Teilchen mit Energien oberhalb 1020 eV ist ein Rätsel. Es sind keine Beschleunigungsmechanismen und keine Quellen im Universum bekannt, die solche Teilchen erzeugen können. Außerdem sollten die Teilchen bei diesen hohen Energien aufgrund von Reaktionen mit der sogenannten kosmischen Hintergrundstrahlung, einer überall im Weltall vorhandenen Reststrahlung des Urknalls, relativ schnell abgebremst werden. "Relativ schnell" bezieht sich auf kosmische Maßstäbe: Innerhalb 600 Millionen Lichtjahren (gleich 6x1021 km, entspricht 40 Billionen Mal dem Abstand von der Sonne zur Erde) bremsen sich die Atomkerne unter den Wert von 1020 eV ab.
    Nur wenige Primärteilchen treffen mit extrem hohen Energien auf die Erde: Bei Energien oberhalb 1019 eV wird innerhalb eines Jahres nur 1 Teilchen pro Quadratkilometer erwartet, oberhalb 1020 eV sogar nur ein Teilchen auf 100 Quadratkilometer. Die "Teleskope", mit denen man genügend Teilchen messen kann, müssen entsprechend groß ausgelegt werden.
    Hier setzt das Pierre Auger-Projekt an. Auf einer Gesamtfläche von 3200 km² werden innerhalb eines Meßzeitraumes von drei Jahren ca. 9000 Schauer mit Energien größer 1019 eV und weniger als 100 Schauer oberhalb 1020 eV erwartet.
    Wegen der Dimensionen des Projektes wurde ein kostengünstiges und zuverlässiges Detektorkonzept gewählt. Etwa 1600 Wassertanks mit einem Durchmesser von 3,4 m und einer Höhe von 1,2 m werden auf einem Gitter mit 1,5 km Abstand in der flachen Pampa in der Nähe von Mendoza in Argentinien aufgestellt. Jeder dieser Tanks ist mit 3 Photomultipliern ausgestattet, die das sogenannte Cherenkov-Licht registrieren, das beim Einfall der Teilchenschauer entsteht. Die Schauer bestehen aus insgesamt 10 Milliarden Teilchen und werden in etwa 10 Tanks gleichzeitig Signale erzeugen. An drei Stellen am Rand sowie in der Mitte des Detektorfeldes werden sogenannte Fluoreszenzdetektoren errichtet, die die Atmosphäre über dem Meßfeld beobachten und die "Leuchtspur" der Teilchenschauer messen. Aus den kombinierten Daten ist eine Bestimmung von Richtung, Energie und Masse des Primärteilchens möglich.
    Am Schauerdetektor wollen sich Argentinien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Mexiko und die USA beteiligen, während die Fluoreszenzdetektoren hauptsächlich von Deutschland und Italien betreut werden.
    Das Forschungszentrum Karlsruhe hat mit dem Experiment KASCADE, das auf einer Fläche von 200 m x 200 m kosmische Strahlung im Energiebereich um 1015 eV mißt, sehr viel Erfahrung im Betrieb solcher Meßfelder und im Aufbau von Multiprozessorsystemen hoher Leistung zur Erfassung komplexer Daten. Darüber hinaus wurden hier die weltweit anerkannten Standardprogramme für Simulationsrechnungen der Teilchenschauer - ins-besondere zur Identifikation der Art und der Energie der einfallenden Teilchen - entwickelt.
    Joachim Hoffmann 15. März 1999


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    Criteria of this press release:
    Mathematics, Physics / astronomy
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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