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04/12/2019 10:00

Gibt es eine Fernseh-bedingte Demenz?

Dr. Bettina Albers Pressestelle der DGN
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

    Das verbale Gedächtnis ist dafür zuständig, sprachliche Botschaften zu erfassen und sie zu verarbeiten. Es ist somit zentral wichtig für die Aufnahme und das Verwenden von Informationen, die uns in Worten übermittelt werden. Eine Studie zeigte, dass tägliches Fernsehen von mehr als 3,5 Stunden pro Tag bei Menschen im Alter von 50 Jahren und höher zu einem Abbau des verbalen Gedächtnisses führt. Sie zeigte auch, dass das nicht nur damit zusammenhängt, dass man beim Fernsehen sitzt und sich nicht ausreichend bewegt. Die kognitive Einschränkung entspricht auch nur zum Teil denen von Demenzkranken. Möglicherweise zeigt sich hier ein neues Krankheitsbild: die TV-bedingte Demenz.

    Macht Fernsehen dumm? In gewisser Weise schon, so könnte man das Ergebnis einer aktuellen Studie zusammenfassen. Denn landläufig werden die Menschen als dumm bezeichnet, die nicht in der Lage sind, Informationen adäquat zu verarbeiten. Ihnen wird etwas gesagt – z.B. „biege rechts ab!“ –, aber sie sind nicht in der Lage, das Gesagte zu verstehen und umzusetzen. Sie biegen dann falsch ab oder fahren weiter geradeaus. Das ist keine Frage des Intelligenzquotienten, sondern kann bedeuten, dass das sprachliche Gedächtnis schwach ist. Hätte man diesen Menschen die Wegbeschreibung als Skizze an die Hand gegeben, wäre die Information bei ihnen wahrscheinlich angekommen. Doch verbal vermittelte Inhalte „erreichen“ Betroffene nicht in einem ausreichenden Maße. Das gilt für die Durchsage am Bahnhof, dass der Zug von einem anderen Gleis abfährt, genauso wie die mündlich ausgesprochene Einladung eines Freundes. Bedenkt man, wie stark die moderne Welt von verbaler Information abhängig ist, wird klar, dass Menschen mit einem schwach ausgeprägten verbalen Gedächtnis schnell orientierungslos zurückbleiben, das verbale Gedächtnis also enorm wichtig ist, um sich in der heutigen Informationsgesellschaft zurechtzufinden.

    Eine Studie aus Großbritannien zeigte nun, dass ein hoher TV-Konsum von täglich mehr als 3,5 Stunden bei über 50-Jährigen zum Abbau des verbalen Gedächtnisses führt. Beobachtet wurden 3.590 Studienteilnehmer, die zu Beginn der Studie über 50 Jahre alt waren (das durchschnittliche Alter betrug 67 Jahre) und keine Demenz aufwiesen. Nach sechs Jahren wurden sie im Hinblick auf ihre kognitiven Fähigkeiten untersucht und zu ihren Fernsehzeiten befragt. Es zeigte sich ein „dosisabhängiger“ Effekt: je mehr TV ein Teilnehmer schaute, desto mehr hatte das verbale Gedächtnis im Vergleich zum Ausgangswert abgebaut. Die kritische Schwelle waren 3,5 Stunden Fernsehkonsum pro Tag, weniger wirkte sich nicht aus.

    Dieses Ergebnis hatte auch noch Bestand und blieb statistisch signifikant, nachdem bestimmte Einflussfaktoren wie demographische Größen (Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, sozialer Stand, Berufsleben/Rente) und gesundheitliche Daten (Vorliegen einer Depression oder Gefäßerkrankungen, Tabak- und Alkoholkonsum) herausgerechnet worden waren.
    Die Forscher korrigierten die Befunde auch gegen das Sitzen, also den Bewegungsmangel von Menschen, die viel Fernsehen schauen – und selbst dann blieb das Ergebnis robust. Der Abbau des verbalen Gedächtnisses kann also nicht allein mit Bewegungsmangel erklärt werden. Bereits früher hat es Studien gegeben, die zeigten, dass viel Fernsehen mit einem kognitiven Abbau einhergeht, aber andere sitzende Freizeitbeschäftigungen wie z. B. im Internet surfen nicht. Forscher hatten das mit der hohen Stimulanz und dem schnellen Wechsel von Sinneswahrnehmungen (Sehen und Hören) und der gleichzeitigen Passivität der Zuschauer erklärt, die dem Fernsehschauen eigen ist.

    Interessanterweise war aber nur das verbale Gedächtnis vom TV-Konsum-bedingen Abbau betroffen, nicht die Wortflüssigkeit („semantic fluency“), die z. B. bei Alzheimerpatienten ebenfalls stark reduziert ist. „Verschiedene Studien hatten die These aufgestellt, dass viel TV das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, fördern könnte. Alzheimer-Patienten haben aber auch kognitive Defizite jenseits des verbalen Gedächtnisverlustes. Dennoch sind diese Studienergebnisse beunruhigend, da sich möglicherweise eine ganz eigene Krankheitsentität, die TV-bedingte Demenz, entwickelt“, erklärt Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

    Schon jetzt liegt der durchschnittliche TV-Konsum der Deutschen bereits bei über 3 Stunden [2] – und die vorliegende Studie hatte auch gezeigt, dass Menschen, die nicht mehr im Berufsleben stehen, mehr TV schauen. Des Weiteren waren weibliches Geschlecht, geringer Bildungsgrad, geringer sozialer Status und soziale Isolation (alleine lebend) mit erhöhtem Fernsehkonsum verbunden. „Gerade ältere Menschen sollten, um lange geistig fit zu bleiben, von zu viel Fernsehschauen absehen“, so der DGN-Experte.

    Literatur
    [1] Fancourt D, Steptoe A. Television viewing and cognitive decline in older age: findings from the English Longitudinal Study of Ageing. Nature Scientific Reportsvolume 9, Article number: 2851 (2019).
    https://doi.org/10.1038/s41598-019-39354-4
    [2] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/2913/umfrage/fernsehkonsum-der-de...

    Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
    c/o albersconcept, Jakobstraße 38, 99423 Weimar
    Tel.: +49 (0)36 43 77 64 23
    Pressesprecher: Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener, Essen
    E-Mail: presse@dgn.org

    Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)
    sieht sich als neurologische Fachgesellschaft in der gesellschaftlichen Verantwortung, mit ihren über 9500 Mitgliedern die neurologische Krankenversorgung in Deutschland zu sichern. Dafür fördert die DGN Wissenschaft und Forschung sowie Lehre, Fort- und Weiterbildung in der Neurologie. Sie beteiligt sich an der gesundheitspolitischen Diskussion. Die DGN wurde im Jahr 1907 in Dresden gegründet. Sitz der Geschäftsstelle ist Berlin. www.dgn.org

    Präsidentin: Prof. Dr. med. Christine Klein
    Stellvertretender Präsident: Prof. Dr. med. Christian Gerloff
    Past-Präsident: Prof. Dr. Gereon R. Fink
    Generalsekretär: Prof. Dr. Peter Berlit
    Geschäftsführer: Dr. rer. nat. Thomas Thiekötter
    Geschäftsstelle: Reinhardtstr. 27 C, 10117 Berlin, Tel.: +49 (0)30 531437930, E-Mail: info@dgn.org


    More information:

    http://www.dgn.org


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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Transfer of Science or Research
    German


     

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