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10/13/1999 15:13

Dem Mythos Giftpflanze auf der Spur

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Biologie-Didaktiker der Universität Münster untersuchten Vergiftungsfälle bei Kindern

    Immer wieder geistern Schreckensmeldungen durch die Presse, dass sich Kinder beim Spielen durch Pflanzen vergiftet hätten. Die Folge sind Überreaktionen besorgter Eltern, die beispielsweise fordern, dass diese Pflanzen von Kindergartenplätzen und Schulhöfen entfernt werden. Der Biologie-Didaktiker Dr. Manfred Hesse von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster ist zusammen mit seinen Mitarbeitern der Frage auf den Grund gegangen, ob Pflanzen tatsächlich so gefährlich sind und wie der Umgang mit ihnen gelernt werden kann.

    Die Statistiken der Beratungsstellen besagen, dass in 60 bis 70 Prozent der Vergiftungsfälle Kinder betroffen sind. Der größte Teil davon sind zwischen anderthalb und fünf Jahren alt mit einem Schwerpunkt bei ein- bis zweijährigen Kindern. Zwischen 1990 bis 1996 meldeten Ärzte 254 mittlere und schwere Vergiftungsfälle von Kindern an das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin in Berlin. Doch die Zahlen belegen den "Mythos Giftpflanze" nicht: Innerhalb dieser sechs Jahre sind 126 Vergiftungen durch chemische Produkte, allein 70 durch Lampenöl, und nur drei durch die orale Aufnahme von Pflanzen verursacht worden.

    "Die Presse und auch die Eltern bewerten das Gefahrenpotential durch Pflanzen über", erklärt Dr. Hesse. "Die Leute haben regelrecht Panik vor der Natur." Mündlich überlieferte Erfahrungen über natürliche Giftquellen gingen durch die zunehmende Entfremdung von der Natur verloren. "Wer sammelt denn heute noch seinen Tee oder Kräuter selbst?", kommentiert der Didaktiker. Der Umgang mit der Natur sei heute von dem neuen, modernen Lebensstil geprägt. Tee wird natürlich im Reformhaus gekauft, Kräuter kommen frisch aus der Tiefkühltruhe. Der Kenntnis- und Erfahrungsschatz verkümmert sozusagen von Generation zu Generation. "Berichte oder Geschichten über schwere Vergiftungen durch höhere Pflanzen sind meist uralt", meint Hesse.

    Gerade Kinder zwischen anderthalb und zweieinhalb Jahren erfahren und erlernen ihre Welt, indem sie alles in den Mund stecken. Diese Altersgruppe sei allerdings weder in der Nähe des Schulhofes noch allein auf dem Spielplatz zu finden, begründet Hesse die Zuweisung der Verantwortung auf die Eltern. "Unglücklicherweise lassen sich Kindergarten- und Grundschulkinder nicht durch den scharfen oder bitteren Beeren-, Blatt- oder Wurzelgeschmack abschrecken und geben ihrem Forscherdrang und der Neugier nach, ohne sich einer Gefahr bewusst zu sein", erklärt Hesse.

    Besonderes Augenmerk galt daher den Didaktikern der Universität Münster den Kenntnissen der Kinder im schulpflichtigen Alter über Pflanzen und deren Giftigkeit. Die Auswertung von Frage- und Bilderbögen an einer zweiten Grundschulklasse bestätigte, dass nur bedingt botanische Kenntnisse bei den Zweitklässlern vorhanden sind. Interessanterweise schätzten die Kinder Pflanzen mit wohlklingendem Namen, wie Maiglöckchen oder Goldregen, als völlig ungefährlich ein, berichtete Hesse erstaunt. Aufklärung, das heißt die Vermittlung einfacher botanischer Kenntnisse, würde Vergiftungen durch Pflanzen beziehungsweise der Angst darum vorbeugen. An dieser Stelle möchte der Didaktiker ansetzen und den Grundschulunterricht ergänzen. Lehrer sollen Schüler über die potentiellen Gefahren bei bestimmten Pflanzen aufklären und selbst für den Ernstfall vorbereitet sein. Dazu hat Hesse Erste-Hilfe-Tipps zur Vorgehensweise im Vergiftungsfall und Unterrichtsmaterialien zusammengestellt.

    Den Eltern rät Hesse, zunächst Sicherheitsvorkehrungen für den eigenen Wohnbereich zu treffen, denn der Blaue Eisenhut, Seidelbast oder Fingerhut sprießen oft im eigenen Garten und sind ebenfalls als Giftpflanzen einzustufen. Das gleiche gelte für die in deutschen Wohnzimmern anzutreffende Primel und Dieffenbachie. Doch die Hauptgefahrenquellen bei Vergiftungen sind Arzneimittel, Haushalts- und chemischen Produkte. "Eltern, die Arzneimittel, Lampenöl, Haushaltsreiniger und Schädlingsbekämpfungsmittel ungesichert in ihrer Wohnung aufbewahren, sollten zunächst diese vor den Kindern sichern, bevor sie giftige Pflanzen ausrotten wollen", ist Hesses Fazit der kritischen Datenanalyse.


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    Den Umgang mit giftigen Pflanzen können Kinder im Botanischen Garten der Universität Münster erlernen. Foto: Tonja Klenter
    Den Umgang mit giftigen Pflanzen können Kinder im Botanischen Garten der Universität Münster erlerne ...

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    Criteria of this press release:
    Biology, Environment / ecology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Oceanology / climate
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Den Umgang mit giftigen Pflanzen können Kinder im Botanischen Garten der Universität Münster erlernen. Foto: Tonja Klenter


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