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05/22/2006 13:48

Autorität und Regeln - Werteerziehung im Schulalltag

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    PISA-Studie, Integration, soziale Deklassierung, Rütli-Schule - das deutsche Schulsystem steckt tief in den Schlagzeilen. So verdient eine Neuerscheinung Aufmerksamkeit, in der Fragen gestellt und Antworten gegeben werden zur Werteerziehung im Schulalltag. Autorität und Regeln spielen dabei in dem Buch von Frau Dr. Brigitte Latzko von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig eine zentrale Rolle. Verfügen Lehrer überhaupt über die notwendige Autorität, Werte und Verhalten zu beeinflussen?

    "Der Lehrer ist auch kein Mensch, der ist nur ein Lehrer." Der Satz gehört zu den drastischsten Aussagen, die Dr. Brigitte Latzko im Laufe ihrer Untersuchungen zu hören bekam. Für ihr Buch "Werteerziehung in der Schule", das in diesen Tagen erscheint, hat die Leipziger Psychologin eine Fülle an empirischen Erhebungen, Fragebögen und Interviews gebündelt. In denen beschreiben Schüler - mehr oder minder deutlich -, ob und inwieweit sie ihre Lehrer als Autorität wahrnehmen. Die zitierte Aussage erhellt schlagschlichtartig das Thema, dem sich Dr. Brigitte Latzko widmet: dem "Werteverlust unter der Schülerschaft und dem damit einhergehenden Autoritätsverlust der Lehrkräfte".

    Dass Kinder und Jugendliche, Schüler und Schülerinnen Regeln nicht permanent missachten, kann Schule nicht per se lehren. "Normen akzeptieren" ist kein Fach, das sich wie Mathematik oder Deutsch unterrichten ließe. "Das läuft in vielen kleinen, alltäglichen Dingen", so Dr. Brigitte Latzko. Dafür möchte die Erziehungswissenschaftlerin, die an der Universität Leipzig als Dozentin tätig ist, Lehrer und Pädagogen sensibilisieren. Gebraucht wird nicht ein Fach "Werteerziehung"; nötig ist vielmehr eine Grundhaltung auf Seiten der Erziehenden.

    Werteerziehung von Jugendlichen bedeutet, die Fähigkeit zu vermitteln, "sich kritisch mit unterschiedlichen Werten auseinanderzusetzen und dabei eine begründete eigene Position einzunehmen, die den Mitmenschen respektiert". Als Beispiel greift Dr. Latzko auf das alltägliche SMS-Schreiben während des Unterrichts zurück. Nach ihren Eindrücken aus Gesprächen mit Lehrern und Schülern gibt es zum Umgang mit dem "Simsen" keine klaren Regeln. "Es ist ein Konfliktfeld, das von beiden Seiten auch als solches gesehen wird." Um dieses zu klären, ist zuerst der Lehrer als Impulsgeber gefragt. Um zusammenzukommen; Transparenz herzustellen, um zu klären, warum ein Verbot notwendig ist und um zu verdeutlichen, was ein "Weiter so" für Folgen hätte. Darauf aufbauend können Regeln gemeinsam erarbeitet und ihre Umsetzung gemeinsam verantwortet werden. Letztlich bedeutet ein solches Vorgehen, Kinder und Jugendliche zum einen in Entscheidungen einzubeziehen und zum anderen auf die Missachtung einer Regel differenziert einzugehen. "Werteerziehung vollzieht sich in jeglicher zwischenmenschlichen Interaktion", fasst Dr. Brigitte Latzko zusammen. Ohne die Formulierung klarer, eindeutiger, verlässlicher Erziehungsziele ist dies jedoch kaum denkbar.

    Sich über diese Ziele zu verständigen, mit Kollegen und auch mit Eltern, dazu ermuntert die Wissenschaftlerin, die sowohl aus den Erfahrungen der Lehramtsstudenten als auch aus vielfachen Weiterbildungen für Lehrer den Alltag an Schulen kennt. Sie weiß, dass im schulischen Alltag oftmals Verunsicherung bremsend wirkt und dass die Kompetenz zur Erziehung in den Universitäts-Curricula zu kurz kommt. Ihre Hoffnung gilt der Neuausrichtung der Studiengänge hin zu Bachelor und Master. Dies könne die Rückkopplung von schulpraktischen Übungen in die Lehre befördern.

    In ihrem aktuellen Buch "Werteerziehung in der Schule" zeigt Dr. Latzko aus pädagogisch-psychologischer Perspektive fundiert die Prozesse und Determinanten auf, die grundlegend für die Werteerziehung sind. Finden sich in der gängigen Literatur zumeist Anweisungen und Maßnahmen zu Disziplinverstößen und Erziehungsproblemen, so konzentriert sich die Autorin in einem ersten Schritt auf die theoretische Fundierung, um sich im zweiten Schritt Empfehlungen zum praktischen Handeln zuzuwenden.

    Entstanden ist das Buch nicht zuletzt durch einen Anstoß, der im März 2004 von einer Pressemitteilung der Universität Leipzig ausging. Skizziert wurde damals das Themenfeld, dem sich Dr. Brigitte Latzko an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät widmete (und widmet): dem Zusammenhang von Regeln und Autorität im schulischen Alltag. Diese Veröffentlichung weckte wiederum die Aufmerksamkeit des Verlages Barbara Budrich. Seither sind etwas mehr als zwei Jahre vergangen. Zwei Jahre, in denen Dr. Latzko ihre Studien ausgeweitet und vertieft hat, zwei Jahre, in denen sie mit Lehrer/innen und Schüler/innen, mit Eltern und Studierenden diskutiert hat, zwei Jahre, in denen nun das Buch "Werteerziehung in der Schule" entstanden ist.

    Inzwischen denkt sie bereits an weitere Projekte. "Im Entstehen des Buches wurde deutlich, dass jeder Schultyp, ja selbst jede Schulstufe für die Praxis jeweils anderes Material braucht." So zeige sich ein deutlicher Unterschied zwischen Grundschule und weiterführender Schule oder auch zwischen Berufsschule und Gymnasium. Entsprechend spezifische Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wäre ein künftiger Weg. Ein zweiter zeichnet sich mit der Frage ab: "Wieviel Autonomie braucht die Autorität?" Für Dr. Latzko ist klar: Allein, weil Lehrer in der Wahrnehmung der Schüler keine Autorität mehr darstellen, bedeute das noch nicht, dass Schüler keine Idee von Autorität mehr hätten - eher hätten sie ein andere Idee von Autorität. "Sie wünschen sich autoritäre Lehrer im Sinne einer positiven Autorität", schildert Dr. Brigitte Latzko. Bleibt die Frage (zu untersuchen): Wie sieht eine solche "positive Autorität" aus?

    Die bislang vorliegenden Ergebnisse weisen in eine Richtung: "Viele 'Angriffe' gegen Lehrer richten sich weniger gegen deren Autorität - auch wenn es so aussieht. Vielmehr sind es Versuche des Schülers, sich autonom zu verhalten." Nach diesen Überlegungen skizziert die Erziehungswissenschaftlerin die Hypothese für neue, weiterführende Studien: "Wenn Schüler ein Feld haben, auf dem sie sich autonom erleben könne, dann können sie in einem anderen Feld auch Autorität zulassen."
    Daniela Weber

    Das Buch:
    Brigitte Latzko: Werteerziehung in der Schule. Regeln und Autorität im Schulalltag. Verlag Barbara Budrich, Leverkusen-Opladen 2006 (ISBN 3-938094-35-4)

    Weitere Informationen:
    Dr. Brigitte Latzko
    Telefon: 0341 97-31436 o. -31460
    E-Mail: latzko@uni-leipzig.de
    www.uni-leipzig.de/~erzwiss


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    Criteria of this press release:
    Psychology, Social studies, Teaching / education
    transregional, national
    Research projects, Scientific Publications
    German


     

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