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11/25/1999 09:05

Engelskonzerte und Teufelsklänge

Dr. Wolfgang Mathias Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    203/99

    Die Darstellung von Musik in mittelalterlichen Kirchen

    Eine der frühesten und einflußreichsten Darstellungen einer Gruppe musizierender Engel findet sich an den Pfeilern im Chor des Kölner Doms. Über den Figuren der Apostel sind Darstellungen von Engeln angebracht, von denen jeder ein anderes Instrument in der Hand hält. Zusammen ergibt diese Art der Darstellung ein sogenanntes "Engelskonzert". Da das mehrstimmige Musizieren zu dieser Zeit noch in der Entwicklung begriffen ist und viele Musikinstrumente auch mit Weltlichkeit und Unsittlichkeit in Verbindung gebracht wurden, ist ihre Darstellung im Kirchenraum nicht selbstverständlich. Sie beginnt jedoch gerade in der Anfangszeit des Kölner Dombaus und wird in den folgenden zweihundert Jahren immer selbstverständlicher. Nicht nur Engel, auch Menschen und Tiere werden musizierend dargestellt. Die Inhalte der musikalischen Darstellungen und ihre Verbreitung in einer Vielzahl europäischer Kirchen hat Björn Renko Tammen in einer am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln angefertigten Arbeit untersucht. Björn Renko Tammen wurde am 19. Mai 1999 für diese Arbeit mit dem Akademie-Preis der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet.

    Die Engel im Kölner Domchor sind alle ohne Flügel dargestellt. Typisch ist ein jugendliches, schönes Aussehen mit beseligtem Lächeln. In der Mehrzahl spielen sie Saiteninstrumente. Diese galten wegen ihres zarten Klanges als besonders vornehm. Da die Kölner Engel im Verein mit der Jungfrau Maria dargestellt sind, sollte ihre Musik so hoheitsvoll wie möglich sein. Andere Instrumente sind solche, die in den Psalmen erwähnt werden und dadurch über das weltliche Musizieren erhoben sind. Bezeichnenderweise spricht die Liturgie zum Fest Mariä Himmelfahrt - dem Tag der Grundsteinlegung des Doms - denn auch von Maria als "erhoben über die Chöre der Engel".

    Außer den musizierenden Engeln finden sich in den Kirchenräumen dieser Zeit an den verschiedensten, jedoch untergeordneten, Stellen, z.B. an den Arm- und Rückenlehnen der Gestühle, auch Darstellungen von Menschen oder gar Tieren und grotesken Gestalten, die ein Musikinstrument spielen. So ziert ein das Rebec (ein simples, gering geachtetes Streichinstrument) spielender Affe einen Knauf im Kölner Chorgestühl, und in einer Darstellung mehrerer Personen bei einem Festmahl schlägt ein Teufel die Trommel - ein als sehr unheilig geltendes Instrument. Mischwesen zwischen Mensch und Tier spielen oft Blasinstrumente. Diese galten als verrufen, weil sie angeblich Leidenschaften und Zügellosigkeit weckten. In der Kathedrale von Winchester spielen Schweine Rebec und Doppelflöte.

    Der musizierende Engel bleibt jedoch das am häufigsten verwendete Motiv. Im Kölner Dom sind solche Engel außerdem noch in der heute verlorenen Bemalung zwischen den Arkaden im Chor, der Bemalung der Chorschranken, und in verschiedenen Fensterverglasungen zahlreich zu finden. Zusammen mit Köln ist der sogenannte "Angel Choir" der Kathedrale von Lincoln zu sehen, der ungefähr zeitgleich mit Köln entstanden ist. Musizierende Engel schmücken hier als Reliefs die Flächen zwischen den Arkaden. Dieser und die Kölner Chorpfeilerengel stehen am Anfang einer Entwicklung, die in den folgenden zweihundert Jahren so weit um sich greift, daß dem Kölner Musikwissenschaftler zufolge das 15. Jahrhundert zu Recht "Jahrhundert der Engel" genannt werden kann. Auch in provinzielleren Kirchen werden jetzt ganze Orchester von Engeln dargestellt. Eines der zahlreichen Beispiele, die Dr. Tammen anführt, sind die heute leider übertünchten Malereien am Gewölbe der Marienkirche im Niedersächsischen Nettlingen. Dort besingen sechs Engel die Himmelfahrt Mariens, und 22 Engel verkünden das "Gloria" über dem Altar.

    Die Darstellung der musizierenden Engel im Kölner Dom war Ausdruck eines neuen Weltbildes, das von höfisch-weltlichen Elementen geprägt war. Die Musik wurde in dieser Zeit immer mehr von den obersten Gesellschaftsschichten akzeptiert. Außerdem wurde sie verstärkt in der wissenschaftlichen Theorie behandelt. Dazu kommt der Fortschritt beim Musizieren mit mehreren Instrumenten. Dies wirkte auch auf die Kirchenmusik, die zuvor meist auf den Gesang der Kleriker beschränkt war. In einer Stadt von der Größe Kölns, die sich zudem nahe am französischen Einflußbereich befindet, konnten solche Tendenzen schnell aufgenommen werden. Unmittelbare Nachahmungen in anderen Kirchen in den folgenden Jahrzehnten zeigen denn auch nie ein vollständiges Konzert. Dies erschien den Zeitgenossen - so der Kölner Musikwissenschaftler - wohl zu gewagt. Erst beim Neubau des Chors am Aachener Münster fast ein Jahrhundert später findet sich eine vollständige Übernahme des Programms. Damit ist ein wichtiger Schritt in der allgemeinen Akzeptanz neuer Instrumentalmusik getan.

    Auch die Anbringung der Musikdarstellungen im Chorraum ist nicht selbstverständlich. Dr. Tammen zufolge gab es Musikdarstellungen vorher eher am Portal. Im Chor aber, der ja der Meßfeier und dem Gebet der Kleriker vorbehalten war, erhielten sie eine überhöhte Bedeutung. Zum einen konnte der Geistliche seinen eigenen Gesang im Singen der Engel gespiegelt sehen. Außerdem war es die Vorstellung in der mittelalterlichen Liturgie, daß die Engel im Himmel das "Sanctus" singen, wenn der Priester die Wandlung vollzieht. Diese, wenn schon nicht hörbare Musik, konnte hier gesehen und dadurch vorstellbar werden.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias


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    Criteria of this press release:
    Art / design, Construction / architecture, History / archaeology, Music / theatre
    transregional, national
    Research results
    German


     

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