Pottwale tummeln sich auch im Mittelmeer - das haben Biologen mithilfe eines Instrumentariums herausgefunden, das in der Tiefsee unvorstellbar winzigen und flüchtigen Besuchern der Erde auf der Spur ist: großen Unterwasserteleskopen, mit denen Physiker Signale von Neutrinos, beinahe masselosen Elementarteilchen, aus den Tiefen des Universums nachweisen wollen. Aus den anfallenden Daten können Meeresbiologen die Geräusche der Wale herausfiltern. Das Erlangen Centre for Astroparticle Physics (ECAP) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wird dabei sein, wenn die ungewöhnliche Querverbindung zwischen zwei Disziplinen am 1. und 2. Dezember 2010 in Paris diskutiert wird.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ECAP erforschen Neutrinos mit dem Teleskop ANTARES, das seit 2008 in der Nähe von Toulon in 2.475 Metern Tiefe vollständig aufgebaut ist und Tag und Nacht Daten sammelt, ähnlich wie NEMO vor Italien und NESTOR vor Griechenland. Am europäischen Gemeinschaftsprojekt KM3NeT, einem kubikkilometer großen Neutrino-Teleskop, das im Mittelmeer künftig mehr als eine Milliarde Tonnen Wasser beobachten soll, sind die Erlanger Astroteilchenphysiker ebenfalls maßgeblich beteiligt.
ANTARES überwacht etwa 30 Millionen Tonnen Wasser mittels Photomultipliern, die einzel-ne Photonen nachweisen und ihre Ankunftszeiten mit einer Genauigkeit von etwa einer Nano-sekunde messen können. Dadurch sollen Neutrinos aus astronomischen Quellen, die sich trotz ihrer ungeheuer großen Zahl der Beobachtung bisher hartnäckig entziehen, „sichtbar“ werden. Darüber hinaus könnte es sein, dass man Neutrinos buchstäblich „hören“ kann. Sie heizen das umgebende Wasser in einem sehr geringen Radius ein klein wenig auf, wenn sie ihre Energie in einer Teilchenkaskade abgeben. Dabei dehnt sich das Wasser gerade genug aus, um einen messbaren Schallpuls entstehen zu lassen. Außerdem lassen sich akustische Sensoren in größeren Abständen voneinander anbringen als optische, da sich Schall in Wasser weiter ausbreiten kann als Licht. Um zu testen, ob auf diese Weise noch gewaltigere Wassermengen auf Neutrino-Reaktionen zu untersuchen sind, wurden am ECAP akustische Sensoren und die zugehörige Ausleselektronik entwickelt und in ANTARES integriert. Seit Ende 2007 werden nun laufend akustische Daten aus der Tiefsee genommen.
Noch waren keine Signale von Neutrinos zu finden, doch andere Geräusche sind ständig vorhanden, denn in den Wassermassen des Mittelmeers ist es keineswegs still. Die europäischen Physiker, die mit Unterwasserteleskopen arbeiten, kamen auf die Idee, ihre Daten auch anderweitig zu verwerten und ihre Geräte mit Meeresbiologen zu teilen. Damit tragen sie dazu bei, ein bioakustisches Netzwerk zu entwickeln, das in der Tiefsee Signale aus der Umwelt auffängt.
Live-Walgesang im Internet
Wissenschaftlern aus anderen Disziplinen bietet sich dadurch nicht allein die Möglichkeit, Ausflüge von Walen ins Mittelmeer zu verfolgen; für langfristige Studien in der Tiefsee könnten spezielle Detektoren eingerichtet werden, beispielsweise um Ozeanströmungen zu untersuchen, die Rätsel der Biolumineszenz – des „kalten Leuchtens“ von Organismen – zu lösen oder Bewegungen der Erdkruste zu überwachen und rechtzeitig vor Erdbeben warnen zu können. Für Hobby-Ozeanologen wird etwas anderes besonders reizvoll sein: Sie können am Computer dem Gesang der Wale lauschen, und das sogar life. Die Internet-Platform LI-DO (Listen to the Deep Ocean) liefert die Daten mit einer minimalen Zeitverzögerung nach Hause (http://listentothedeep.com/).
Der Workshop im Palais de la Découverte in Paris des Europäischen Netzwerks für Astroteilchenphysik und CNRS/IN2P3 (ASPERA) mit dem Titel „From the Geosphere to the Cosmos” (Von der Erde zum Weltall) steht Vertreterinnen und Vertretern der Medien offen, die sich für die neu entdeckten Synergien von Umweltwissenschaften und Astroteilchenphysik interessieren. Am Mittwoch, 1. Dezember, findet zusätzlich um 16.15 Uhr eine Pressekonferenz am Tagungsort statt.
Das Erlangen Centre for Astroparticle Physics umfasst drei Lehrstühle aus dem Physikalischen Institut, die Wissenschaftler der Sternwarte in Bamberg und einen Lehrstuhl im Institut für Theoretische Physik. Im Mai 2008 wurde das ECAP eingeweiht.
Die Universität Erlangen-Nürnberg, gegründet 1743, ist mit 27.000 Studierenden, 550 Professorinnen und Professoren sowie 2000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte Universität in Nordbayern. Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen an den Schnittstellen von Naturwissenschaften, Technik und Medizin in engem Dialog mit Jura und Theologie sowie den Geistes-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Seit Mai 2008 trägt die Universität das Siegel „familiengerechte Hochschule“
Weitere Informationen für die Medien:
Dr. Robert Lahmann
Tel.: 09131/85- 27147
Robert.Lahmann@physik.uni-erlangen.de
http://www.ecap.physik.uni-erlangen.de/
http://www.ecap.physik.uni-erlangen.de/acoustics
Nicht nur in den großen Ozeanen, sondern auch im Mittelmeer sind Pottwale aufgetaucht.
Foto: Laboratori d‘Applications Bioacústiques / Universitat Politécnica de Catalunya
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Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Biology, Environment / ecology, Geosciences, Oceanology / climate, Physics / astronomy
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Research results
German
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