Prof. Dr. Veronika Grimm über die Vergabe des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Alvin Roth und Lloyd Shapley
Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ging in diesem Jahr an die beiden Wissenschaftler Alvin Roth und Lloyd Shapley. Warum die Auszeichnung der US-Amerikaner überaus verdient ist, welchen Bezug sie persönlich dazu hat und wie die Erkenntnisse von Roth und Shapley bereits in der Praxis zum Einsatz kommen, das erläutert Professor Dr. Veronika Grimm, Inhaberin des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftstheorie, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
"Während heute so oft diskutiert wird, dass Ökonomen „an der Realität vorbeiforschen“, zeigen die Arbeiten der beiden Preisträger ganz klar, wie praxisnah ökonomische Forschung sein kann. Beide haben den Preis im höchsten Maße verdient! Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung des Nobelpreis-Komitees die Idee des so genannten Economic Engineering weiter befördert: Die Entwicklung von konkreten Vorschlägen zur Ausgestaltung von Institutionen und Märkten unter Verwendung von Theorie, Experimenten und empirischen Methoden.Alvin Roth ist ein großartiger Forscher, der es auf einzigartige Weise verstanden hat, ökonomische Modelle direkt in der Praxis nutzbar zu machen. Zu seinen bemerkenswertesten Leistungen zählt die Entwicklung von Matching-Märkten mithilfe von theoretischen Erkenntnissen der Matching-Theorie, die ganz reale Probleme lösen.
Einer dieser Märkte nutzt ein kompliziertes Verfahren, um Patienten mit Nierentransplantaten von Lebendspendern zusammenzubringen. Eine Lebendspende darf in der Regel nur von Verwandten geleistet werden, deren Organe kommen aber oft nicht infrage, da sie nicht kompatibel sind. Roth entwickelte für dieses Problem einen Tauschmechanismus. Dieser ermöglicht Tauschringe von bis zu drei Patienten und ihren Spendern und bringt so bedeutend mehr passende Spender-Empfänger-Paare zusammen. Da also mehr Lebendspenden zustande kommen, verringern sich auch die Wartezeiten für Nieren, die nach Todesfällen gespendet werden. Das Verfahren wird heute mit großem Erfolg in New England eingesetzt.
Andere Anwendungen von Roths Matching-Algorhytmen sind die Zuordnung junger Ärzte zu Krankenhäusern oder von Schülern zu Schulen. Roth hat damit ökonomische Theorie direkt genutzt, um Märkte funktionsfähiger zu machen und den Nutzen der Menschen signifikant zu erhöhen. Diese Herangehensweise, die heute unter dem Namen „Market Design“ oder auch „Economic Engineering“ bekannt ist, hat eine ganze Generation von Mikroökonomen – auch mich – entscheidend beeinflusst. Daher freut es mich natürlich umso mehr, wenn diese Forschungsarbeit ausgezeichnet wird.
Es ist ein nicht aufhaltbarer Trend in der Mikroökonomie, sehr nahe an der Praxis zu arbeiten. Reale Märkte und ihre Regeln werden untersucht und sowohl Theorie, als auch Experimente und Empirie kommen zum Einsatz, um die Marktregeln zu verbessern. Da geht es um Energiemärkte, den Gesundheitssektor, das Matching von Studenten zu Universitäten und vieles mehr. Alvin Roth hat eindrucksvoll vorgemacht, dass das ökonomische Instrumentarium hier hervorragend genutzt werden kann und somit auch die Möglichkeiten aufgezeigt, ernsthafte Forschung außerhalb des Elfenbeinturms zu betreiben.
Lloyd Shapley ist rund 30 Jahre älter als Roth und hat in seinen Arbeiten das Fundament für Roths Forschung gelegt. Er hat sich im Wesentlichen damit beschäftigt, welche Mechanismen ein sogenanntes „stabiles Matching“ erzeugen. Darunter ist eine Zuordnung von Akteuren zu verstehen, bei dem kein Paar gefunden werden kann, das es vorzieht, miteinander gematcht zu werden als mit ihren jeweils zugeordneten Partnern. Shapley hat gezeigt, wie welche Ausgestaltung des Matching-Verfahrens eher der einen oder der anderen Marktseite hilft. Seine Ergebnisse haben die Grundsteine für Roths Anwendungen gelegt."
Den Kommentar von Prof. Grimm finden Sie auch online unter:
http://blogs.fau.de/news/2012/10/16/praxisnahe-forschung-die-menschen-hilft/
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