Die Justizminister der Länder haben auf ihrer jährlichen Herbst-Konferenz beschlossen, die rechtlichen Möglichkeiten einer Fahndung über soziale Netzwerke zu prüfen. Doch wie sieht die Rechtslage grundsätzlich aus? Das erklärt PD Dr. Gabriele Kett-Straub vom Lehrstuhl für Strafrecht und Kriminolo-gie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Über kein anderes Medium können in kurzer Zeit so viele Personen erreicht werden wie über Facebook, dessen Faszination vor allem bei jungen Menschen nach wie vor ungebrochen ist. Da ist es nur naheliegend, dass auch die Polizei das soziale Netzwerk für ihre Zwecke nutzt. Man hofft mit Hilfe der riesigen Facebook-Gemeinde auf Fahndungserfolge: „Aktenzeichen XY – ungelöst“ wird quasi von Facebook abgelöst. Die Justizminister der Länder haben sich gestern bei der Justizministerkonferenz darauf geeinigt, dass nun geprüft werden soll, ob die Polizei künftig online auf Verbrecherjagd mit Hilfe von Facebook und Twitter geht.
Verschiedene Polizeibehörden betreiben bereits eigene Facebook-Seiten und ziehen eine positive Bilanz. Aktuell bittet die Polizei Hannover um die Mithilfe bei einem Tötungsdelikt: „Liebe Facebook-Gemeinde, wir bitten aus aktuellem Anlass um Eure Unterstützung“. Auf Fotos, die angeklickt werden können, sind verschiedene Gegenstände (Säge, Hammer, Winkelschleifer) abgebildet, die im Zusammenhang mit dem Fund verschiedener Leichenteile eine Rolle spielen. Unter einer angegebenen Telefonnummer sollen sich diejenigen melden, die Angaben zu den konkreten Gegenständen machen können. Gegen ein solches Vorgehen ist rechtlich prinzipiell nichts einzuwenden. Kritisch muss indes hinterfragt werden, ob eine weltweite Suche nach Menschen, die drei Gegenstände kennen könnten, die im niedersächsischen Maschsee gefunden wurden, tatsächlich den erhofften Fahndungserfolg bringt oder ob nicht klassische Ermittlungsarbeit zielführender wäre. So drängt sich der Eindruck auf, dass es bei diversen Fahndungsaufrufen eher um eine Selbstdarstellung der Polizeibehörden geht als um ernsthafte straf-prozesssuale Ermittlungsmaßnahmen.
Eine rechtliche Grauzone betritt die Facebook-Fahndung aber spätestens dann, wenn die Namen oder gar die Fotos mutmaßlicher Straftäter gepostet werden. Unsere Strafprozessordnung erlaubt zwar unter den Voraussetzungen der §§ 131 ff. StPO eine so genannte Öffentlichkeitsfahndung: Demnach muss es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung handeln. Einen konkreten Katalog, welche Delikte hierunter zu verstehen sind, hat der Gesetzgeber dem Gesetzesanwender nicht mit an die Hand gegeben. Doch klar ist, dass eine öffentliche Bloßstellung eines von der Polizei Verfolgten nicht bei geringfügigen Straftaten in Betracht kommt. Erlaubt ist bei der Öffentlichkeitsfahndung grundsätzlich auch die Veröffentlichung von Bildern eines Beschuldigten oder gar eines Zeugen (§ 131b StPO). Demnach muss beispielsweise die Feststellung der Identität eines Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend bzw. die Feststellung der Identität eines Zeugen auf andere Weise sogar nahezu aussichtslos sein. Damit glaubte man den Rechten, insbesondere den Persönlichkeitsrechten von mutmaßlichen Tätern und Zeugen, genüge getan zu haben. Doch bei Normierung dieser Voraussetzungen hat der Gesetzgeber nicht an ein Medium mit einem schier unbegrenzten Verbreitungsraum wie Facebook denken können.
Aktueller sind die Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV). Das sind Verwaltungsvorschriften von Bund und Ländern, die sich in erster Linie an Staatsanwälte richten, um ein bundeseinheitliches Verfahren sicherzustellen. In Punkt 3.2 der Anlage B zu den RiStBV, bei der es um „die Inanspruchnahme von Publikationsorganen zur Fahndung nach Personen bei der Strafverfolgung“ geht, ist explizit geregelt, dass private Internetanbieter für eine Fahndung "grundsätzlich“ nicht eingeschaltet werden sollen. Staatliche Fahndungsaufrufe sollen auf speziellen Seiten – etwa auf der Seite der Polizei – gebündelt werden. Doch diese Regelung verkennt die Problematik: Zum einen erlaubt ein grundsätzliches Verbot Ausnahmen, die ja bereits eifrig genutzt werden. Zum anderen sind auch Fahndungsaufrufe auf Polizeiseiten im Internet nicht mit traditionellen Methoden der Öffentlichkeitsfahndung zu vergleichen.
Es macht einen großen Unterschied, ob eine Fahndungsausschreibung in einer Lokalzeitung bzw. durch den Aushang von Plakaten oder eben im Internet erfolgt. Jede Fahndung im Internet ist prinzipiell global; der Zugriff auf die Seite ist weltweit möglich. Und selbst wenn die offizielle Fahndung beendet wird – eine Löschung aller Informationen im Internet ist schlechterdings unmöglich. Ein konventionelles Fahndungsplakat kann abgehängt werden und auch ein Fahndungsaufruf in der Tageszeitung ist schnell vergessen. Doch das Netz vergisst nichts: Ist ein mutmaßlicher Straftäter erst einmal gepostet, wird dieser Vorgang für immer mit seinem Namen verbunden bleiben, auch wenn er seine Strafe längst verbüßt hat. Er bleibt für immer „digital tätowiert“. Und auch Ermittler machen Fehler: Man stelle sich nur die persönliche Katastrophe für denjenigen vor, der zu Unrecht in das Visier der Fahnder genommen wurde. An Fälle von drohender Lynchjustiz will man gar nicht erst denken.
Natürlich kann und soll unsere Strafprozessordnung nicht auf jeden technischen Fortschritt mit neuen Vorschriften reagieren. Vielmehr ist ein Gesetz im Idealfall technisch neutral. Doch bezüglich einer Öffentlichkeitsfahndung hat sich die Situation der Betroffenen durch die Möglichkeiten des Internets so grundlegend geändert, dass eine Neuregelung der Materie unumgänglich ist. Zwei Dinge gilt es nun gesetzlich zu klären: Wann ist eine Internet-Fahndung zulässig und unter welchen Voraussetzungen dürfen private Internetanbieter mit in eine solche Fahndung einbezogen werden? Die Klärung dieser Fragen muss zügig erfolgen, bevor durch die Kraft des Faktischen Tatsachen geschaffen werden.
Weitere Informationen:
PD Dr. Gabriele Kett-Straub
Tel.: 09131-85 26371
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