idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
05/03/2013 13:48

Vorsicht beim Griff in den Medikamentenschrank

Blandina Mangelkramer Kommunikation und Presse
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    In Kürze erscheint die fünfte Auflage des US-Standardwerks zu psychischen Störungen, kurz DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Herausgegeben wird es von der American Psychiatric Association (APA); der Erscheinungstermin für die fünfte Auflage ist Mai 2013. Im Vorfeld entbrannten zum Teil heftige Diskussionen über Krankheitsbilder, die neu hinzukommen oder modifiziert wurden. Prof. Dr. Johannes Kornhuber, Lehrstuhl für Psychiatrie und Psychotherapie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, erklärt, welche Folgen das neue Handbuch haben wird.

    Eines ist sicher: Die Neuauflage des DSM wird weltweit beachtet werden. In Deutschland jedoch verwenden wir die ICD-10, die International Classification of Diseases, die von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben wird. In der ICD-10 wie auch in dem DSM-5 werden psychiatrische Störungsbilder beschrieben und definiert. Dadurch können Psychiater in verschiedenen Ländern verlässliche und vergleichbare Diagnosen stellen. So wird mit der Anwendung dieser Diagnosehandbücher beispielsweise sichergestellt, dass die Diagnose „Schizophrenie“ eines Patienten in Australien dasselbe meint, wie bei einem Patienten in Indien. Doch auch wenn unsere tägliche Arbeit vom neuen DSM nur indirekt beeinflusst werden wird, lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen.

    Die Forschung ist natürlich seit dem Erscheinen der vierten Auflage vor 20 Jahren nicht stehen geblieben und wir verfügen über eine Menge neuer Erkenntnisse. Das betrifft zum Beispiel den Verlauf psychischer Störungen oder neue diagnostische Werkzeuge. Dadurch verstehen wir psychiatrische Störungsbilder heute besser als damals und können sie auch zuverlässiger diagnostizieren. Als Beispiel möchte ich hier die frühe Diagnose einer Alzheimer-Krankheit anführen, die im DSM-5 unter anderem durch bildgebende und neurochemische Untersuchungen untermauert werden kann. Für viele Diagnosen besteht die Hoffnung, dass mit der Weiterentwicklung des DSM die Kriterien verbessert werden, mit denen wir psychische Störungsbilder beschreiben.

    Die immer wieder vorgetragene Sorge einer unzulässigen Ausweitung von Diagnosen und einer diagnostischen Inflation ist möglicherweise berechtigt. Dies werden wir nach der Einführung von DSM-5 sorgfältig beobachten müssen. Am Beispiel Burnout ist jedoch erkennbar, dass nicht jeder Risikozustand oder jede Befindlichkeitsstörung gleich als neues Störungsbild in das DSM-5 aufgenommen wird. Als besonders problematisch erachte ich allerdings, dass die Schwelle zur Diagnose einer schweren Depression bei trauernden Menschen, die eine geliebte Person verloren haben, gesenkt wird. Das könnte dazu führen, dass viele Trauernde bereits nach kurzer Zeit – die Rede ist hier von zwei Wochen – die Diagnose einer Depression erhalten und dann möglicherweise sogar mit Medikamenten behandelt werden.

    Wir sollten uns davor hüten, jede Abweichung von einer Durchschnittsnorm und jede Missempfindung als psychische Störung zu diagnostizieren und, schlimmer, gleich medikamentös zu behandeln. Das normale menschliche Verhalten ist bunt und vielfältig und das ist gut so. Trauer, Wut, Verliebtheit sind meist normal. Psychiatrische Klassifikationssysteme wie das DSM-5 oder die ICD-10 sollen helfen, psychische Störungen besser zu erkennen und dadurch die Versorgung der Patienten mit diesen Störungsbildern verbessern. Ob durch die Neuauflage des DSM die Diagnosen von psychischen Störungen zunehmen, werden wir aufmerksam verfolgen.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Johannes Kornhuber
    Tel.: 09131/85-34166
    johannes.kornhuber@uk-erlangen.de


    More information:

    http://blogs.fau.de/news/category/fau-aktuell/nachgefragt/
    <Schauen Sie doch einfach mal auf unserer Rubrik "Nachgefragt" vorbei - dort finden Sie Meinungsbeiträge von Wissenschaftlern der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu aktuellen Themen aus Gesellschaft, Politik und Wissenschaft.>


    Images

    Prof. Dr. Johannes Kornhuber
    Prof. Dr. Johannes Kornhuber
    Foto: Universitätsklinikum Erlangen
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Science policy
    German


     

    Prof. Dr. Johannes Kornhuber


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).