Rechtssoziologe der Freien Universität Berlin untersucht berufliche Werdegänge ehemaliger NS-Juristen
Welche Karrieren machten NS-Justizjuristen nach 1945? Dieser Frage widmet sich ein seit 1998 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit rund 120.000 Euro gefördertes Projekt mit dem Titel "Karrieren und Kontinuitäten deutscher Justizjuristen im 20. Jahrhundert" (KuK-Projekt). Auf der Grundlage von Angaben wichtiger beruflicher Merkmale von rund 34.000 Juristen des höheren Justizdienstes zwischen 1930 und 1964 lassen sich erstmals Justizkarrieren im 20. Jahrhundert systematisch verfolgen. Danach haben sich die meist in der Weimarer Republik ausgebildeten Justizjuristen mit dem NS-Regime arrangiert und im höheren Justizdienst als Richter oder Staatsanwälte die üblichen Karriereschritte gemacht. Nach 1945 wurden in der Bundesrepublik auf Grund der restaurativen Politik der Adenauer-Zeit die alten Beförderungsmuster in der Justiz fortgeführt, was bedeutete, dass die während der NS-Zeit tätigen Justizjuristen schneller Karriere machten als junge Juristen, die erst nach 1945 in die Justiz eintraten.
"Die meisten Justizjuristen haben sich nach 1933 mit dem neuen Regime arrangiert, es unterstützt und sogar begrüßt", resümiert Prof. Dr. Hubert Rottleuthner den Stand der Forschung. Richterlichen Widerstand habe es kaum gegeben, auch hätten die Juristen nicht unter Druck, sondern freiwillig für das neue Regime gearbeitet. Zwischen 1933 und 1938 wurden rund 700 höhere Beamte aus dem Justizdienst ausgeschlossen, die jüdisch waren und/oder den Sozialdemokraten nahe standen. Mit dem großen Rest konnte das NS-Regime gut arbeiten. Neben einer positiven weltanschaulichen Einstellung macht Rottleuthner auch die verbesserte wirtschaftliche Lage der Justizjuristen nach 1933 sowie den allgemeinen Rückgang der Geschäftsbelastung, also der Zahl der zu erledigenden Verfahren verantwortlich. "Wer im Dritten Reich allerdings Karriere machen wollte, musste NSDAP-Mitglied sein und eine gute Examensnote haben", so Rottleuthner.
Nach 1945 machten die meisten der schon in der NS-Zeit tätigen Juristen im höheren Justizdienst weiter Karriere. So setzten sich beispielsweise im Jahr 1954 74 Prozent der Justizjuristen bei den Amtsgerichten, 68,3 Prozent bei den Landgerichten, doch 88,3 Prozent bei den Oberlandesgerichten und 74,7 Prozent beim Bundesgerichtshof (BGH) aus "alten" Justizjuristen zusammen.
Vor allem diese alten Justizjuristen gelangten nach 1945 in die hochdotierten, angesehenen und einflussreichen Posten bei den höheren Gerichten wie den Oberlandesgerichten, aber auch beim Bundesgerichtshof. Während 1964 nurmehr 48,6 Prozent der Justizjuristen an den Amtsgerichten und 37,3 Prozent an den Landgerichten aus "alten Justizjuristen" bestanden, waren 61,3 Prozent an den Oberlandesgerichten und 71,4 Prozent am BGH "alte" Justizjuristen. Diese Zahlen zeigen, dass das herkömmliche Karrieremuster einfach fortgesetzt wurde. Im Gegensatz zur SBZ/DDR gab es in der Bundesrepublik keine Regelung, die es verbot, NS-Juristen, die in der NSDAP waren (und das waren über 80 Prozent), wieder in den Dienst zu nehmen. Nach 1954 nahmen die politischen Bedenken deutlich ab: In der Adenauer-Ära konnten vielmehr alte erfahrene Juristen (welche "Erfahrungen" auch immer sie gemacht hatten) auf Grund des traditionellen Karrieremusters in der Justiz eher aufsteigen als die neuen, noch nicht so "erfahrenen" Juristen.
Eine besondere Situation herrschte beim Bundesgerichtshof. Von den dort in der Zeit von 1954 bis 1964 tätigen Richtern und Staatsanwälten hatten über siebzig Prozent bereits während der NS-Zeit als Juristen gearbeitet. Rottleuthner vermutet, dass sich damit auch die sehr verständnisvoll-milde Rechtsprechung des BGH in Rechtsbeugungssachen erklären lässt. Immerhin saßen ja hier meist Richter zu Gericht über ihre früheren Berufskollegen. - Außerdem gibt es deutliche regionale Unterschiede: vor allem die Gerichte in den nördlichen Oberlandesgerichtsbezirken in der (ehemaligen) britischen Zone waren nach 1954 zu hohen Prozentsätzen mit NS-Juristen besetzt.
In seiner Studie stützt sich Rottleuthner auf Angaben zu rund 34.000 Justizjuristen. Dabei wurden alle wichtigen Quellen wie das Personalverzeichnis des höheren Justizdienstes 1938, das Handbuch der Justizverwaltung 1942, Handbücher der Justiz, Beamten-Kalender, Personalmeldungen aus der "Deutschen Justiz" und der "Deutschen Richterzeitung", aus regionalen Amtsblättern, Dokumentationen von belasteten Richtern etc. erfasst. Mit diesem bislang einmaligen Datensatz können umfangreiche quantitative Auswertungen vorgenommen, aber auch Einzelfälle mühelos recherchiert werden. Die Datenbank soll nach Abschluss des Projekts öffentlich zugänglich gemacht werden.
Nähere Informationen erteilt Ihnen gerne:
Prof. Dr. Hubert Rottleuthner, Institut für Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung der Freien Universität Berlin, Boltzmannstr.3, 14195 Berlin, Tel.: 030 / 838-54701, E-Mail: rsoz@zedat.fu-berlin.de
Criteria of this press release:
History / archaeology, Law, Politics, Social studies
transregional, national
Research projects, Research results
German
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