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11/26/2015 17:00

Mikrobiologen enttarnen rätselhafte "Comammox"-Mikroben

Stephan Brodicky Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Neues Kapitel in der Umwelt-Mikrobiologie

    Die Nitrifikation spielt eine Schlüsselrolle im natürlichen Stickstoffkreislauf der Erde sowie in der Landwirtschaft. Seit über 100 Jahren gingen ExpertInnen davon aus, dass verschiedene Mikroorganismen für diese Abläufe verantwortlich sind. Ein internationales ForscherInnenteam unter der Leitung von Holger Daims und Michael Wagner, Mikrobiologen an der Universität Wien, hat nun – völlig konträr zum Lehrbuchwissen – Mikroben entdeckt, die die komplette Nitrifikation allein durchführen: ein Meilenstein in der Mikrobiologie. Die Studie erscheint aktuell in der Zeitschrift "Nature".

    Stickstoff ist ein zentraler Baustein des Lebens und Teil der Nahrung aller Lebewesen. Besonders deutlich wird dies in der Landwirtschaft: Ohne Stickstoff-Dünger wäre Ackerbau im heutigen Ausmaß unmöglich. Jedoch hat die Düngung mit Stickstoff-Verbindungen nicht nur gute Seiten. Der Stickstoffdünger wird durch die Nitrifikation chemisch umgewandelt, gelangt ins Grundwasser sowie in Flüsse und Seen und bringt die Gewässer aus ihrem ökologischen Gleichgewicht. Hinzu kommen Stickstoff-Verbindungen aus Haushalts- und Industrieabwässern, die vor allem in Ländern ohne funktionierende Abwasserreinigung die natürlichen Gewässer belasten.

    Rätselhafte Nitrifikation

    Der vom Menschen verursachte Stickstoff-Eintrag beeinflusst den natürlichen Stickstoffkreislauf, in dem Stickstoff-Verbindungen von bestimmten Mikroorganismen umgesetzt werden. Dazu gehören die Nitrifikanten, welche den Prozess der Nitrifikation durchführen. Dabei wird Ammonium (ein häufig eingesetzter Stickstoffdünger) zuerst zu Nitrit und anschließend das Nitrit zu Nitrat oxidiert. Seit 125 Jahren weiß man, dass für die zwei Schritte der Nitrifikation verschiedene Mikroorganismen verantwortlich sind: die Ammoniak-Oxidierer und die Nitrit-Oxidierer. Durch ihre Zusammenarbeit läuft die Nitrifikation vollständig ab. Auf diesem Wissen basieren hunderte Studien zur Nitrifikation in der Umwelt und in Kläranlagen, wo sie wichtig für die Abwasserreinigung ist. Jedoch: Kein Mikrobiologe hat jemals richtig verstanden, warum es die Arbeitsteilung der Nitrifikanten gibt. Eigentlich könnte eine Mikrobe, die beide Schritte der Nitrifikation ausführt, mehr Energie gewinnen und daraus Vorteile ziehen. Für diesen "kompletten" Nitrifikanten haben Mikrobiologen sich sogar einen Namen ausgedacht: "Comammox" ("complete ammonia oxidizer"). Allerdings blieb es für mehr als ein Jahrhundert ungeklärt, ob "Comammox" tatsächlich existiert.

    Überraschung im russischen Öl-Bohrloch

    Eine Gruppe von ForscherInnen um Holger Daims und Michael Wagner, Mikrobiologen am Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung der Universität Wien, hat das Comammox-Rätsel nun gemeinsam mit Kooperationspartnern in Russland, Dänemark und Deutschland gelöst. Das Team untersuchte eine Bakterienkultur aus einem 1.200 Meter tiefen Öl-Bohrloch in Russland. Obwohl diese Kultur Ammonium vollständig zu Nitrat umsetzte, fanden sich darin nur Bakterien der Gattung Nitrospira, die bislang als strikte Nitrit-Oxidierer galten. Diese könnten zwar den zweiten Schritt der Nitrifikation ausführen, jedoch fehlten alle bekannten Ammoniak-Oxidierer für den ersten Schritt. "Das war ein unglaublich spannender Moment: Alle ahnten, dass in dieser Kultur etwas Neues stecken musste. Aber noch wussten wir nicht, wie groß die Überraschung sein würde", sagt Holger Daims. Erst die komplette Analyse des Erbguts aller Bakterienarten in der Kultur brachte die Antwort. "Die Nitrospira-Bakterien besaßen alle Gene für die Oxidation von Ammoniak und von Nitrit, also für die komplette Nitrifikation. Das musste der seit langem gesuchte Comammox-Organismus sein", so Michael Wagner.

    Comammox ist überall und wurde übersehen

    Physiologische Experimente mit der Kultur und eine Proteom-Analyse brachten die Gewissheit, dass die Nitrospira-Bakterien tatsächlich Comammox sind. Michael Wagner erklärt: "Nitrospira sind seit langem bekannte Nitrit-Oxidierer, die fast überall vorkommen. Dass manche Nitrospira Comammox-Bakterien sind, wurde jahrzehntelang übersehen." Als die Comammox-Nitrospira enttarnt waren, konnte das Team ihr Vorkommen in vielen Böden, Gewässern und in Kläranlagen nachweisen. "Mit diesem Befund beginnt ein neues Kapitel der Umwelt-Mikrobiologie", so Daims. "Unser Bild des Stickstoffkreislaufs,der für alles Leben auf der Erde essentiell ist, war offenbar unvollständig. Wir müssen nun die Eigenschaften von Comammox und ihre Bedeutung in der Natur und in Kläranlagen genauer untersuchen."

    Die Arbeit an der Studie über Comammox wurde vom Wissenschaftsfonds (FWF) sowie vom European Research Council (ERC) gefördert.

    Die MikrobiologInnen der Universität Wien publizieren ihre Ergebnisse in "Nature" gleichzeitig mit KollegInnen der Radboud University Nijmegen (Niederlande), die ebenfalls Comammox-Nitrospira identifiziert hatten. "Das Team in Nijmegen gehört zu den führenden Experten zum Thema Stickstoffkreislauf. Als wir zufällig erfuhren, dass beide Gruppen die gleiche Entdeckung gemacht hatten, vereinbarten wir, die Publikation unserer Arbeiten zu synchronisieren. Somit haben wir einen unnötigen Wettlauf, wer am schnellsten publiziert, vermieden. ", sagt Wagner.

    Publikation in Nature
    "Complete Nitrification by Nitrospira Bacteria": Holger Daims, Elena V. Lebedeva, Petra Pjevac, Ping Han, Craig Herbold, Mads Albertsen, Nico Jehmlich, Marton Palatinszky, Julia Vierheilig, Alexandr Bulaev, Rasmus H. Kirkegaard, Martin von Bergen, Thomas Rattei, Bernd Bendinger, Per H. Nielsen, Michael Wagner; in Nature,
    DOI: 10.1038/nature16461

    Wissenschaftliche Kontakte
    Prof. Dipl.-Biol. Dr. Michael Wagner
    Assoz. Prof. Dipl.-Biol. Dr. Holger Daims
    Department für Mikrobiologie und Ökosystemforschung
    Universität Wien
    1090 Wien, Althanstraße 14
    T +43-1-4277-766 00 sowie 766 04
    wagner@microbial-ecology.net
    daims@microbial-ecology.net

    Rückfragehinweis
    Mag. Alexandra Frey
    Pressebüro der Universität Wien
    Forschung und Lehre
    Universitätsring 1, 1010 Wien
    T +43-1-4277-175 33
    M +43-664-60277-175 33
    alexandra.frey@univie.ac.at

    Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.700 MitarbeiterInnen, davon 6.900 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 92.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit über 180 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. 1365 gegründet, feiert die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum. http://www.univie.ac.at

    1365 gegründet, feiert die Alma Mater Rudolphina Vindobonensis im Jahr 2015 ihr 650-jähriges Gründungsjubiläum mit einem vielfältigen Jahresprogramm – unterstützt von zahlreichen Sponsoren und Kooperationspartnern. Die Universität Wien bedankt sich dafür bei ihren Kooperationspartnern, insbesondere bei: Österreichische Post AG, Raiffeisen NÖ-Wien, Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, Stadt Wien, Industriellenvereinigung, Erste Bank, Vienna Insurance Group, voestalpine, ÖBB-Holding AG, Bundesimmobiliengesellschaft, Mondi. Medienpartner sind: ORF, Die Presse, Der Standard.


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    Die Kolonie besteht aus mehreren Tausend einzelner Nitrospira-Zellen. Kolonien anderer Bakterien sind grün dargestellt. Die Bakterien wurden durch Fluoreszenz in situ-Hybridisierung visualisiert.
    Die Kolonie besteht aus mehreren Tausend einzelner Nitrospira-Zellen. Kolonien anderer Bakterien sin ...
    Copyright: Holger Daims
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    Von links nach rechts: Ping Han, Petra Pjevac, Julia Vierheilig, Michael Wagner, Craig Herbold, Holger Daims, Marton Palatinszky.
    Von links nach rechts: Ping Han, Petra Pjevac, Julia Vierheilig, Michael Wagner, Craig Herbold, Holg ...
    Copyright: Allen Tsao
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    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology, Chemistry, Environment / ecology, Nutrition / healthcare / nursing, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Die Kolonie besteht aus mehreren Tausend einzelner Nitrospira-Zellen. Kolonien anderer Bakterien sind grün dargestellt. Die Bakterien wurden durch Fluoreszenz in situ-Hybridisierung visualisiert.


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