Wie funktionierte die Verwaltung einer Stadt im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit? Nachzuvollziehen ist das in Stadtbüchern, die seit dem 13. Jahrhundert in städtischen Kanzleien geführt wurden. Diese Quellen sind – obwohl sie einen reichen Einblick in das Leben einer Stadt geben – kaum erforscht. Ein auf zwölf Jahre angelegtes Forschungsprojekt an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) soll das ändern. Im Rahmen des Langfristprogramms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erhält die Arbeitsgruppe von Historiker Prof. Dr. Andreas Ranft rund 1 Million Euro für die ersten drei Jahre. Bis 2028 sollen insgesamt 4 Millionen Euro fließen.
Hinter dem schlichten Namen Stadtbuch oder lateinisch "Liber civitatis" verbirgt sich seit dem 13. Jahrhundert in der Regel ein Kodex, der zu Verwaltungszwecken geführt wird. In ihm sind alle rechtsrelevanten Angelegenheiten der Stadt verzeichnet: Gerichtssachen, Namen von Neubürgern, Listen der Ratsmitglieder, Abschriften von Privilegien, Rechnungen oder Steuerlisten. "Stadtbücher sind besondere Quellen, die eine besondere Handhabung und einen besonderen methodischen, analytischen Zugriff brauchen", sagt Prof. Dr. Andreas Ranft, Leiter des Langzeitprojekts.
Leisten soll das Vorhaben in zwölf Jahren jedoch vor allem Grundlagenarbeit: Erstmalig sollen Stadtbücher überregional erfasst und systematisch aufbereitet werden, um sie der historischen und philologischen Forschung zur Verfügung zu stellen. "Damit wird nicht nur ein wesentlicher Beitrag zur Erforschung der städtischen Verwaltungsgeschichte geleistet. Wir machen damit auch die Quellen für Kultur- und Kunsthistoriker fruchtbar, die ihre Forschungsgegenstände dann im Kontext von Löhnen, Preisen und kommunalen Entscheidungen sehen können", sagt Andreas Ranft. "Aber auch für Germanisten ist die Betrachtung der Sprache in den Stadtbüchern lohnend. Wir legen hier für viele Wissenschaften neue Fährten", so der Mittelalter-Spezialist der MLU.
Zuerst sollen im Projekt die Stadtbücher vom 13. bis zum 18. Jahrhundert daher systematisch in einer Datenbank erfasst und online auf der Website www.stadtbuecher.de der Forschung zur Verfügung gestellt werden. "Ganz wesentlich ist dabei, dass weitere, oft nur schlecht oder verstreut zu findende Informationen zu diesen Quellen - etwa Editionen, einschlägige Literatur, weitere Internetquellen - hier ebenfalls zusammengetragen werden", erklärt Andreas Ranft. Zusätzlich sollen durch gezielte analytische Studien - Masterarbeiten, Promotionen und Habilitationen - begleitend Fragestellungen zu Genese, Praxis, Ausdifferenzierung, Wandel und Struktur kommunaler Verwaltung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit betrieben werden.
Denn tatsächlich ermöglichen Stadtbücher einen der ergiebigsten Einblicke in das Leben mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte. Gleichzeitig gehören sie zu den am wenigsten erforschten und demzufolge kaum benutzten Quellen. Denn die überlieferten Kodizes sind sehr breit gestreut, dadurch für die Forschung schwer zugänglich und schlecht zu überblicken. "Besonders das Material aus den heute eher kleineren Städten ist bisher kaum bekannt", so Andreas Ranft. Doch vor allem diese Stadtbücher seien für die Wissenschaft lohnend, denn sie zeigten eine "eingefrorene Situation": Kein späterer Stadtschreiber oder nachfolgende Verwaltungen hätten diese Akten überformt oder auseinandergerissen, so wie es in den großen und prosperierenden Städten mitunter gewesen sei.
Die Forscher bauen mit dem Langzeitvorhaben auf ihr Pilotprojekt auf, das sich der systematischen Aufarbeitung eines in den 1980er Jahren in der DDR unter ganz anderen Bedingungen und Intentionen zusammengetragenen Stadtbuchverzeichnisses widmete. Diese Stadtbücher sind zum eigentlichen Projektstart bereits in der Datenbank erfasst, dort einsehbar und kommentiert. Erweitert wird die Datenbank nun auf ganz Deutschland sowie weite Teile des zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert deutschsprachigen Raums, einschließlich Teilen des heutigen Polens und Tschechiens. "Das Ziel ist es, u. a. verschiedene Stadt(buch)landschaften zu erfassen, denn es gibt verschiedene Traditionen von Stadtbüchern und durchaus signifikante Unterschiede in der Praxis der städtischen Verwaltung", so Ranft.
Im Langfristprogramm der DFG werden ausschließlich Vorhaben aus den Geistes- und Sozialwissenschaften gefördert, die von besonderer Bedeutung für das jeweilige Wissenschaftsgebiet sind und Ergebnisse versprechen, die das Privileg einer bis zu zwölfjährigen Förderzusage rechtfertigen - so etwa Grabungsprojekte oder Vorhaben, die neues Grundlagenmaterial für die weitere Forschung erschließen.
http://www.stadtbuecher.de - Projekt-Website
Mittelalterliche Stadtbücher im Ratsarchiv Görlitz
Foto: Christian Speer
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Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars
History / archaeology
transregional, national
Research projects
German
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