Als eine der großen Erfolgsgeschichten in der modernen Medizin gilt die Einführung der HIV-Kombinationstherapie Mitte der Neunzigerjahre, die bisher unzähligen Infizierten das Leben rettete: Dabei versetzt ein Cocktail aus verschiedenen Medikamenten die tödlichen Viren in einen schlafähnlichen Zustand und unterdrückt deren Vermehrung. So der allgemeine Erkenntnisstand. Dem widersprechen Mediziner vom Universitätsklinikum der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Sie konnten nachweisen, dass das HI-Virus trotz Therapie weiterhin hochaktiv ist. Ihre Forschungsergebnisse haben sie jetzt im Fachmagazin EBioMedicine veröffentlicht.
Durch den Medikamentencocktail sind in der Regel schon nach kurzer Zeit keine Viren mehr im Blut der Infizierten nachweisbar. Das Virus überlebt nur in wenigen Zellen. Dort ist es weitgehend inaktiv, faktisch ausgeschaltet, und vermehrt sich nicht weiter. Das ist seit etwa 20 Jahren Status quo in der HIV-Forschung.
Doch dagegen sprechen nach Ansicht des Erlanger Mediziners Prof. Dr. Andreas Baur mehrere Indizien. Unterbricht man die Therapie, steigt die Viruslast im Blut innerhalb nur weniger Tage deutlich an und der Gesundheitszustand der Patienten verschlechtert sich erneut. Außerdem erkranken HIV-Infizierte trotz Behandlung zum Beispiel häufiger an Tumor-Erkrankungen, Arteriosklerose oder Alzheimer. Und in ihrem Blut ist häufig – etwa in einem Drittel der Fälle – eine sehr niedrige Zahl von Abwehrzellen, den sogenannten T-Helferzellen, nachweisbar, wie dies auch bei einer unbehandelten HIV-Infektion der Fall ist. Für die FAU-Forscher ein Indiz, dass sich irgendwo im Körper eine große Zahl von höchst aktiven HI-Viren verstecken muss, die den Organismus weiter attackieren – auch wenn die Patienten regelmäßig ihren Medikamentencocktail schlucken.
Das Team um Baur ist auf deutliche Spuren gestoßen, die für diese These sprechen – und zwar in sogenannten extrazellulären Vesikeln. Das sind winzige Bläschen, die wie Paketboten Stoffe zwischen Zellen hin- und hertransportieren. Ausgang ihrer Entdeckung war der Befund, dass diese Vesikel bei einer HIV-Infektion in ihrer Zahl bis um das Zwanzigfache ansteigen und sich trotz effizienter Behandlung nicht auf ein gesundes Niveau normalisieren. Die Erlanger Wissenschaftler untersuchten die Vesikel genauer und waren überrascht, als sie darin in großer Zahl Eiweiße entdeckten, die nur dann entstehen, wenn HI-Viren sich vermehren. Eine weitere verblüffende Erkenntnis: Je mehr dieser Eiweiße sich im Blut der Patienten fanden, desto geringer war auch die Zahl der T-Helferzellen. Die Zahl dieser Zellen nimmt bei einer aktiven HIV-Infektion für gewöhnlich stark ab und führt zu einem Erliegen der Immunabwehr. Bislang konnte die Zahl dieser Zellen noch mit keinem Mechanismus direkt in Wechselbeziehung gebracht werden.
„Für uns deuten diese Befunde darauf hin, dass es im Körper der Infizierten ein bisher unbekanntes Virusreservoir geben muss, das trotz Behandlung weiter hochaktiv ist“, erklärt Professor Baur. „Seine gezielte Bekämpfung könnte die HIV-Behandlung deutlich verbessern, wenn nicht revolutionieren.“
Link zum Paper: http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2352396416300871
DOI: 10.1016/j.ebiom.2016.03.004
Ansprechpartner für die Medien
Prof. Dr. Andreas Baur
Tel.: 09131/85-39534
andreas.baur@uk-erlangen.de
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Research results
German
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