Historiker widmet sich bislang nie ausgewerteten Predigttexten
Clemens VI. gehört wegen seines extravaganten Lebenswandels zu den umstrittensten Päpsten des Mittelalters. Der italienische Dichter Petrarca bezeichnete den Papsthof in Avignon als Stätte ausschweifenden Lebens, als Ort der Verdammnis und der Hurerei. Selbst in modernen Kirchenlexika wird der französische Adlige auf dem Stuhle Petri "als Unglück für Papsttum und Kirche" geschildert. Mit diesen Vorurteilen räumt der junge Mediävist Ralf Lützelschwab gründlich auf, der in seiner preisgekrönten Dissertation Clemens VI. in der Zusammenarbeit mit seinem Kardinalskollegium darstellt. Anhand von nie edierten mittelalterlichen Predigttexten weist Lützelschwab nach, wie Clemens VI. seinen Herrschaftsanspruch als vicarius Christi und vicarius Dei auch gegenüber dem Kardinalskollegium durchsetzte und die Allmacht über Geistliches und Weltliches für sich einforderte. Für seine interdisziplinäre Arbeit erhielt der 33-jährige Badenser den Friedrich-Meinecke-Preis des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin.
Als Clemens VI. den Stuhl Petri in Avignon 1342 bestieg, schien die Welt aus den Fugen geraten. Es tobte der französisch-englische Krieg, im Reich agierte Ludwig der Bayer als lebende Herausforderung eines in die französische Gefangenschaft geratenden Papsttums. Der Ausbruch der Großen Pest 1348, an der ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb, erschien den Zeitgenössischen als Vorbote des Antichristen. Der Südfranzose Clemens VI., der in kürzester Zeit eine beispiellose kirchliche Karriere gemacht hatte, wirkte dem päpstlichen Machtverlust entgegen, indem er das gesamte Territorium Europas mit einem dichten Netz von Nuntien und Legaten überzog. Ihre Aufgabe war es, die allerorts entbrannten Konflikte in Aragon, Italien, im Königreich Neapel, in Frankreich und England in Schach zu halten. Seinem Machtanspruch als vicarius Dei gemäß, kontrollierte der Papst nicht nur das päpstliche Finanzwesen, sondern bestimmte, wer die wichtigsten Posten in der kirchlichen Hierarchie erhielt - und das waren in erster Linie die Kardinäle.
Clemens VI. scharte in seinem Kardinalskollegium Geistliche um sich, deren Ergebenheit und Loyalität außer Zweifel standen. 1350 hatte Clemens VI. sein Kollegium auf 28 Kardinäle ausgeweitet, von denen allein 19 aus Südfrankreich, seiner Heimat, stammten. Besonders gerne berief Clemens VI. Verwandte, wie seinen 18-jährigen Neffen, der ebenfalls Kardinal wurde. "Das Kardinalskollegium war weder ein Ort für Heilige noch für überragende Intelligenzen", sagt Ralf Lützelschwab.
Leicht hatten es die Kardinäle, die im Auftrag des Papstes als Nuntien und Legaten in alle Welt geschickt wurden, nicht. Der Papst forderte vielmehr eine ständige Rückkopplung des Legaten nach Avignon und betrieb zur Kontrolle häufig eine Doppeldiplomatie. Das papstamt bezeichnete für Clemens VI. der Gipfelpunkt der Hierarchie: ein Amt, dass die Rechte und Vollmachten aller anderen Würdenträger übersteigt und das mit dem Konzept der plenitudo potestatis zu umschreiben ist.
Den absoluten Herrschaftsanspruch destillierte der Historiker Ralf Lützelschwab aus den bislang nie systematisch ausgewerteten Predigttexten des Papstes heraus, den sogenannten collationes. Clemens VI. galt dabei als größter Rhetoriker seiner Zeit, als "Pauke der Predigt, dessen Worte allen Gram aus dem Herzen vertreibe und dem Ohr gleich einem Instrument schmeichle", so Philippe de Vitry. Bei der Rückkehr eines seiner Legaten ließ es sich der wortgewaltige Papst nicht nehmen, Predigten zu halten, die nur auf den ersten Blick der stereotyp Rhetorik mittelalterlichen Predigten gleichen. Aufbauend auf den Erkenntnissen der französischen Predigtforschung gelingt es Lützelschwab meisterhaft, den Subtext zu entschlüsseln und die versteckte Kritik und die Andeutungen angeblicher Verfehlungen der Kardinäle aufzudecken.
von Felicitas von Aretin
Literatur:
Ralf Lützelschwab: Flectat cardinales ad velle suum? Clemens VI. (1342-1352) und sein Kardinalskollegium. Ein Beitrag zur kurialen Politik in der Mitte des 14. Jahrhunderts. Dissertation Freie Universität Berlin, 2003
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Ralf Lützelschwab, Tel.: 030 / 21 96 78 80, E-Mail: luetzel@zedat.fu-berlin.de
Criteria of this press release:
History / archaeology, Social studies
transregional, national
Research projects, Research results
German
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