idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
09/11/2017 17:00

Der evolutionäre Ursprung von Darm und Muskeln

Alexandra Frey Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Wie sind Darm, Haut und Muskulatur während der Evolution der Tiere entstanden? Diese Frage beschäftigt WissenschafterInnen seit über 100 Jahren. Die Entwicklungsbiologen Ulrich Technau und Patrick Steinmetz von der Universität Wien stellen durch ihre Arbeiten an Seeanemonen die 150 Jahre alte "Keimblatt-Theorie" in Frage: Sie fanden heraus, dass Darm bildende Drüsenzellen nicht aus dem Entoderm, sondern aus eingestülptem Ektoderm entstehen. Damit werfen sie ein grundlegend neues Licht auf die Evolution von Darm und Muskelgewebe. Die Ergebnisse erscheinen in "Nature Ecology & Evolution".

    Menschliche und tierische Körper bestehen aus einer Vielzahl von Geweben und Organen, wie z.B. Darm, Haut, Nervensystem und Muskulatur. Interessanterweise leiten sich all diese Gewebe jeweils von einem der drei "Keimblätter" ab, die ganz früh in der Embryonalentwicklung durch Einstülpungsprozesse angelegt werden. Gemäß der "Keimblatttheorie" entstehen Haut und Nervensystem aus dem außenliegenden Ektoderm, der Darm und interne Organe wie Bauchspeicheldrüse gehen aus dem innen liegenden Entoderm hervor, während Muskulatur und Keimdrüsen aus dem mittleren Keimblatt, dem Mesoderm, entstehen.

    Während fast alle komplexeren Tiere (Säuger, aber auch Insekten oder Würmer) und Menschen aus diesen drei Keimblättern aufgebaut sind, scheinen ihre Vorfahren nur zweischichtig gewesen zu sein: Einige sehr alte tierische Gruppen wie die Nesseltiere (Cnidaria wie beispielsweise Korallen, Seeanemonen und Quallen), die sich vor bereits 600 Millionen Jahren gebildet haben, bestehen nur aus zwei Zellschichten. Die Evolution des Mesoderms als drittem Keimblatt war wohl eine der "Schlüsselerfindungen" in der Evolution komplexer Tiere.

    Die Wissenschaft ging bislang davon aus, dass das innere, Darm-bildende Keimblatt von Nesseltieren und anderen Tieren auf einen gemeinsamen Ursprung zurückgeht, also homolog ist. Ulrich Technau und sein Team vom Department für Molekulare Evolution und Entwicklung hat nun eine fundamental neue Sicht auf die Evolution der Keimblätter gewonnen. Sie untersuchten den embryonalen Ursprung jener Zellen, die Verdauungsenzyme bilden und konnten zeigen, dass diese Zellen nicht aus dem Entoderm, sondern aus einem Teil des eingestülpten Ektoderms, des Schlundes, entstehen. "Ich war verblüfft, dass das eigentliche Entoderm entgegen der allgemeinen Lehrmeinung keinerlei Verdauungszellen enthielt", erklärt Erstautor Patrick Steinmetz, seit kurzem Gruppenleiter an der Universität Bergen in Norwegen.

    "Diese Resultate legen nahe, dass das Entoderm der höheren Tiere nicht evolutionär mit der inneren Zellschicht der Seeanemone verwandt ist, sondern vielmehr vermutlich aus dem Schlund-Ektoderm hervorgegangen ist", fügt Ulrich Technau hinzu. Das Entoderm der Seeanemone hingegen weist starke molekulare und zelluläre Ähnlichkeiten mit dem Mesoderm der höheren Tiere auf: Beide aktivieren eine große Zahl von homologen regulatorischen Genen und beide bilden Gewebe wie Muskeln und Keimdrüsen. Die Seeanemone verfügt also bereits über ein Mesoderm-ähnliches Keimblatt, das sich aber nicht in der Zwischenschicht zwischen Entoderm und Ektoderm befindet wie bei anderen Tieren.

    Für den Übergang von der Zweischichtigkeit zur Dreischichtigkeit war daher offensichtlich eine neue Lokalisation und nicht eine Neuerfindung des Mesoderms das Schlüsselereignis in der Evolution.

    Publikation in Nature Ecology & Evolution:
    Steinmetz, P.R.H., Aman, A., Kraus, J.E.M., Technau, U. Gut-like ectodermal tissue in a sea anemone challenges germ layer homology. Nature Ecology & Evolution
    DOI: 10.1038/s41559-017-0285-5.

    Wissenschaftlicher Kontakt:
    Univ.-Prof. Dr. Ulrich Technau
    Department für Molekulare Evolution und Entwicklung
    Centre for Organismal Systems Biology
    Universität Wien
    1090 Wien, Althanstraße 14 (UZA I)
    T +43-1-4277-570 00
    M +43-664-60277-570 00
    http://molevodevo.univie.ac.at

    Rückfragehinweis:
    Mag. Alexandra Frey
    Pressebüro der Universität Wien
    Forschung und Lehre
    1010 Wien, Universitätsring 1
    T +43-1-4277-175 33
    M +43-664-602 77-175 33
    alexandra.frey@univie.ac.at

    Offen für Neues.
    Die Universität Wien ist eine der ältesten und größten Universitäten Europas: An 19 Fakultäten und Zentren arbeiten rund 9.500 MitarbeiterInnen, davon 6.600 WissenschafterInnen. Die Universität Wien ist damit die größte Forschungsinstitution Österreichs sowie die größte Bildungsstätte: An der Universität Wien sind derzeit rund 94.000 nationale und internationale Studierende inskribiert. Mit 174 Studien verfügt sie über das vielfältigste Studienangebot des Landes. Die Universität Wien ist auch eine bedeutende Einrichtung für Weiterbildung in Österreich. www.univie.ac.at


    Images

    Frühes Embryonalstadium (Gastrula) der Seeanemone Nematostella vectensis.
    Frühes Embryonalstadium (Gastrula) der Seeanemone Nematostella vectensis.
    Copyright: Sabrina Kaul-Strehlow, Patrick Steinmetz
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Biology
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Frühes Embryonalstadium (Gastrula) der Seeanemone Nematostella vectensis.


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).