Anlässlich der Abschaffung des Echopreises nach Beschluss des Vorstands des Bundesverbandes Musikindustrie kommentiert Rapforscherin und Pädagogin Dr. Ayla Güler Saied die Debatte.
„Die Kontroverse, die durch die Verleihung des Echo an Kollegah und Farid Bang ausgelöst worden ist, ist in den letzten Wochen medial hinreichend diskutiert worden. Ich möchte aus gesellschafts- und bildungspolitischer Perspektive eine Kontextualisierung des Gangsta Rap vornehmen. „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ – diese Line sorgt nach wie vor für Schlagzeilen. Farid Bang rappt sie in dem Song „0815“ auf dem Album „JBG3 (Jung, brutal, gutaussehend)“ und rechtfertigt die Line als harten Vergleichsreim, wie er im Rap üblich sei. Es geht hierbei jedoch mehr als nur um eine Line.
Vor dem Hintergrund, dass im Jahr 2017 1.453 antisemitische Straftaten verübt worden, wobei die Dunkelziffer als sehr hoch eingeschätzt wird, sind die Zeilen, die von Kollegah und Farid Bang gerappt werden, nicht nur künstlerisches Ausdrucksmedium des Gangsta Rap, wie es von ihnen dargestellt wird. Sie sind auch der Soundtrack gesamtgesellschaftlicher Diskurse und des herrschenden Antisemitismus, der in der Mitte der Gesellschaft präsent ist. Dasselbe gilt für weitere Lines im Song, wie zum Beispiel: „/Diese Syrer vergewaltigen dein Mädel, Bitch. / Sie sagt, „Lass mich in Ruhe!“ / doch er versteht sie nicht. /(…) Fuck mich ab und ich ficke deine schwangere Frau/ Danach fick' ich deine Ma, die Flüchtlingsschlampe./“
Es scheint, als seien solche Formen der menschenverachtenden Diskriminierungen die derzeit erforderlichen Kernkompetenzen für eine Gangster Rap-Karriere. Antisemitismus ist im Gegensatz zu Homophobie, Sexismus, Misogynie, Rassismus und Gewaltverherrlichung ein relativ neues Phänomen im deutschsprachigen Gangsta Rap, was aber nicht bedeutet, dass antisemitische Einstellungen bei einigen Rappern nicht vorher da gewesen wären.
Farid Bang und Kollegah agieren nicht in einem Vakuum, sie sind Teil der Gesellschaft, auch über ihr Rap Business hinaus. Durch Videostatements und andere Social Media-Postings haben sie bei Kindern und Jugendlichen eine große Reichweite, wodurch sie zum Teil zur Meinungsbildung beitragen und diese beeinflussen. Als Privatperson schafft Kollegah durch einseitige Darstellungen komplexer politisch und historisch gewachsener Sachverhalte – wie beispielsweise dem Palästina-Israel Konflikt – einen Rahmen, in dem die Line mit Kunstfreiheit und dem lyrischen Ich nicht mehr relativiert werden kann. Kollegah hat 2016 eine (Pro-)Palästina Doku online gestellt, die von Street Cinema produziert wurde, einer Film-und Werbe Produktionsfirma, die auch Rapvideos produziert. Der Song „Apokalypse“ von Kollegah, ebenfalls aus dem Jahr 2016 bedient sich sehr stark antisemitischer Stereotype und endet damit, dass am Ende das Judentum, welches in dem Video das Böse personifiziert, vernichtet wird.
Aus pädagogischer Perspektive stellt sich die Frage, wie im Rahmen der schulischen und auch außerschulischen (politischen) Bildung von Kindern und Jugendlichen antisemitische, diskriminierende und menschenverachtende Lyrics im Gangster Rap aufgegriffen werden können. Da Videostatements im Internet zunächst mal aus Monologen bestehen und eine direkte Interaktion mit dem jungen Publikum nicht stattfindet, ist es wichtig, die Lyrics in ihrer gesamtgesellschaftlichen Komplexität kritisch beurteilen zu können. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen ist das Argument, es handle sich bei dem Song nur als Kunst und diese sei durch die Kunstfreiheit gedeckt, angesichts der diskriminierenden und menschenverachtenden Wirkungsmacht um ein sehr schwaches Argument.
Dass im Zuge der derzeitigen Debatte die Kriterien für die Vergabe vom Echo überarbeitet werden, ist richtig und wichtig und hätte bereits in Angriff genommen werden sollen, als die Echo-Verleihung 2016 an die Band Frei.Wild für Kontroversen sorgte. Eine offene und demokratische Gesellschaft lebt von Kontroversen. Dies bedeutet meines Erachtens aber nicht, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Namen der Kunstfreiheit bisher definierte gesellschaftliche Normen und Werte im Kontext von Antidiskriminierung und Gleichberechtigung aufweichen darf. Menschenverachtung darf nicht zur Normalität werden, die unwidersprochen hingenommen wird. Der Dialog und Austausch – auch im Rahmen schulischer Bildung – ist eine mögliche Form, diesen Entwicklungen entgegenzutreten. Dabei sollten die gesamtgesellschaftlichen Exklusionsmechanismen und Machtverhältnisse nicht aus dem Fokus geraten, damit Künstler wie Kollegah und Farid Bang sich nicht weiterhin hinter einer konstruierten Opfer- und Märtyrerrolle in ihrer imaginierten (Gangsta-)Welt verstecken können.“
Dr. Ayla Güler Saied ist wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung (ZuS) und leitet dort die Forschungsklasse „Heterogenität und Inklusion“. Güler Saied hat Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln studiert und wurde an der Universität zu Köln in den Sozialwissenschaften zum Thema „Rap in Deutschland. Musik als Interaktionsmedium zwischen Partykultur und urbanen Anerkennungskämpfen“ promoviert. Sie wurde dabei mit einem Begabtenstipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert.
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German
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