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11/26/2003 10:57

Judenspanisch ist mehr als je bedroht. Jüdische und andere Minderheitensprachen an der FU Berlin

Hedwig Görgen Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Vor ein paar Tagen erschütterten die Anschläge auf Synagogen in Istanbul die Welt. Unter den betroffenen Gemeindemitgliedern befanden sich auch einige der wenigen noch lebenden Sprecher des Judenspanischen, einer fast ausgestorbenen romanischen Sprache. Das Judenspanische bildet seit Jahren einen Schwerpunkt im Institut für Romanische Philologie an der FU Berlin, die somit weltweit zu den wenigen Universitäten mit diesem Forschungsgebiet gehört. Erst wenige Wochen vor den Anschlägen fand eine FU-Exkursion nach Istanbul statt.

    Mindestens die Hälfte, nach einigen Schätzungen sogar bis zu 90 Prozent der Sprachen der Welt werden in naher Zukunft aussterben. Minderheitensprachen stehen daher unter besonderem Schutz, sowohl der UNESCO als auch der EU. Ganz besonders gravierend ist die Situation des Judenspanischen, der Sprache der 1492 aus Spanien ausgewiesenen Juden. Diese Sprache wird heute fast nur noch in jüdischen Gemeinden auf dem Balkan wie in Sarajewo, Saloniki und Istanbul gesprochen. Judenspanisch weist dabei eine starke Verwandtschaft mit dem im Mittelalter gesprochenen Altspanischen auf. Die Vernichtung der Juden während des Zweiten Weltkriegs hat die Sprecher des Judenspanisch dezimiert: So zählte die Stadt Saloniki vor dem Zweiten Weltkrieg noch 60.000 jüdische Einwohner, die größtenteils Sprecher des Judenspanischen waren; heute sind es nur noch rund 1.000.

    Seit Jahren ist das Judenspanische durch die Forschungen von Prof. Dr. Winfried Busse einer der Schwerpunkte am Institut für Romanische Philologie der FU Berlin. So entsteht am Institut gerade ein interaktives Internetwörterbuch, um die Sprache zu dokumentieren und den Sprechern Mut zu machen, das Judenspanisch weiter zu pflegen. Ähnliche Internet-Initiativen haben sich in einem anderen FU-Projekt für das Sardische als effektiv erwiesen. Außerdem bietet Prof. Dr. Busse verschiedene Lehrveranstaltungen zum Judenspanischen an, die von den Studierenden gut besucht werden.

    Im Oktober unternahm Prof. Busse zusammen mit Studierenden eine Exkursion nach Istanbul. Hierbei gelang es der Forschergruppe, die wenigen dort noch lebenden Sprecher des Judenspanischen in ihrer Muttersprache zu interviewen. "Ein bedrückendes Bild", so berichten die Studierenden nach ihrer Rückkehr: "Nur die Ältesten beherrschen die Sprache noch; an die jüngere Generation wird sie praktisch nicht mehr weitergegeben". Seit den Anschlägen von Istanbul stehen die Studierenden mit den interviewten Gemeindemitgliedern in telefonischem Kontakt.

    Auch andere jüdisch-romanische Sprachformen werden in der FU-Romanistik erforscht. Seit 2000 arbeitet Prof. Dr. Guido Mensching in Zusammenarbeit mit Judaisten an der Universität zu Köln an einem von der DFG geförderten Projekt zur Erforschung von mittelalterlichen Medizintexten, die von jüdischen Ärzten in Südfrankreich verfasst wurden. Diese enthalten zahlreiche Passagen in der langue d'oc, dem Provenzalischen, die wegen der Verwendung des hebräischen Alphabets schwer für uns zu lesen sind. In der Provence konnte sich sogar eine eigene judenprovenzalische Sprache herausbilden, das Judéo-Comtadin oder Shuadit. Das Shuadit ist ein schmerzliches Beispiel für das Schicksal einer jüdischen Sprache bzw. von bedrohten Sprachen im Allgemeinen: sein letzter Sprecher, Armand Lunel, starb 1977.

    Die Beschäftigung mit verschiedenen jüdischen Sprachen romanischen Ursprungs ist ein Beispiel für interdisziplinäres Arbeiten. Verknüpfungen ergeben sich naturgemäß mit der Judaistik am Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der FU Berlin und mit den "Jüdischen Studien" an der Universität Potsdam. Die FU-Germanistik verfügt mit Prof. Dr. Norbert Dittmar über einen renommierten Soziolinguisten mit einem Forschungsinteresse an sprachlichen Minderheiten. Auch hier spielt wieder das Judentum eine Rolle: Prof. Dittmar beschäftigt sich in einem Projekt mit "Sprachlicher Integration russischer Juden in Berlin und Israel".

    Außerdem bieten die FU-Romanisten Sardisch, Galicisch und Katalanisch an sowie das Kanada-Französische. Die meisten dieser Sprachen werden durch Drittmittel gefördert, so die von den entsprechenden spanischen Regionalregierungen finanzierten Lektorate für Galicisch und Katalanisch. Damit gehört die Freie Universität zu den vier deutschen Universitäten, die über ein Galicisch-Lektorat verfügen. Weltweit rangiert die FU unter den ersten fünf Universitäten, die mit den meisten Mitteln von Seiten der Generalitat de Catalunya subventioniert werden. Da auch andere FU-Institute ähnliche Forschungsschwerpunkte besitzen, soll die Beschäftigung mit Minderheitensprachen und bedrohten Sprachen demnächst als ein Teil des in Planung befindlichen Interdisziplinären Zentrums für Sprachwissenschaft gebündelt werden.

    Deutschlandweit nimmt die Romanistik in Berlin eine Spitzenposition ein, da in der Hauptstadt die ganze Breite der Romanistik angeboten wird. Zusätzlich zu den an der FU vertretenen Sprachen erforscht an der Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Dieter Kattenbusch das Rätoromanische sowie das moderne Okzitanisch.

    Kontakt: Prof. Dr. Winfrid Busse, Tel. 030-838-52234; E-Mail: bussew@zedat.fu-berlin.de; Prof. Dr. Guido Mensching, Tel. 030-838-54279; E-Mail: mensch@lingrom.fu-berlin.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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