Studie zum deutschen Online-Lebensmitteleinzelhandel in Corona-Zeiten zeigt: Trotz überproportionalem Wachstum ist ein genereller Trend zur Expansion des Online-Lebensmittelhandels nur schwach erkennbar.
Die Corona-Pandemie hat in verschiedenen Sparten des Onlinehandels zu einer starken Zunahme der Nachfrage geführt. Mit den Auswirkungen der Pandemie speziell auf den Bereich des deutschen Online-Lebensmitteleinzelhandels beschäftigt sich eine Studie von Professor Dr. Peter Dannenberg vom Geographischen Institut und Professorin Dr. Martina Fuchs vom Wirtschafts- und Sozialgeographischen Institut der Universität zu Köln sowie der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin Cathrin Wiedemann und dem Wissenschaftlichen Mitarbeiter Tim Riedler. Während des untersuchten Zeitraums vom 10. März bis 15. Mai 2020 gab es einerseits, wie Sekundärquellen zeigen, ein überproportional hohes Wachstum im Online-Lebensmittelhandel. So fand laut dem Marktforschungsunternehmen Nielsen ein Wachstum von rund 150 Prozent im März statt.
Die vom Kölner Forschungsteam untersuchte Zeitspanne umfasste „stay home“-Maßnahmen zur COVID-19-Eindämmung und stellte damit laut der Autorenschaft einen günstigen Moment („Window of Opportunity“) für den gesamten Onlinehandel dar. Denn da möglichst das Zuhause nicht ohne wichtigen Grund verlassen werden sollte, wurde so auch das Bestellen über das Internet und die bequeme Lieferung nach Hause plötzlich für einen größeren Kundenkreis als bisher interessant. Trotzdem zeigen die Studienergebnisse jedoch nur einen eher geringen Übergang vom stationären Lebensmitteleinzelhandel hin zum Lebensmittel-Onlinehandel.
„Dass der Online-Lebensmittelhandel nicht stärker profitieren konnte, liegt an den begrenzten Kapazitäten der Unternehmen, die nicht so plötzlich auf die gestiegene Nachfrage reagieren konnten, aber auch an den bestehenden Konsummustern der Kundinnen und Kunden. Für viele Menschen ist gerade der Lebensmitteleinkauf ein wichtiges Erlebnis, das sinnliche Erfahrungen, wie etwa das Fühlen der Ware, anspricht. Es ist außerdem ein soziales Erlebnis, was gerade während der ‚stay home‘-Maßnahmen wichtig war“, erklärt Martina Fuchs.
Sowohl größere als auch kleinere Unternehmen versuchten mit der gestiegenen Nachfrage zurechtzukommen, erweiterten dabei aber selten ihr Liefergebiet. Beispielsweise beliefert AmazonFresh weiterhin nur Kundinnen und Kunden in Hamburg, Berlin, Potsdam und München. REWE konzentriert sich ebenfalls nur auf Stadtregionen in Deutschland. Der Online-Lebensmittelhandel findet also auch unter Corona-Bedingungen vor allem in städtischen Regionen statt. Das Autorenteam betont, dass unter anderem die Unvorhersehbarkeit der weiteren Entwicklung der COVID-19-Pandemie als Hemmnis für eine Expansion wirkte. Die entstehenden Möglichkeiten für den Online-Bereich durch die Regeln, die das Zuhausebleiben zum Gesundheitsschutz propagierten, blieben außerdem durch die absehbare Kurzzeitigkeit der Maßnahmen limitiert. „Die Lebensmittelhändler konnten nicht absehen, dass sich umfangreiche Investitionen lohnen würden, da sich eine ‚Rückkehr zur Normalität‘ abzeichnete“, sagt Fuchs.
Die Studie ist im Juli 2020 in der Fachzeitschrift Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie veröffentlicht worden. Grundlage für die Untersuchung war die Multi-Level Perspektive (MLP). Der Multi-Level Perspektive folgend, kann die COVID-19-Pandemie als Krise interpretiert werden, die die übergreifende wirtschaftliche Landschaft sowie Politik und Technikentwicklung plötzlich verändert hat und dadurch auch längerfristige Veränderungen hervorruft.
Für die Untersuchung nutzte das Team einen „mixed method“-Ansatz, der sich auf qualitative Interviews, Statistiken zur Marktentwicklung sowie Medienanalysen stützte. Das Team wertete unter anderem Web-Artikel zum Online-Lebensmittelhandel in Corona-Zeiten aus und führte online sowie telefonisch Interviews mit Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern im Lebensmitteleinzelhandel (zum Beispiel Geschäftsführungen, Zuständigen für Online-Handel) und in Verbänden.
Peter Dannenberg ordnet die Ergebnisse ein: „Unsere Studie konnte zeigen, dass es zwar generell einen Digitalisierungsschub während Covid-19 gegeben hat, sich aber kein Umbruch im Lebensmitteleinzelhandel zeigt. Das ist – aus geographischer Sicht – gerade mit Blick auf die Förderung der Versorgung ländlicher Räume in Deutschland ein wichtiger Punkt.“
Die Untersuchung entstand im Rahmen eines Projekts zu „(Räumlichen) Beschäftigungseffekten des zunehmenden Online-Handels“, das von der Hans-Böckler-Stiftung mit insgesamt rund 240.000 Euro gefördert wird. Es startete im Februar 2020 und hat eine Laufzeit von zwei Jahren. Peter Dannenberg und Martina Fuchs untersuchen darin die voranschreitende Digitalisierung des Einzelhandels und seiner Lieferketten sowie die Auswirkungen dieser Änderungen auf die lokale Arbeit und deren Gestaltung für die Branchen Fashion und Lebensmittelhandel.
Inhaltlicher Kontakt:
Professorin Dr. Martina Fuchs
Wirtschafts- und Sozialgeographisches Institut
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
+49 221 470-7729
fuchs@wiso.uni-koeln.de
Professor Dr. Peter Dannenberg
Geographisches Institut
Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
+49 221 470-1542
p.dannenberg@wiso.uni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
Sarah Brender
+49 221 470-1700
s.brender@verw.uni-koeln.de
Zur Publikation:
Peter Dannenberg, Martina Fuchs, Tim Riedler, Cathrin Wiedemann: Digital Transition by COVID-19 Pandemic? The German Food Retail: https://doi.org/10.1111/tesg.12453
Die Emailadresse von Herrn Dr. Peter Dannenberg ist nicht korrekt.
Richtig muss es heißen: p.dannenberg@uni-koeln.de.
Criteria of this press release:
Journalists
Economics / business administration, Geosciences
transregional, national
Research results
German
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