„In seiner Ad hoc-Stellungnahme zum Einsatz von Immunitätsnachweisen rät der Deutsche Ethikrat derzeit von der Verwendung ab.
Der Deutsche Ethikrat hat eine Stellungnahme zum Einsatz von Immunitätsnachweisen veröffentlicht. Ethikrat-Mitglied Professorin Frauke Rostalski von der Universität zu Köln über die Empfehlung:
„In seiner Ad hoc-Stellungnahme zum Einsatz von Immunitätsnachweisen rät der Deutsche Ethikrat derzeit von der Verwendung ab. Der Grund hierfür liegt in den nach wie vor bestehenden, teils erheblichen Erkenntnisdefiziten im Hinblick auf das neuartige Coronavirus. Nicht zuletzt sind zwischenzeitlich Fälle der Reinfektion nach bereits durchgemachter Krankheit bekannt geworden. So lässt die vorhandene Studienlage nicht mit der – angesichts des mit dem Virus einhergehenden Risikos – notwendigen Zuverlässigkeit den Schluss zu, dass eine einmalige Infektion zu Immunität und Nichtinfektiosität führt. Auf der Basis dieser Sachlage wäre der Einsatz von Immunitätsnachweisen, an die ggf. sogar die Rücknahme von Corona-Schutzmaßnahmen gebunden wäre, gefährlich. Ein Immunitätsausweis hält schlicht nicht, was er verspricht, sondern vermittelt derzeit allenfalls eine Scheinsicherheit.
Während insoweit Einigkeit im Deutschen Ethikrat besteht, lässt sich diese nicht erzielen für das Szenario, dass sich unser Kenntnisstand über die Immunität nach durchgemachter Erkrankung künftig verbessert. Die Hälfte der Ratsmitglieder befürwortet in dieser Situation einen stufenweisen, anlass- und bereichsbezogenen Einsatz von Immunitätsnachweisen und damit die Lockerung der Corona-Schutzmaßnahmen für deren Trägerinnen und Träger. Demgegenüber lehnen die übrigen Mitglieder des Deutschen Ethikrats den Einsatz von Immunitätsnachweisen auch bei verbessertem empirischem Kenntnisstand ab.
Für die letztgenannte Position sprechen aus meiner Sicht die besseren Gründe: Der Einsatz von Immunitätsnachweisen weist das Risiko der Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft auf, sofern allein immune Bürgerinnen und Bürger Freiheit wiedererlangen, die infolge der Pandemie zunächst für alle Gesellschaftsmitglieder eingeschränkt wurde. Dies erscheint mir besonders gefährlich, sofern Private von dem Instrument Gebrauch machen – etwa wenn der Zugang zum Supermarkt, zum Restaurant oder die Mitnahme im Flugzeug zum Antritt einer Urlaubsreise von dem Nachweis der Immunität abhängig gemacht wird.
Insofern halte ich es auch für naheliegend, dass einzelne versuchen werden, sich bewusst mit Covid-19 anzustecken, um ebenfalls in den Genuss wiedererlangter Freiheit zu gelangen. Dies kann sich besonders negativ auf das Pandemiegeschehen auswirken. Nicht zuletzt ist nicht ausgeschlossen, dass die Normbefolgungsbereitschaft von Nicht-Immunen sinkt, wenn sie beobachten, dass Immune von Corona-Schutzmaßnahmen entbunden werden – etwa, weil der Eindruck entstehen könnte, dass gerade ihre bisherige hohe Normtreue dazu geführt hat, sich nicht anzustecken.
All diese normativen Gründe haben mich dazu bewogen, den Einsatz von Immunitätsnachweisen auch dann abzulehnen, wenn sich unsere empirischen Erkenntnisse über die Krankheit verbessert haben.
Eine Ausnahme bildet für mich allein der Kontakt von Angehörigen zu vulnerablen Personen wie zum Beispiel alten oder kranken Menschen. Nähe und zwischenmenschliche Wärme können hier Leben retten. Das sollten wir gerade in der Pandemie nicht vergessen. Wenn also unsere Erkenntnisse über das Virus soweit gereift sind, dass wir unter bestimmten Bedingungen in hinreichendem Maße von Immunität und Nichtinfektiosität ausgehen können, muss Immunen der Kontakt zu nahen Angehörigen, die etwa in Alten- und Pflegeeinrichtungen leben, gewährt werden. In diesem Ausnahmefall sehe ich die vorgenannten Risiken nicht verwirklicht, da die hohe Bedeutung des Kontakts zu diesen Personengruppen gesellschaftlich auf großes Verständnis stößt und so wenige betrifft, dass gerade auch keine Gefahr der Entstehung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft besteht.“
Professorin Dr. Dr. Frauke Rostalski, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln, ist Mitglied im Deutschen Ethikrat.
Inhaltlicher Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Frauke Meta Rostalski
Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung
+49 221 470-4279
frauke.rostalski@uni-koeln.de
Presse und Kommunikation:
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+49 221 470-1704
f.berg@uni-koeln.de
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine, Philosophy / ethics
transregional, national
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German
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