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04/27/2004 11:27

Ethnologen erforschen Nostalgie-Ostalgie

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Kolloquium des Instituts für Ethnologie der Universität Leipzig am 28. April 2004 zu deutschen und rumänischen Erfahrungen nach 1989

    Gemeinhin denkt man: Ethnologen forschen über Terrassenfeldbau in Asien oder Nomaden in Marokko - jedenfalls befassen sie sich mit Themen, die weit entfernt in exotischen Ländern und Zeiten liegen. Das wäre zu kurz, nein: zu weit gesprungen: Das Außerordentliche lässt sich auch gleich vor der Haustür finden. Studenten der Leipziger Universität haben sich mit dem aktuellen Thema ''Nostalgie? - Für uns war es gelebte Wirklichkeit'' befasst.

    Wenn am 28. April 2004 das Kolloquium des Institutes für Ethnologie stattfindet, dann haben die Studenten um Simona Wersching zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Sie haben sich zum einen mit dem jüngsten Diskurs über Ostalgie auseinandergesetzt; und sie haben zum anderen praktische Erfahrungen in der ethnologischen Methodik erworben. Beides war das erklärte Ziel des Forschungsseminars ''Nostalgie nach 1989 in Leipzig und Cluj/Rumänien''.

    Das Leipziger Seminar ist Teil eines Projektes, das sich auf die Kooperation dreier Partner stützt: Unter dem Dach des Institutes für Soziologie und Sozialarbeit der Universität Cluj-Napoca (Rumänien), des Forschungszentrums für interethnische Beziehungen in Cluj sowie des Institutes für eine offene Gesellschaft Budapest (Ungarn) diskutieren Wissenschaftler zu ''Teaching Anthropolgy: Means and Meanings''. Das Vorhaben vereint über drei Jahre hinweg Wissenschaftler aus Deutschland, Bulgarien, Polen, Rumänien und Slowenien. Unterstützt wird der osteuropäische Verbund von renommierten Ethnologen wie Katherine Verdery (University of Michigan), Gail Kligman (University of California, Los Angeles) oder Michael Stewart (University College London). Im Kern zielen die übergreifenden Anstrengungen darauf, in Ost- und Südosteuropa die Lehre im Fach Ethnologie zu verbessern, den Wissenstransfer zwischen Ost- und Westeuropa zu fördern sowie die entsprechenden Netzwerke aufzubauen.

    Den Start des Projektes markierte 2003 eine Sommerschule. ''Neben der Einführung ins Thema haben wir uns dort geeinigt, Arbeitsgruppen zu bilden'' blickt Simona Wersching zurück. Die 32-jährige Promovendin am Zentrum für Höhere Studien übernahm dies für die Universität Leipzig - mit ihrer rumänischen Partnerin Ileana Benga von der Akademie der Wissenschaften (Cluj) richtete sie den Fokus auf ''Nostalgie''. ''Wir haben nach einem Thema gesucht, das sich mit Studenten umsetzen lässt und das der Anwendung ethnologischer Methodik dient'', erklärt Simona Wersching den Ansatz der deutsch-rumänischen Zusammenarbeit. Doch während hierzulande die Erinnerung an die DDR als (N)Ostalgie-Welle mit Shows, Büchern und Filmen durch die Gesellschaft schwappte, zeichnet sich in Rumänien ein anderes Phänomen ab. Filme aus den 1960er bis 1980er Jahren erleben großen Zuspruch, der Fernsehsender ''Etno'' füllt sein Programm allein mit Volksmusik, die in ihren ideologisierten Form vor 1989 abgelehnt worden war, und das vermutliche Grab des Diktators Nicolai Ceausescu ist als Pilgerstätte in Mode. Aus den Indizien, die Simona Wersching skizziert, zieht sie die Schlussfolgerung: Nostalgie in Rumänien sei ''eine stark politisierte Frage''. Gerade nationalistisch ausgerichtete Parteien und Organisationen verkünden Schlagworte wie ''Wir verkaufen unser Land nicht'' und Formeln wie ''Unter Ceausescu hätte es das nicht gegeben''. Inwieweit diese persönlichen Eindrücke durch ethnologische Studien untermauert, differenziert oder widerlegt werden, wird sich im Juni zeigen - dann kommt Ileana Benga an die Leipziger Universität, um ihre Forschungen in einem westkarpatischen Bergdorf vorzustellen.

    Im Leipziger Projektseminar haben sich Studenten der Rumänistik vor allem mit dem Kauf von Konsumgütern sowie mit dem Kinofilm ''Goodbye Lenin'' beschäftigt. Und auch wenn die kleine Studiengruppe mit Gabriela Finschow, Radu Dinu und Maria Pakot keine repräsentativen Umfragen angehen konnte, so erbrachten die Interviews doch umfassende Erkenntnisse. In der Methodik der Feldforschung reichten die Erfahrungen von der Erarbeitung von Fragekatalogen über die Gewinnung von Gesprächspartnern bis zur Technik des Interviews. Inhaltlich erhellten die Gespräche individuelle Blickwinkel auf das Spannungsfeld zwischen Ostalgie und Nostalgie.

    Beispielsweise ergab die Diskussion von ''Goodbye Lenin'', die im Anschluss an die öffentliche Vorführung des Filmes im proppevollen Hörsaal 16 der Uni geführt wurde, unterschiedlichste Einschätzungen. Zwar waren sich alle Zuschauer in einer Frage einig: Es gibt zu wenig Austausch zwischen Ost und West über den Alltag in der DDR - und der Film ist eine gute Gelegenheit, über die Vergangenheit zu sprechen. Aber in der konkreten Beurteilung klafften die Meinungen auseinander: Während der Film für einen Teil die DDR ''authentisch'' zeigte, spiegelte er für andere lediglich das ''Wunschbild'' des Hauptakteurs wider. Während die einen sagten: ''So ist es wirklich gewesen'', stellten andere fest: ''Das hat nicht unbedingt etwas mit Wahrheit zu tun''. Zwei chinesische Studenten öffneten den Blickwinkel über die DDR hinaus auf ihre Heimat: Sie sahen in ''Goodbye Lenin'' vor allem die ideologische Veränderung, die mit einem revolutionären Umbruch einhergeht. Und eine Seniorin aus Westdeutschland, die Ostdeutschland erst nach der Wende entdeckte, schilderte ihre einstigen Klischees a là ''Alle sind Kommunisten'' - heute ist sie ''am Entdecken''.

    Einen Blick in dieses ''Entdecken'' öffnen Radu Dinu, Gabriela Finschow, Maria Pakot und Simona Wersching zum Institutskolloquium am 28. April 2004 (19.15 Uhr, Burgstraße 21 in Leipzig).

    Daniela Weber


    Weitere Informationen:
    Institut für Ethnologie
    Telefon: 0341 97-37220
    E-Mail: ethnologie@uni-leipzig.de
    www.uni-leipzig.de/~ethno


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Law, Politics, Social studies
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Research projects, Scientific conferences
    German


     

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