Jedes Jahr sterben weltweit etwa 100.000 Menschen am Biss einer Giftnatter. Forschende der Technischen Universität München (TUM) haben untersucht, wie das Gift vor 50 bis 120 Millionen Jahren durch die Veränderung eines Gens, das auch in Säugetieren und anderen Reptilien vorkommt, entstand. Die Ergebnisse könnten zukünftig eine bessere Behandlung für Betroffene ermöglichen und erweitern das Wissen in der Therapie für Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck.
Sobald die Natter zubeißt und ihr Gift überträgt, bindet dieses an Rezeptoren von Nervenzellen und Muskeln und unterbricht dadurch die Kommunikation zwischen den Zellen. Dies führt zunächst zu Lähmungen und ohne ein Gegengift schließlich innerhalb von wenigen Minuten bis Stunden zum Tod. Ein Forschungsteam untersuchte, wie sich die Proteinstruktur von Natterngift, den sogenannten Drei-Finger-Toxinen (3FTxs) im Laufe der Evolution veränderte.
Wie Natterngift entstand
Das Team um Burkhard Rost, Professor für Bioinformatik fand heraus, dass sich das Gift von Nattern über die Zeit aus dem Ly-6-Gen entwickelte, das auch in Säugetieren und anderen Reptilien vorkommt und im Körper unter anderem für verschiedene Stoffwechselfunktionen, die Immunantwort von Zellen oder auch für die neuronale Regulierung zuständig ist.
Dr. Ivan Koludarov, Wissenschaftler am Lehrstuhl für Bioinformatik und Erstautor der Studie sagt: „Unsere Untersuchungen zeigten, dass sich die ersten Schlangenarten vor etwa 120 Millionen Jahren von den Echsen abspalteten. Die heute giftigen Nattern trennten sich vor etwa 50 Millionen Jahren von den anderen Schlangenarten, wobei beide Arten bereits funktionale 3FTx-Gene in sich trugen. Damit veränderte sich das Ly-6-Gen vor 50 bis 120 Millionen Jahren so stark, dass daraus heutzutage ein stark Gift gebildet wird.”
Im Laufe der Evolution verdoppelte sich das Ly-6-Gen, das den Bauplan für das Toxin bildet, immer wieder, sodass Giftnattern mehrere Kopien des Gens in sich tragen. Auf diesen Kopien sind verschiedene Abschnitte mutiert. Dadurch veränderte sich die Funktion des daraus gebildeten Proteins so stark, dass es seinen ursprünglichen Aufgaben nicht mehr nachkommt, sondern als Gift wirkt.
Verschiedene Formen des Giftes
Tobias Senoner, Doktorand am Lehrstuhl für Bioinformatik ergänzt: „Dabei hat sich gezeigt, dass das Gen in den verschiedenen Natternarten auf unterschiedliche Weise mutiert ist. Auf Grundlage der daraus resultierenden Proteinstrukturen können vier Formen des 3FTx-Toxins unterschieden werden. Jede Variante hat spezifische Strukturen und wirkt dadurch auch auf die jeweilige Beute anders.“
Prof. Burkhard Rost erläutert: „Für unsere Studie sammelten wir alle verfügbaren Informationen aus der Datenbank UniProt, die Daten für Proteine aller Lebewesen und Viren zur Verfügung stellt. Darüber hinaus griffen wir auf biomedizinische und genetische Informationen des National Center for Biotechnology Information zurück. Diese Daten analysierten wir durch die Lupe von Methoden aus der Künstlichen Intelligenz.“
Verbesserte Behandlung und Arzneimittelentwicklung
Die Erkenntnisse der Studien tragen dazu bei, die Behandlung von Betroffenen zu verbessern und Fortschritte in der Arzneimittelentwicklung zu erzielen. Durch das Verständnis der Toxine könnten zukünftig neue Methoden zur Behandlung von Erkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck oder auch zur Linderung von Schmerzen entwickelt werden.
Prof. Burkhard Rost
Lehrstuhl für Bioinformatik
rost@tum.de
Tel: +49 (89) 289 - 17808
Koludarov, I., Senoner, T., Jackson, T.N.W. et al. Domain loss enabled evolution of novel functions in the snake three-finger toxin gene superfamily. Nat Commun 14, 4861 (2023). doi.org/10.1038/s41467-023-40550-0
https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/evolution...
Criteria of this press release:
Journalists
Biology, Information technology, Medicine
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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