An der FU Berlin angesiedeltes Forschungsprojekt #LastSeen dokumentiert historische Fotografien von Deportationen im Nationalsozialismus
Der unter der Leitung von Forschenden des Selma Stern Zentrums für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an der Freien Universität Berlin entwickelte Bildatlas #LastSeen zu NS-Deportationsfotos ist mit dem Grimme Online Award 2024 ausgezeichnet worden. Das internationale Forschungsverbundprojekt erhielt vom Grimme Institut den bedeutendsten deutschen Preis für hochqualitative wissenschaftliche, kulturelle und journalistische Angebote im Netz in der Kategorie „Wissen und Bildung“.
#LastSeen ist damit eines der wenigen Forschungsprojekte, die mit dem Preis je ausgezeichnet wurden. Die Preisverleihung fand am Mittwochabend (15. Oktober 2024) in Marl statt. Insgesamt wurden in diesem Jahr rund 1.000 Online-Angebote für den renommierten Grimme Online Award eingereicht.
Mehr als zweihunderttausend Menschen sind zwischen 1938 und 1945 aus dem Deutschen Reich deportiert worden. Die meisten von ihnen in die Ghettos und Vernichtungslager im deutsch besetzten Osteuropa. Das Verbundprojekt #LastSeen. Bilder der NS-Deportationen sammelt, erforscht und veröffentlicht erstmals sämtliche erhaltenen Fotos. Im #LastSeen Bildatlas sind bereits mehr als 400 Fotos aus 33 Orten online zugänglich, die den Abtransport von Jüdinnen und Juden, Sinti:zze und Rom:nja sowie kranker und behinderter Menschen zeigen. Fast alle Menschen auf den Bildern wurden ermordet. Das Projektteam konnte bisher 270 Personen identifizieren und erzählt ihre Geschichten auf lastseen.org.
#LastSeen hat die vollständige Sammlung und Erforschung aller NS-Deportationsfotos zum Ziel, denn diese zählen zu den bedeutsamsten Quellen der nationalsozialistischen Verbrechen. Alle Bilder werden aufwendig erforscht, bevor sie digital im Bildatlas von #LastSeen veröffentlicht werden (atlas.lastseen.org). Der gemeinsam mit der Digitalagentur &why (München) umgesetzte Bildatlas ist gleichzeitig interaktive Ausstellung und digitale Edition. Das besondere Feature von #LastSeen ist, dass direkt auf den Bildern Geschichte(n) erzählt werden. Mit einer Markierung auf den Fotos wird auf bestimmte Elemente hingewiesen: auf Gepäckbeschriftungen, das Kuscheltier eines Kindes oder einen spezifischen Ort. Auf diese Weise werden auch die Lebensgeschichten identifizierter Personen erzählt.
#LastSeen überzeugt durch wissenschaftliche Präzision, ethischen Umgang mit historischen Bilddokumenten und durchdachte digitale Mittel
„Die historischen Fotografien aus 33 Orten in Deutschland zeigen nicht nur deportierte Menschen, sondern teils auch Beamte der ‚Sicherheitspolizei‘ oder Zuschauende und geben der alltäglichen Brutalität der Deportationen durch Kartenfunktion und Detailinformationen eine selten erreichte Unmittelbarkeit“, begründete die Grimme Online Award Jury die Auszeichnung an das Forschungsprojekt. Und weiter: "#LastSeen hat die Jury durch seine wissenschaftliche Präzision, den ethischen Umgang mit den historischen Bilddokumenten und die durchdachte Nutzung digitaler Mittel überzeugt. Das Angebot zeigt eindrucksvoll, wie die Gräueltaten der NS-Zeit durch sorgfältige Forschung und akkurate Aufarbeitung sichtbar gemacht werden können."
Landrat Bodo Klimpel, der als Vertreter des gastgebenden Kreises Recklinghausen Preispate für #LastSeen war, hob in seiner Laudatio hervor: „Es ist so leicht, die, die man nicht mehr sieht zu vergessen, wenn keine Namen, keine Gesichter mehr da sind. […] Dann ist es einfach, das Geschehene auf Zahlen und Daten und dürre Sätze reduziert in die Geschichte zu verschieben. #LastSeen versperrt uns diesen Weg und holt sie aus der Geschichte zurück.“
#LastSeen-Projekt betreibt Grundlangenforschung direkt an der Schnittstelle zum Wissenstransfer
Die Fotos belegen wie tausende Menschen, verfolgt als Jüdinnen und Juden, als Sinti:zze und Romn:ija, Zuhause abgeholt werden, sich an Sammellagern einfinden müssen, durchsucht und erniedrigt werden, warten und in Züge einsteigen müssen. Deportationen fanden überall in Deutschland statt – am helllichten Tag. Die Fotos zeigen auch, wie neben Gestapo, Polizei und SS, lokale Beamte, Ärzte und Kleinunternehmer mithalfen, während Nachbar:innen oder Passant:innen vorbeigingen, zusahen oder sich sogar beteiligten. Moderatorin Anja Backhaus betonte, dass die Fotos zeigen, wie sichtbar Deportationen waren. Sie fanden am helllichten Tag, mitten in deutschen Städten unter den Augen vieler Zuschauender, die oftmals zu Mitwirkenden wurden, statt: „Das Narrativ Vieler ‚die Deutschen hätten nichts gewusst‘ ist hier absolut widerlegt.“
Projektleiterin Dr. Alina Bothe von der Freien Universität Berlin ordnet die Bedeutung des Preises ein: „#LastSeen betreibt fachwissenschaftliche Grundlagenforschung direkt an der Schnittstelle zum Wissenstransfer. Wir teilen unsere Forschungsergebnisse online als work in progress, weil wir Forschung für alle zugänglich machen wollen. Die Auszeichnung zeigt, dass uns dies auf höchsten Niveau gelingt.“ Prof. Dr. Wolf Gruner, Projektpartner, Gründungsdirektor des renommierten USC Dornsife Center for Advanced Genocide Research and Genocide Studies in Los Angeles, ergänzt: „Der Grimme Online Award bestätigt eindrucksvoll, dass das Konzept des #LastSeen-Projekts überzeugt, innovative Forschung zur Shoah und zur NS-Zeit als Grundlage für Vermittlungsarbeit zu nutzen." Auch die Zahlen der letzten anderthalb Jahren bestätigen dies eindrücklich: Mehr als 50.000 Menschen haben sich mittlerweile den Bildatlas angesehen – auf der ganzen Welt.
Die internationalen Projektpartner von #LastSeen
Angesiedelt ist das Projekt am Selma-Stern-Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg an der Freien Universität Berlin, wo auch die Projektleitung unter Dr. Alina Bothe liegt. Zu dem Forschungsverbundprojekt #LastSeen gehören insgesamt sechs namenhafte Institutionen:
Arolsen Archives. International Center on Nazi Persecution - https://arolsen-archives.org/
USC Dornsife Center for Advanced Genocide Research, Los Angeles - https://dornsife.usc.edu/cagr/
Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin - https://www.ghwk.de/de
Gedenkstätte Hadamar - https://www.gedenkstaette-hadamar.de/
Public History im Kulturreferat der Landeshauptstadt München, https://public-history-muenchen.de/
Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg - https://www.selma-stern-zentrum.de/
Weitere Informationen
Der Bildatlas #LastSeen kann abgerufen werden: https://atlas.lastseen.org/
Das im Rahmen von #LastSeen entwickelte digitale Entdeckungsspiel ist in diesem Jahr u.a. mit dem DigAMus Award des Deutschen Museumsbunds für exzellente Digitalprojekte ausgezeichnet worden. https://atlas.lastseen.org/
Zum Stream der Preisverleihung des Grimme Online Award 2024: https://www.youtube.com/watch?v=KFbtgpM4Cm4&t=5750s
Dr. Alina Bothe, Projektleiterin #LastSeen, c/o Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg, Freie Universität Berlin, Habelschwerdter Allee 34A, E-Mail: alina.bothe@fu-berlin.de
Das an der Freien Universität Berlin angesiedelte Forschungsprojekt #LastSeen zu NS-Deportationsfoto ...
&why
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students, Teachers and pupils, all interested persons
History / archaeology
transregional, national
Contests / awards, Research projects
German
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