Sächsisch klinge hässlich und sterbe ohnehin bald aus? Das sieht der Sprachwissenschaftler Simon Oppermann von der Universität Leipzig anders. Er erforscht den Sprachwandel im Ostmitteldeutschen und erklärt anlässlich des Tages der Muttersprache, was aus wissenschaftlicher Sicht hinter drei häufigen Behauptungen über das Sächsische steckt. Der Internationale Tag der Muttersprache der UNESCO am 21. Februar macht auf die Wichtigkeit sprachlicher Vielfalt aufmerksam.
Mythos 1: „Es gibt nur einen Sächsischen Dialekt!“
Simon Oppermann: Ein klassisches: „Es kommt drauf an!“ Vorschläge, wie die Sprachlandschaft in Sachsen, Thüringen und den angrenzenden Gebieten unterteilt werden kann, gibt es zahlreiche. Dabei wurden diese Dialektgrenzen meist relativ willkürlich und anhand kleinster Unterscheidungen gezogen. Häufig entstehen tatsächlich unterschiedliche raumbildende Muster, je nachdem, welches sprachliche Merkmal gerade betrachtet wird.
Statt von klaren geographischen Grenzen sollte man eher von einem großen ostmitteldeutschen Dialektkontinuum ausgehen, das Kernzonen und Übergangsgebiete hat. Die Frage, in wie viele einzelne Dialekte dieses Kontinuum nun unterteilt werden sollte, ist daher ein bisschen so wie die Frage, aus wie vielen Einzelstücken ein Kuchen besteht: So viele, wie eben gerade geschnitten werden. Wichtiger als eine bestmögliche Dialekt-Einteilung ist in unserer Forschung der Blick auf die tatsächlichen Belege: Welche sprachlichen Besonderheiten wurden früher belegt, welche können wir heute belegen?
Mythos 2: „Sächsisch stirbt aus!“
Oppermann: Nein, Sächsisch stirbt nicht aus, auch wenn es den alten Dialekt (siehe oben) so nicht mehr gibt. Einerseits gehen viele Phänomene, die früher nahezu flächendeckend belegt wurden, definitiv zurück, beispielsweise die Entrundung der standarddeutschen Vorderzungenvokale, wie in beese (statt böse). Andere, wie die Aussprache von u für o in Ufen (statt Ofen), ist schon weitgehend geschwunden.
Andererseits verbreiten sich aber auch neue Formen: So wird die alte Regel „Die Weichen besiegen die Harten“ teilweise umgekehrt und sorgt dafür, dass b, d und g als p, t, und k ausgesprochen werden, wenn sie vor einem l oder r stehen. Dies sorgt dann dafür, dass der Zug am Leipziger Hauptbahnhof mittlerweile an Kleis Trei einfährt. Hören Sie sich in Mitteldeutschland mal um, das ist insbesondere bei jüngeren Personen häufiger zu hören, obwohl es in der einschlägigen Fachliteratur noch kaum beschrieben wurde. In unserem aktuellen Forschungsprojekt beobachten wir, dass Einzelpersonen diese größeren Sprachwandelprozesse kaum widerspiegeln. Der gesamtgesellschaftliche Sprachwandel scheint also eher ein Ergebnis generationeller Veränderungen zu sein.
Mythos 3: „Sächsisch ist unbeliebt und klingt hässlich!“
Oppermann: Alle Jahre wieder werden Umfragen veröffentlicht, in denen „Sächsisch“ als „unbeliebtester Dialekt“ gewählt wird. Aus (sprach-)wissenschaftlicher Sicht sind diese Umfragen allerdings kaum haltbar. Mit solchen Fragen lässt sich schwer unterscheiden, welche Aussagen gegenüber der Sprache selbst getroffen werden und welche eigentlich eher den Menschen gelten, welche diese Sprache sprechen.
Zudem wird meist gar nicht erhoben, was unter dem „sächsischen Dialekt“ überhaupt verstanden wird. So wird auch „Thüringisch“ häufig weniger schlecht bewertet, obwohl sich diese Varietäten häufig nur gering unterscheiden. In anderen (aussagekräftigeren) Studien konnten selbst ortsansässige Proband:innen kaum mehr zwischen thüringischen und sächsischen Aufnahmen unterscheiden.
Mir sind keine sprachwissenschaftlichen Argumente dafür bekannt, dass einige Sprechweisen „schlechter“ klingen als andere, höchstens ungewohnter. Und schließlich ist Vielfalt doch immer noch am schönsten – nicht nur sprachlich.
Zur Person:
Simon Oppermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Germanistische Sprachwissenschaft mit Schwerpunkt Variationslinguistik an der Universität Leipzig. Im Rahmen seines Dissertationsprojektes untersucht er den Sprachwandel im ostmitteldeutschen Sprachgebiet und dokumentiert, ob und wenn ja, wie Einzelpersonen an diesen größeren Sprachwandelprozessen ihrer Sprachgemeinschaft teilhaben. Früher wurden Sprachbelege mit Fragebögen schriftlich erhoben – oder mit geschulten Ohren herausgehört. Heutzutage werden diese Erkenntnisse mit computergestützten Analysen großer Sammlungen von Sprachaufnahmen ergänzt.
Seit Ende letzten Jahres wird das Forschungsprojekt „Individuelle Variation im Lebenslauf (IVaL)“ von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Simon Oppermann
Institut für Germanistik
Telefon: +49 341 97-37376
simon.oppermann@uni-leipzig.de
https://gepris.dfg.de/gepris/projekt/549020991
Sprachwissenschaftler Simon Oppermann
Christian Hüller
Criteria of this press release:
Journalists, Teachers and pupils, all interested persons
Language / literature, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Research projects
German
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